Banner Full-Size

Vereinsleben: Was macht Corona mit unseren Chören?

Untertitel
Die Corona-Pandemie aus Sicht einer freiberuflichen Sängerin
Autor
Publikationsdatum
Body

Was sind die Herausforderungen? Die Einschränkungen? Die Möglichkeiten? Ich habe Stephanie Simon, freiberuflich schaffende Sängerin, Gesangspädagogin und Chorleiterin von der Zollernalb gefragt, wie sie ihren Alltag in dieser Zeit meistert und es schafft, weiterhin positiv zu denken. Dass Sorgen auf ihrer täglichen Headline stehen, ist vermutlich nicht auszuschließen, doch wie definieren sich diese? Was bereitet ihr am meis­ten Sorgen? Ist es denn nun wirklich das Finanzielle oder gibt es auch ganz andere Dinge, die sie beschäftigen?

Nicht jeder hat das Glück neben seiner freiberuflichen Tätigkeit in einer Festanstellung zu arbeiten, welche einem ein wenig Sicherheit gibt. Kombination aus Festanstellung und Freiberuf ist für viele ein großer Luxus, aber eine Festanstellung bedeutet auch manchmal Einengung. Daher ist es für viele Musiker äußerst wichtig, eben nicht gebunden zu sein, sondern frei zu entscheiden, wie man wann und wo sein Geld verdient. Wenn jedoch eine Pandemie wie diese, die wir aktuell erleben, auftaucht, sieht das Leben plötzlich ganz anders aus. Vor Kurzem habe ich mich mit einer Kollegin unterhalten, die nahezu komplett als freiberufliche Musikerin arbeitet.

Stephanie Simon arbeitet im Landkreis Zollernalb als Gesangspädagogin, Chorleiterin und freischaffende Sängerin. Gerade dieses Jahr hätte sie besonders viele Muggen (Musikalisches Gelegenheitsgeschäft) gehabt, da sie erst vor Kurzem ein paar Kirchenchöre abgegeben hat, um eben mehr Zeit für die künstlerische Ader zu haben. Aufgrund der Corona-Pandemie sind ihr nicht nur Privatschüler und die Arbeit mit diversen Chören weggefallen. Auch die meisten Muggen werden dieses Jahr nicht stattfinden – zwar werden diese Konzerte in der kommenden Saison nachgeholt, jedoch kann sie kaum im nächsten Jahr zwei Konzerte am Tag geben – ganz abgesehen von dem Überangebot, was dann vermutlich entstehen würde.

Was ist für dich der schwerste Verlust in Zeiten von Corona? „Der Chorbereich! Wann ich wieder mit meinen Chören arbeiten kann, steht aktuell wohl noch in den Sternen. Nicht unbedingt das Finanzielle ist der ausschlaggebende Punkt, vielmehr stört es mich, dass ich in der Luft hänge – und meine Sängerinnen und Sänger natürlich auch. Diese Ungewissheit, wann mit einer Art Besserung zu rechnen ist, ist kaum auszuhalten. Als Dirigentin hat man schließlich auch eine Verantwortung für seine Chorsängerinnen und -sänger, jedoch kann man keine handfeste Aussage machen, wann wieder mit etwas mehr Normalität zu rechnen ist. Den Menschen fehlt ihr Hobby!“

Wie hast du herausgefunden, was genau für deine Sängerinnen und Sänger ein großer Verlust ist? „Ein von mir erstellter Fragebogen hat gezeigt, dass sich die meisten Sänger schwer tun, alleine zu üben, doch ist das Singen in der Gemeinschaft zur Zeit einfach nicht möglich. Probenarbeit über diverse Videotools ist für mich keine geeignete Alternative. Die Frage, die ich mir als Chorleiterin stelle ist, wie lange ich die Menschen noch begeistern und somit bei der Stange halten kann. Kreativität ist gefragt – jedoch wird auch viel Eigeninitiative der Sängerinnen und Sänger verlangt.“
In ihren Bögen stellt sie unterschiedliche Fragen: Wie oft übst beziehungsweise singst du in der Woche? Wie übst du? Singst du zur Audiodatei mit oder studierst du deine Noten? Was singst du gerne? Ist das Arbeitsmaterial abwechslungsreich? Gibt es bestimmte Wünsche, was in der Zukunft noch eingebaut beziehungsweise angeboten werden kann? Man sieht – Stephanie macht sich viele Gedanken, um allen möglichst gerecht zu werden – und trotzdem stellt man sich die Frage, ob man das überhaupt kann? Denn die Situation ist gerade für Vereine, egal ob Musik- oder Sängervereine, absolut schwer und benötigt viel Kreativität und Ideenreichtum, um die Mitglieder zu motivieren.

In welcher Form könnte eine erste Probe stattfinden? „Auch hierzu habe ich meine Chormitglieder befragt, denn in den Reihen gibt es viele Sänger, welche Risikogruppen angehören. Außerdem ist das Musizieren bei Sängern und Bläsern aktuell in Baden-Würt­temberg immer noch sehr umstritten. Ein gro­ßer Abstand müsste eingehalten werden – jedoch gibt es im Chor häufig Sänger, die auf die Stimmen der anderen angewiesen sind – viele benötigen jemanden in direkter Nähe, der die Stimme sicher ins Ohr singt – das ist wirklich schwer umzusetzen bei einem Mindestabstand von fünf Metern.“

Wie sieht für dich ein möglicher Wiedereinstieg nach der Corona-Pandemie aus? „Ich frage mich, ob man nach so einer langen Pause überhaupt wieder in eine Konzertvorbereitung starten kann. Wahrscheinlich muss man erstmal viel Zeit, Geduld und Arbeit aufbringen, um den gemeinsamen Klang wiederzufinden. Vermutlich heißt es dann erstmal – back to the roots – wobei der Wiederaufbau vielleicht schneller gehen wird als gedacht. Jedoch wäre es so viel einfacher, wenn man wüsste, dass diese Zeit beschränkt ist – quasi im Ferienmodus.“
Ich habe Stephanie gefragt, wie sie sich in dieser Situation motiviert. Sie nutzt die „freie“ Zeit um mehr zu üben – für sich selbst – denn das bleibt im stressigen Alltag doch häufig auf der Strecke. Außerdem motiviert es sie enorm, andere Menschen weiterhin zu motivieren – hierzu zählt es die „Chorproben“ vorzubereiten und neue Ideen zu finden. Auch wenn die Motivation sehr tagesabhängig ist, versucht sie häufig an die Menschen zu denken, mit denen und für die sie arbeitet. Denn Ziel ist doch, in geraumer Zeit wieder gemeinsam musizieren zu können. Sorgen bezüglich der Situation an sich macht sich Stephanie nicht zu häufig, da sie gesund ist und in einem recht privilegierten Umfeld lebt – denn ihr Lebensgefährte ist ebenso Musiker, jedoch in einer vollen Festanstellung. Außerdem hat sie Mephisto – ihren Hund – dieser motiviert sie mehrmals am Tag an die frische Luft zu gehen und sich auch über das kleinste Hundelächeln zu freuen. Dafür ist sie sehr dankbar!

Zum Schluss noch eine Frage: Was hat sich außermusikalisch an deinem Alltag geändert? „Meine Familie wohnt in Bayern, und wir wissen alle, dass die Richtlinien dort bis vor ein paar Wochen noch deutlich strenger waren als hier bei uns in Baden-Würt­temberg. Mittlerweile sind auch dort die Einschränkungen etwas gelockert beziehungsweise aufgehoben worden – trotzdem sind Besuche nicht ganz so einfach. Auch bin ich ein Mensch, der normalerweise sehr antizyklische Arbeitszeiten hat, doch das hat sich momentan sehr verändert. Zwar ist es für mich relativ normal tagsüber zu Hause zu sein, doch abends bin ich in der Regel immer viel auf Achse.“
Aber auch hier lässt sie sich nicht unterkriegen und versucht das Beste aus der Situation mitzunehmen. Denn plötzlich hat sie keinen Zeitdruck mehr und kann den Tag mehr genießen.

Ein Interview von Maria Wunder mit Stephanie Simon, freiberufliche Sängerin und Gesangspädagogin (www.kupur.de).

 

Autor
Print-Rubriken
Musikgenre