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Was ist ein Musiker wert?

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Zwischen Existenznot und großem Geschäft: Die Einkommensschere bei Interpreten wächst
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[...] Die einen sind schon froh, wenn sie 500 Euro am Abend erhalten und mehr als zwanzig Konzerte pro Jahr auf dieser Basis geben können, die anderen bekommen fünfstellige Abendgagen, können sich vor Angeboten nicht retten und haben ein Jahreseinkommen, das mit Industriemanagern konkurrieren kann. Viele junge Menschen, die vom Solistenberuf und Starruhm träumen, hoffen, dass sie einmal zu diesen „anderen“ gehören werden. [...]

Im Wahlkampf 2013 wird die Gerechtigkeitsdebatte eine große Rolle spielen. Doch diese Frage betrifft nicht nur Manager, sondern ebenso Sportler und Musiker. Die Gagen von Solisten und Ensembles klaffen immer weiter auseinander. Die einen sind schon froh, wenn sie 500 Euro am Abend erhalten und mehr als zwanzig Konzerte pro Jahr auf dieser Basis geben können, die anderen bekommen fünfstellige Abendgagen, können sich vor Angeboten nicht retten und haben ein Jahreseinkommen, das mit Industriemanagern konkurrieren kann. Viele junge Menschen, die vom Solistenberuf und Starruhm träumen, hoffen, dass sie einmal zu diesen „anderen“ gehören werden. Doch nur die wenigsten schaffen es.

Ist das gerecht? Marc Beise hat in der Süddeutschen Zeitung (01.04.13) unter dem Titel „Wem was zusteht“ einen lesenswerten Essay geschrieben, aus dem deutlich wird, wie schwierig die Gerechtigkeitsfrage zu lösen, aber auch wie zentral sie ist; denn immerhin hat sie Verfassungsrang.
Dass die Einkommensschwere bei Interpreten auseinanderdriftet, wird vom Standpunkt der „Verteilungs- und Einkommensgerechtigkeit“ aus als höchst ungerecht empfunden. Viele Musiker sind von ihrem Abschluss her und dem Können auf ihrem Instrument „gleich“ gut. Doch einer schafft die Karriere und viele andere nicht. Oder sind sie doch nicht „gleich“ gut? Es gibt einen Punkt, der nicht mit Hochschulzeugnissen gemessen werden kann: die schwer definierbare „Bühnenpräsenz“, die oft ebenso, wenn nicht sogar mehr, über die Karriere entscheidet, als die technische und künstlerische Meisterschaft, die freilich eine unverzichtbare Voraussetzung ist.
Doch wie kann man Bühnenpräsenz entwickeln und zeigen, wenn es zu wenige Auftrittsmöglichkeiten gibt? Die Zahl der Konzerte hat im Klassikbereich in den letzten Jahren abgenommen. Viele Veranstalter scheuen beispielsweise Kammermusik- und Liederabende, da das Publikumsinteresse hierfür rückläufig ist.
Dagegen wuchs der „Markt“ für Klassik, die sich der Popmusik nähert, für Crossover, für Open-Air-Konzerte etwa mit populären Opernarien. Ein Klassiksolist muss sich Einiges einfallen lassen, um hier konkurrieren zu können. Vielfach wird er auch nicht bei seiner Ausbildung darauf vorbereitet, dass sein Metier nicht nur die Ernste Musik ist, sondern auch das Showbusiness berühren kann. Dieses Showbusiness, das es schon bei Händel und Paganini gab, hat sich heute zum Medienbusiness weiterentwickelt. Die Klassikstars, die wirklich gut verdienen, sind auch Medienstars, sind im Fernsehen und auf Internetplattformen präsent. Manche klagen darüber, dass sie allzu viel Zeit für Interviews und Auftritte in Fernsehshows opfern müssen. Sie sind häufig, wie Peter Schwenkow, einer der erfolgreichsten deutschen Konzertveranstalter sagt, „Dienstleister“, die dem Publikum schöne Erlebnisse verkaufen.
Mit diesem Berufsbild können sich freilich nicht alle Interpreten identifizieren. Sie suchen deshalb lieber Nischen, etwa die Alte Musik oder die Zeitgenössische Musik. Um so eine Nischenkarriere aufzubauen, sind viel Eigeninitiative und ein Startkapital notwendig. Man muss die eigene Demo-CD finanzieren, Flyer und eine Homepage erstellen und vieles mehr. Bei manchen funktioniert dieser Weg. Schwierig ist er alle Mal.
Die Einkommen von Interpreten – das muss zugegeben und konstatiert werden – sind ungerecht verteilt. Auch eine wirkliche Chancengleichheit besteht kaum. Es gibt nicht einmal eine Bedarfsgerechtigkeit; denn die meis-ten Interpreten können nicht allein von dieser Arbeit leben. Bleibt die „Leis-tungsgerechtigkeit“, der Erfolg auf dem Musikmarkt. Doch darunter verstehen Musiker oft etwas anderes als erfolgreiche Konzertmanager wie Peter Schwenkow: Markterfolg wie etwa mit David Garretts Crossover-Shows ist für viele nicht mit ihren künstlerischen Ansprüchen vereinbar – künstlerische Leistung und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unterliegen jeweils anderen Gesetzmäßigkeiten.
Der Klassik-Musikmarkt hat sich in den letzten Jahrzehnten entscheidend verändert. Wie auch in den anderen Bereichen unseres Lebens wurde dabei die Schere zwischen den Einkommen größer. Was bedeutet das für die Kulturpolitik, für die Kulturförderung, für die Nachwuchsförderung? Fragen, die allzu lange nicht gestellt wurden und die in den kommenden Wahlkampfmonaten eine Rolle spielen sollten.

Franzpeter Messmer
(Franzpeter Messmer arbeitet seit Jahren als Festivalleiter und ist als Schriftführer Mitglied des Präsidiums des DTKV)

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