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Marcel Huber. Foto: Bayerischer Musikrat
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Die kulturellen Strukturen schützen

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Marcel Huber, neuer Präsident des Bayerischen Musikrats, im Gespräch mit der neuen musikzeitung
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Seit November 2020 ist Dr. Marcel Huber Präsident des Bayerischen Musikrates. Der promovierte Veterinärmediziner blickt auf beinahe zwei Jahrzehnte in der bayerischen Staatsregierung zurück, wo er unter anderem Staatssekretär im Ministerium für Unterricht und Kultus, Leiter der Bayerischen Staatskanzlei und Staatsminister für Umwelt und Verbraucherschutz war. Es sind jedoch nicht nur seine politischen Ämter und die gute Vernetzung in der bayerischen Staatsregierung, die ihn für dieses Ehrenamt qualifizieren. Grundton seines Engagements ist die Überzeugung, dass musikalische Bildung unverzichtbar für unsere Gesellschaft ist. Susanne Fließ sprach mit ihm über Stubnmusik, Blasmusik beim G7-Gipfel und über Nachhaltigkeit.

nmz: Herr Dr. Huber, Sie haben als Veterinärmediziner Ihren beruflichen Weg begonnen, wie fand Ihre musikalische Sozialisierung statt?

Dr. Marcel Huber: Als Tierarzt habe ich damals verschiedene Milchviehbetriebe betreut. Zu der Zeit konnte ich schon Klavier spielen, aber das Musizieren für mich allein hat mir keine rechte Freude bereitet. Mit der Bauernfamilie eines dieser Milchviehbetriebe haben wir dann zusammen richtige Stubenmusi gemacht, mit Gitarre, Hackbrett, Harfe und Bassgeige. Unsere Gespräche bewegten sich ganz selbstverständlich ebenso rund ums Vieh wie über die Musik. Meine erste Berührung mit „E-Musik“ kam dann über die Kirchenmusik.

nmz: Relativ bald haben Sie dann begonnen, in Musikverbänden Ämter zu übernehmen?

Huber: Ja, das hat mit dem zweiten Strang meines Berufslebens zu tun, denn 2003 hat es mich in die Politik verschlagen. Ich wurde Abgeordneter und dann war ich elf Jahre lang in verschiedenen Positionen in der bayerischen Staatsregierung tätig, als Umweltminis­ter, als Gesundheitsminister, als Leiter der Staatskanzlei. Da hat man dann von Berufs wegen viel Kontakt mit Verbänden, und so ergab es sich, dass man mich für diese Ämter empfahl, damit ich dort meine Erfahrungen aus der Politik einbringen konnte.

nmz: Können Sie sich noch erinnern, welche Themen Ihnen besonders am Herzen lagen?

Huber: Das waren insbesondere Themen, die Verbindung mit politischen Vorgaben haben, zum Beispiel die Frage der Unbedenklichkeitserklärung für Menschen, die mit Kindern arbeiten, oder die Datenschutzgrundverordnung, oder Förderungen, die die Verbindung zwischen Schulen und Angeboten aus dem Vereinsbereich herstellten, wie Bläser- oder Chorklassen. Während meiner Zeit als Staatssekretär im Kultusministerium haben sich dann wieder neue Themen ergeben, die zwar von der Politik vorgegeben waren, aber an die Praxis in den Vereinen angepasst werden mussten. Und dann spielt ja auch immer die eigene gewonnene Lebenserfahrung oder der private Kontext eine Rolle, wie man Dinge bewertet. Ich halte es nicht für ganz falsch, wenn man als Politiker auf der Basis eigener Erfahrungen argumentiert.

nmz: Welchen Stellenwert hat das Gemeinschaftsmusizieren für unsere Gesellschaft?

Huber: Musizieren hat ja viele Facetten. Es reicht von Hochkultur mit den Profi-Orchestern, ich nenne nur die Bayreuther Festspiele, bis hin zu all den Amateurorchestern und –chören. Sie alle prägen das Kulturland Bayern. Auf der anderen Seite gibt es in den Blasmusikvereinen und Chören einen riesigen Bereich ehrenamtlich praktizierter Laienmusik, der unsere Gesellschaft durchzieht und sie prägt. Ich möchte Ihnen ein Beispiel aus meiner Zeit als Leiter der Staatskanzlei nennen. In dieser Funktion durfte ich das G7-Treffen mitgestalten. Die Staatspräsidenten kamen in Begleitung ihrer Delegationschefs, die wir „Sherpas“ nannten. Und für die hatte ich die Aufgabe, ein Kulturprogramm auf die Beine zu stellen. Ich lud sie in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen auf eine Alm ein, wo es eine Brotzeit gab und eine Blasmusik spielte. Dazu „schuhplattelte“ einer und auch Alphörner waren da. Nun muss man wissen, dass das ja der politische „Jet Set“ ist, den so schnell nichts beeindruckt. Was aber in dieser exklusiven Reisegruppe einen nachhaltigen Eindruck machte, war die Authentizität dieser Laien, dieses selbstvergessene musikalische Tun. Das war keine staatlich finanzierte Folklore, das war gelebte Volkskultur. An diesem Beispiel ist der Stellenwert von Musik und Kultur für das Selbstverständnis und den Zusammenhalt einer Gesellschaft gut abzulesen.

nmz: Was bedeutet das dann für eine Gesellschaft, wenn all das nicht mehr stattfinden darf, wie jetzt in diesen Coronazeiten? Ist Kultur also doch systemrelevant?

Huber: Ja, es ist eine schlimme Situation: Einerseits wird in „Friedenszeiten“ in zahllosen Sonntagsreden die Bedeutung von Kultur hervorgehoben, die die Gesellschaft zusammenhält. Wenn man aber wegen der Pandemie die Intensität von Kontakten reduzieren muss, dann gehören die Kulturinstitutionen zu den ersten, die zugesperrt werden. Andererseits muss man ehrlich zugeben und ich spreche hier auch in meiner Verantwortung als Abgeordneter des bayerischen Landtags: Wenn man gleichzeitig Menschen aus einigen Kliniken in Bayern in andere Kliniken verlegen oder gar abweisen muss, weil mancherorts Kapazitätsgrenzen erreicht sind, dann kann man kaum guten Gewissens Forderungen stellen, das Singen zu erlauben. So haben wir derzeit vor allem die Aufgabe, einen Musikbetrieb weitestgehend strukturell so zu erhalten, dass die Einrichtungen nach der Krise wieder belebt werden können. Das gilt für die staatlich finanzierten Orchester und Chöre ebenso wie für die Orches­ter und Chöre im Laien- und Volksmusikbereich. Da muss man mit staatlicher Hilfe dran.

Start in der Pandemie

nmz: Auch die Zeit Ihrer Präsidentschaftskandidatur fiel in diese Phase.

Huber: Allerdings. Ich bin letzten November in das Amt des Präsidenten hineingeraten, zu einer Zeit, als bereits die Wahl als Online-Veranstaltung stattfand. Seit meinem Amtsantritt überlege ich mir, wie man die Kultur wieder zum Laufen bringen kann, wenn es denn verantwortbar ist! Das ist mir ganz wichtig. Die Öffnung muss so schnell wie möglich, aber auch so sicher wie möglich und auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse erfolgen. Hier darf kein Bauchgefühl im Spiel sein. Auf Bundesebene haben wir mit allen Landesmusikräten eine Kommission gegründet, die alle aktuellen wissenschaftlichen Studien zusammenträgt. Die Leitung hat Dr. Jutta Schnitzer-Ungefug, ehemalige Generalsekretärin der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und jetzige Präsidentin des Landesmusikrates Sachsen-Anhalt. Wir werden einen Vorschlag machen, wie Staatsregierungen und die Bundesregierung auf der Basis der zusammengefassten deutschen und internationalen Studien verantwortbar wieder Veranstaltungen zulassen kann. Da geht es um Abstände, Masken, Luftaustausch. Es geht also nicht um die pauschale Forderung, Öffnungen durchzusetzen, die möglicherwiese nur dazu führen, dass das Infektionsgeschehen wieder aufflammt, sondern wissenschaftsbasiert, so schnell und so weitgehend wie möglich. Dafür kämpfe ich auf Landesebene mit den bayerischen Ministern, die dafür zuständig sind, ebenso wie auf bundesdeutscher Ebene im Rahmen der genannten Kommission.

nmz: Wie ist denn Ihr Weg zur Präsidentschaft im Bayerischen Landesmusikrat verlaufen?

Huber: Ich war zwölf Jahre Präsident im Musikbund Ober- und Niederbayern (MON): Das ist der zweitgrößte Blasmusikverband Bayerns mit etwa 25.000 Mitgliedern und 700 Kapellen, die dort erfasst sind. Das Amt und die Verbandsarbeit waren eine gute Ausgangsposition und schließlich das Sprungbrett in das Amt des Bayerischen Musikratspräsidenten. Mein hochgeschätzter Vor-Vorgänger im MON, Thomas Goppel, der ja dann auch über ein Jahrzehnt Präsident des Bayerischen Musikrates war, kannte mich aus dem MON und sah sich damals nach einem Nachfolger um, der die Voraussetzungen erfüllte und in dem Metier zuhause war. Und natürlich ist eine Affinität zur Musik eine wichtige Voraussetzung.

nmz: Nun sind Sie seit November Präsident des Bayerischen Musikrates. Sehen Sie sich als kritischer Partner der bayerischen Kulturpolitik oder als ihr Verstärker?

Huber: Ich muss einräumen, dass Kulturpolitik zurzeit Corona-Politik ist. Es ist einfach kein Normalbetrieb möglich. Als Verband kann man dann Schwerpunkte setzen, wenn man ein Instrumentarium an Veranstaltungen und Initiativen an der Hand hat und damit sichtbar und wahrnehmbar ist.

Alles, was wir derzeit in der Lage sind zu tun, ist, diese Notsituation bestmöglich zu verwalten und zu begleiten. Und wenn wir aktiv werden, dann ist es die Anpassung und Umsetzung von Empfehlungen, die dazu beitragen, die Strukturen zu erhalten, und die kommen natürlich alle von Ministeriumsseite. Insofern ist die Arbeit des Bayerischen Musikrats derzeit eher defensiv. Sie ist stetig, aber sie ist eben nicht plakativ, sondern findet im Hintergrund statt. Aber es gibt durchaus auch schöne und aktive Beispiele aus der Arbeit des BMR. Eines davon ist das bundesweit ausgerufene Projekt der Landesmusikräte „Instrument des Jahres“. Im Jahr 2021 ist das die Orgel. Die Initiative hat schon viel Aufmerksamkeit erregt.

Eine andere Initiative, die bei den Musikliebhabrinnen und Liebhabern besonders gut ankam, war das Fenstermusizieren am Heiligen Abend. Ein berührendes und positives Zeichen gegen Vereinzelung und Vereinsamung.

nmz: Seitdem hat sich die Stimmung in der Gesellschaft ein wenig gedreht.

Huber: Ja, alle haben es satt, die Unzufriedenheit wächst, von politischer Seite kann kaum noch einer irgendwem etwas recht machen und nun ist es unsere Aufgabe als Verband, die kulturellen Strukturen zu schützen, damit die nicht zerbrechen. Trotzdem will ich darauf hinweisen, dass man einen Musikbetrieb nach der Coronakrise wieder hochfahren kann, aber ein Menschenleben nicht. Wir können nicht die Forderung erheben, baldmöglichst wieder Chorproben stattfinden zu lassen, während gleichzeitig die Inzidenzzahlen steigen. Insofern ist das Ehrenamt des Musikratspräsidenten auch hochpolitisch und verantwortungsvoll.

nmz: Sie kennen die kurzen Wege in den Ministerien. Inwiefern ist das ein Vorteil?

Huber: Das ist durchaus nützlich, denn mit meinen Gesprächspartnerinnen und –partnern in den Ministerien bin ich gut vernetzt, das beschleunigt die Kommunikationswege.

nmz: Wie erleben Sie denn die Arbeit in der Konferenz der Landesmusikräte?

Huber: Corona überdeckt natürlich alles, aber man darf den Blick auf den „Normalbetrieb“ nicht aus den Augen verlieren. Denn es wird früher oder später darum gehen, Gelder aus dem Bundeskulturministerium in einem föderalen Deutschland mit der Länderhoheit „Kultur“, einer föderalen Aufstellung der Landesmusikräte und dem Deutschen Musikrat, schließlich wieder auf Länderaktivitäten zu verteilen. Da ist viel zu tun.

Nachhaltigkeit und Kultur

nmz: Welche Rolle spielt denn das Thema Nachhaltigkeit im Zusammenhang mit Kultur?

Huber: Dieses Thema begleitet mich seit meiner Zeit als Umweltminister. Dieser von Hans Carl von Carlowitz geprägte Begriff bezog sich ja zunächst auf die Forstwirtschaft. Er dachte damals drei Felder zusammen: Den Bestand des Waldes, also die Ökologie, die verbunden ist mit Ökonomie, nämlich als zu nutzende Ressource für Bau- und Brennholz, und schließlich die sozialen Folgen der Nutzung oder des Mangels.

Inzwischen ist Nachhaltigkeit ein politisches Grundprinzip, das sich nicht nur auf ökologische Fragen bezieht, und egal, worauf man den Begriff anwendet, muss man immer diese drei Felder mitdenken. In der Kunstszene muss man die Frage mehrfach stellen: Es geht nämlich nicht um die Pappbecher oder den Öko-Strom, den ein Theater nutzt, aus meiner Sicht geht es vielmehr um die Frage, wie erhalten wir das Kultur-Erleben, die Sensibilität für kulturelle Themen auch für die nachfolgende Generation? Ein nachhaltiger Kulturbetrieb ist also dann erreicht, wenn er nicht nur das Gewohnte abbildet, sondern sicherstellen kann, dass Ideen, Gedanken künftig noch tragen. Also mit anderen Worten ist immer wieder erneut zu prüfen: Ist es nicht nur für uns gut, sondern ist es auch für die Enkel gut?

nmz: Ihrem Vorgänger Thomas Goppel lag das Zusammenspiel von Musik und Bildung am Herzen. Wie ist das bei Ihnen?

Huber: Für mich ist das der Schlüssel. Denn die Chancen von Kindern sind ungleich verteilt und ich halte es für einen Irrglauben, dass Chancengleichheit dann erreicht wird, wenn der Staat nur genügend Geld in die Hand nimmt. Kinder haben einen unterschiedlich leichten Zugang zu Bildungsangeboten. Und diese Ungleichheit ein wenig aufzuweichen, dafür plädiere ich, indem jedes Kind diesen Zugang erhält. Das war die ursprüngliche Idee von Bläser- und Chorklassen in der Schule. Auch dies ein gutes Beispiel für Nachhaltigkeit. 

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