Als mit dem Erlaß des preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 3. Mai 1922 mit einer Aufsicht über den Privatmusikunterricht begonnen wurde, ging ein Aufatmen durch die Reihen der deutschen Musikpädagogen. Nicht daß dieser Erlaß schon eine Erfüllung der seit einem Vierteljahrhundert von den musikpädagogischen Verbänden immer wieder mit Nachdruck erhobenen Forderungen einer gründlichen Neuordnung der wirren Verhältnisse auf dem gesamten Gebiete des Privatmusikunterrichtswesens brachte, im Gegenteil, der Erlaß wies manche Unvollkommenheiten und Schwächen auf, aber der erste Schritt auf dem der Regierung so oft vorgezeichneten Wege war getan, und die Zusage, weitere Bestimmungen treffen zu wollen, ließ für die Zukunft das Beste erhoffen. Die preußische Regierung hat den Vertretern der musikpädagogischen Organisationen, nicht zuletzt nach der bedeutsamen Einwirkung der so allgemein geachteten Persönlichkeit eines Hermann Kretzschmar, bereits in den Jahren vor dem Weltkrieg in dieser Hinsicht bindende Zusagen gemacht. Im einzelnen sei folgendes ausgeführt:
Die staatliche Regelung des Privatmusikunterrichts in Preußen
1. Der Erlaß regelt die Bezeichnung der Musiklehranstalten. Zukünftig gibt es nur drei Bezeichnungen: Hochschule für Musik, Konservatorium, Musikschule. Die Bezeichnung „Hochschule“ verleiht ausschließlich der Minister an Anstalten, die vom Staate oder der Gemeinde auf öffentlich-rechtlicher Basis fundiert oder auf Grund besonderer Stiftungen unterhalten werden. „Konservatorium“ heißen diejenigen Lehranstalten, deren Leiter die vom Staat vorgeschriebene Qualifikation besitzen und die nur staatlich geprüfte, bzw. staatlich anerkannte Lehrkräfte beschäftigen. Der Unterricht in den einzelnen Fächern muß durch verschiedene Fachlehrer erteilt werden; für alle Schüler ist die theoretische Unterweisung obligatorisch. Alle übrigen Musikinstitute heißen Musikschulen. […]
2. Einrichtung einer staatlichen Prüfung zur Erlangung der Lehrbefähigung für den privaten Musikunterricht. Schon vom 1. April 1925 ab hält der preußische Staat, die neugeschaffene Musiklehrerprüfung ab. Bei den Oberpräsidien (Provinzialschulkollegien) werden Prüfungskommissionen eingerichtet, die zur Abnahme der vorerst fakultativen staatlichen Prüfung zusammentreten, sobald ein ausreichendes Bedürfnis vorliegt. […] Die Prüfungsordnung, die wohl Prof. Leo Kestenberg und Prof. Dr. Georg Schünemann im Verein mit Prof. Dr. Karl Thiel und in berechtigter Anlehnung an die vorliegenden Prüfungsordnungen der Verbände aus modernem Geist heraus ausgearbeitet haben, ist in glücklicher Stunde und mit glücklicher Hand konzipiert. […]
3. Bestimmungen für Leiter an Musiklehranstalten. Zur Übernahme der Leitung eines Konservatoriums ist vom I. Oktober 1925 ab die Ablegung der staatlichen Musiklehrerprüfung in einem Haupt- und zwei Zusatzfächern obligatorisch. […]
4. Punkt vier regelt die Verhältnisse in den Stadtkapellen (sogen. Stadtpfeifereien). Auch für die Leiter von Kapellen, die Lehrlinge ausbilden, soll zukünftig die Prüfung in einem Hauptfach (weshalb nicht stets mit dem einen, notwendigen Zusatzfach: Dirigieren?!) obligatorisch sein. Solche Leiter von Stadtkapellen tragen die Bezeichnung „Staatlich geprüfter Musikmeister“ […].
5. Der Unterrichtserlaubnisschein ist vom 1. April 1925 für jeden, der berufsmäßig in Musik unterrichtet, obligatorisch. Die Listen über die erteilten Unterrichtserlaubnisscheine führen die Kreisschulräte, die die Erlaubnis ausfertigen können, wenn vollgültige Unterlagen vorhanden sind (Staatsprüfung, anerkannte Verbandsprüfung, Diplome anerkannter Konservatorien und Seminare). In allen zweifelhaften Fällen entscheidet der Fachbeirat des Provinzialschulkollegiums über die Unterrichtserlaubnis. […]
Jedenfalls besteht in den Kreisen aller deutschen Musikpädagogen der lebhafte Wunsch einer baldigen und dann auch durchgreifenden Einführung der erstrebten Reformen, von der wir uns nicht nur eine Besserung der beruflichen Verhältnisse, sondern vor allem auch eine segensreiche Auswirkung für die Volksmusik und eine allgemeine Befruchtung unserer musikalischen Verhältnisse versprechen.
Arnold Ebel, 46. Jg., Heft 4, November 1924
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