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„Amputation mit gleichzeitiger Therapie gegen Phantomschmerzen“: Agnes Krumwiede sieht Teile der baden-württembergischen Musikhochschulpläne ihrer Parteifreundin kritisch

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Mit einer ausführlichen Stellungnahme hat sich die Bundestagsabgeordnete Agnes Krumwiede zu den baden-württembergischen Musikhochschul-Sparplänen geäußert. Darin geht die kulturpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen teilweise auf Distanz zu ihrer Parteifreundin, der Wissenschaftsministerin Theresia Bauer.

Agnes Krumwiede, die als ausgebildete Konzertpianistin auch im Deutschen Tonkünstlerverband aktiv ist, geht zunächst kritisch auf die Einschätzung des Landesrechnungshofes ein, es werde über Bedarf ausgebildet. Es sei notwendig, so Krumwiede, „im künstlerischen Bereich eben keine ‚Kosten-Nutzen-Rechnung‘ anzusetzen“.

Was die Eckpunkte des Ministeriums betrifft, so sind diese laut Krumwiede kein „in Stein gemeißeltes, komplett ausgearbeitetes Konzept“. Es gebe „Raum und Möglichkeiten für konstruktive Vorschläge“, das Dialogverfahren solle noch bis Ende Oktober laufen.

In Sachen Trossingen übt Agnes Krumwiede allerdings deutliche Kritik: „Die Musikhochschule in Trossingen soll nach Überlegungen des Ministeriums auf die Schwerpunkte Alte Musik und EMP zusammengeschmolzen werden und zukünftig die Musikhochschul-Akademie Baden-Württemberg beherbergen. Diese Maßnahme wirkt auf mich wie eine Amputation mit gleichzeitiger Therapie gegen
Phantomschmerzen. Ich bin der Überzeugung, dass hier bis zum Abschluss des Dialogverfahrens eine bessere Lösung gefunden werden kann.“

Die Aufwertung der Popakademie zu einer regulären Hochschule bezeichnet die Grünen-Abgeordnete als „große Chance“. Dass „ausgerechnet in Mannheim die Schulmusik eingespart werden“ solle, hält sie dagegen für „nicht nachvollziehbar“.

Agnes Krumwiedes Stellungnahme im Wortlaut:

Kommentar zur Weiterentwicklung der Musikhochschulen in Baden-Württemberg von Agnes Krumwiede MdB, Sprecherin für Kulturpolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen

Die „Beratende Äußerung“ des Baden-Württembergischen Landesrechnungshofes über die Zukunft der Musikhochschulen in Baden-Württemberg berührt essenzielle Fragen. Wie viele Instrumentalistinnen und Instrumentalisten „braucht“ unsere Gesellschaft? Ich frage mich: Gibt es eine solche „Kosten-Nutzen-Rechnung“ in Form einer „Bedarfs-Analyse“ auch in anderen Bereichen - für Juristinnen und Juristen beispielsweise?

In der Analyse des Baden-Württembergischen Landesrechnungshofes über die Zukunft der Musikhochschulen in Baden-Württemberg wird konstatiert, dass es „keine belastbare Statistik über Anstellungs- Beschäftigungsverhältnisse der Absolventen“ gäbe. Folgerichtig zieht die Behörde daraufhin den Schluss, dass eine Absolventenbefragung die geeignete Lösung sei, diesbezüglich belastbare Daten zu erheben. Trotz offenkundig fehlender Fakten darüber, welche Berufe Absolventinnen und Absolventen der fünf Musikhochschulen in Baden- Württemberg nach Beendigung ihres Musikstudiums ergreifen, kommt die Behörde zu dem Schluss, an den Musikhochschulen werde „über den Bedarf hinaus ausgebildet“.

Vor allem im künstlerischen Studiengang Klavier. Schließlich sei nur ein Bruchteil der in diesem Studiengang Ausgebildeten später als Solistin oder Solist tätig. Sehr häufig seien diese hochqualifizierten Absolventinnen und Absolventen im pädagogischen Bereich anzutreffen, wofür eine „weniger aufwendige Ausbildung notwendig wäre“.

Von einer „Fehlallokation öffentlicher Ressourcen“ ist die Rede.
Das Unterrichten schließt eine Konzerttätigkeit nicht aus. Kaum eine Pianistin oder ein Pianist kommt ohne Zusatzeinkünfte durch Korrepetition oder Lehrtätigkeit aus. Der „Bedarf“ an qualifizierten Instrumentallehrkräften ist in vielen Bundesländern und Kommunen vorhanden, allein in Berlin stehen Hunderte auf Wartelisten für einen Platz an öffentlichen Musikschulen. Ob Studierende im instrumentalen oder gesanglichen Hauptfach später eine Karriere als Solistin oder Solist bestreiten, ist nicht planbar. Umso notwendiger ist es, im künstlerischen Bereich eben keine „Kosten-Nutzen-Rechnung“ anzusetzen. Es liegt im Wesen unserer öffentlichen Kulturförderung, junge Menschen in ihrer künstlerischen Entwicklung zu unterstützen, deren späterer Erfolg auf dem freien Markt nicht hundertprozentig prognostiziert werden kann.

Welche Berufslaufbahn hat die überwiegende Mehrheit der Studierenden an Musikhochschulen also vor sich, die eine Aufnahmeprüfung und ein anspruchsvolles Studium absolviert haben? Welches Einkommen haben die meisten von ihnen zu erwarten?

Lediglich zwischen 9 T und 12 T EUR verdient die Mehrheit der über die Künstlersozialkasse versicherten selbstständigen Musikerinnen und Musiker pro Jahr. Die Gründe dafür sind vielfältig. Einer davon ist die hohe Bereitschaft zur Selbstausbeutung unter Musikerinnen und Musikern. Vor die Alternative gestellt, ein Konzert ohne Gage zu spielen oder gar nicht aufzutreten, würden die meisten sich sicherlich für das Konzert entscheiden. Die meisten Absolventinnen und Absolventen von Musikhochschulen können nicht allein vom Konzertieren leben, erhalten keine hoch dotierte Professur, sondern gehören zu den Geringverdienern unserer Gesellschaft. Warum bewerben sich trotzdem jedes Jahr so viele auf einen begehrten Studienplatz an einer Musikhochschule?

Junge Menschen, die sich für ein künstlerisches Studium entscheiden, wissen um ihre wirtschaftlich unsichere Zukunft. Sie studieren aus Idealismus. Sie wollen unsere Gesellschaft bereichern mit ihrem Können, ihrer Leidenschaft, ihrer Kreativität. Um welchen Preis auch immer. Weil sie gar nicht anders können und wollen. Musikerinnen und Musiker entwickeln durch die intensive Auseinandersetzung mit ihrem Instrument Fähigkeiten, die auf dem Arbeitsmarkt auch in „kunstfernen“ Berufen gefragt sind: Konzentrations- und Durchhaltevermögen, Frustrationstoleranz, die Fähigkeit zum Erfassen komplexer Zusammenhänge – kaum eine Tätigkeit trainiert unser Gehirn so effektiv, wie regelmäßiges Musizieren. Das kreative und intellektuelle Potential der Absolventinnen und Absolventen von Musikhochschulen ist groß. Aber wird dieses Potential an den Musikhochschulen umfassend gefördert?

Angeregt durch motivierte und motivierende Lehrkräfte an Musikhochschulen wird in künstlerischen Hauptfächern oft der Traum auf den großen solistischen Erfolg genährt. Die berufliche Aussicht auf eine spätere Berufslaufbahn als Pädagoge oder Pädagogin ist in den meisten Fällen nicht Bestandteil dieses Traums. Die Enttäuschung ist vorprogrammiert.

Darin sehe ich ein großes Versäumnis im System vieler Musikhochschulen. Wie an vielen anderen Musikhochschulen im Bundesgebiet ist es auch in Baden-Württemberg an den Hochschulen für Musik in Freiburg, Mannheim und Stuttgart (im Master-Studiengang Klavier) möglich, das künstlerische Hauptfach Klavier im Bachelor- bzw. Diplommusiker/In-Studiengang zu studieren, ohne pädagogische und methodische Pflichtfächer belegen zu müssen. Das Unterrichten, das Weitergeben der künstlerischen Fähigkeiten an nachfolgende Generationen, sollte jedoch selbstverständlicher Bestandteil jeglicher künstlerischen Berufsausbildung sein.

Lehren ist kein Selbstzweck, sondern stärkt zugleich auch die Reflektion der eigenen künstlerischen Fähigkeiten. In Baden-Württemberg sollen die Studienplätze in  Elementarer Musikpädagogik (EMP) verdoppelt werden - ganz im Sinne des Rechnungshofes. Denn der Studiengang EMP ist eine „weniger aufwendige Ausbildung“ als ein Bachelor im künstlerischen Instrumentalfach- der instrumentale oder gesangliche Einzelunterricht für EMP- Studierende kann von Lehrbeauftragten übernommen werden. Allerdings decken Absolventinnen und Absolventen im Bereich EMP nur einen Teil des „Bedarfs“ im Bereich kulturelle Bildung ab, nämlich die musikalische Früherziehung. Die künstlerische Qualität der Lehrkraft lässt sich in der musikalischen Ausbildung Fortgeschrittener nicht trennen von der pädagogischen Qualifikation: Je besser jemand sein oder ihr Instrument beherrscht, desto besser wird er oder sie auch unterrichten- eine geeignete und motivierende didaktische Ausbildung innerhalb des Studiums vorausgesetzt!

Nicht nur was die Notwendigkeit des Unterrichtens als obligatorischen Bestandteil des künstlerischen Studiums betrifft, auch insgesamt fehlt es im System vieler Musikhochschulen an vorbereitenden Maßnahmen auf die Realität des Broterwerbs. Allzu oft werden Instrumentalistinnen und Instrumentalisten im Elfenbeinturm der Musikhochschulen zu hervorragenden Solistinnen und Solisten ausgebildet, die sich später physisch und psychisch in der Realität eines Orchestergrabens, eines Opernchores oder einer Musikschule nicht zurechtfinden. Viele Karrieren scheitern an fehlender Fähigkeit und Hilfestellung zur Selbstvermarktung, an fehlenden Lehrinhalten beim Umgang mit Lampenfieber, an mangelnder Orchesterpraxis und an mangelhafter Vorbereitung auf Wettbewerbssituationen sowie auf Probespiele.

Reformen an den Musikhochschulen hin zu mehr zukunfts- und berufsorientierten Bildungsinhalten sind dringend erforderlich. Dazu gehört auch mehr Praxiserfahrung innerhalb des Studiums - Konzepte zur Stärkung von verstetigten Kooperationen zwischen kommunalen Bildungs- und Kultureinrichtungen und den Musikhochschulen wären wünschenswert.

Veränderungen sind schmerzhaft. Insbesondere, wenn sie in etablierte Strukturen eingreifen und Mittel-Kürzungen vorgesehen sind.
Bei allem Unmut angesichts der Konsolidierungs- und Umstrukturierungspläne im rauen Wahlkampfklima dürfen einige Fakten nicht außer Acht gelassen werden: Die komplette Schließung der Musikhochschule Trossingen konnte 1998 gerade noch verhindert werden, als der damalige Staatssekretär Christoph Palmer (CDU) das Budget aller Musikhochschulen um 20 Prozent kürzen wollte. Der momentan kursierende Vorschlag beinhaltet im Unterschied zu 1998 keine Schließung einer der fünf Musikhochschulen in Baden-Württemberg.

Die Haushaltskonsolidierung ist unumgänglich und bei den Musikhochschulen wird vermutlich keine Ausnahme gemacht werden. Bei den Eckpunkten des Ministeriums handelt sich nicht um ein in Stein gemeißeltes, komplett ausgearbeitetes Konzept, sondern um einen Rahmenvorschlag. Bisher ist noch nichts definitiv beschlossen, es gibt Raum und Möglichkeiten für konstruktive Vorschläge, das Dialogverfahren soll noch bis Ende Oktober laufen.

Am aktuellen Stand der Umstrukturierungspläne habe ich persönlich folgende Kritik:

Unter anderem macht der Baden-Württembergische Landesrechnungshof in seiner „Beratenden Äußerung“ Vorschläge, den hohen Anteil ausländischer Studierender an den fünf Musikhochschulen zu begrenzen. Mehr als ein Drittel der Studentinnen und Studenten an Kunst- und Musikhochschulen in Baden-Württemberg kommt aus dem Ausland. Wissenschaftsministerin Theresia Bauer hat bereits signalisiert, der Empfehlung des Landesrechnungshofes, Studiengebühren für Studierende aus dem Nicht-EU-Ausland zu erheben, kritisch gegenüber zu stehen. Derzeit läuft ein Prüfungsverfahren.

Abgesehen von den rechtlichen Hürden und der einseitigen Benachteiligung von Studienplatzanwärtern aus dem Nicht-EU-Ausland würde der Vorschlag des Landesrechnungshofes dem Anspruch von Musikhochschulen widersprechen, Bewerberinnen und Bewerber um Studienplätze einzig und allein nach dem Kriterium ihrer Fähigkeiten auszuwählen.

Bestehen bleibt dennoch ein Konkurrenznachteil für deutsche Bewerberinnen und Bewerber, der durch das achtjährige Gymnasium noch weiter verschärft wurde: Im Gegensatz zu vielen osteuropäischen und asiatischen Ländern gibt es im deutschen Bildungssystem wenig Zeit und Raum für die schulische und außerschulische Vorbereitung auf eine künstlerische Aufnahmeprüfung - weder auf den praktischen noch den theoretischen Teil. Ein ganzheitliches Bildungskonzept zur Entwicklung musikalischer Fähigkeiten, das Gehörbildung, Musiktheorie und die praktische Erfahrung des Musizierens methodisch und spielerisch miteinander verknüpft, wäre nicht nur unter dem Aspekt einer besseren Vorbereitung auf die Aufnahmeprüfung erstrebenswert.

Die Musikhochschule in Trossingen soll nach Überlegungen des Ministeriums auf die Schwerpunkte Alte Musik und EMP zusammengeschmolzen werden und zukünftig die Musikhochschul-Akademie Baden-Württemberg beherbergen. Diese Maßnahme wirkt auf mich wie eine Amputation mit gleichzeitiger Therapie gegen Phantomschmerzen. Ich bin der Überzeugung, dass hier bis zum Abschluss des Dialogverfahrens eine bessere Lösung gefunden werden kann. Denn die Förderung von Inspiration und Interaktion der unterschiedlichen Fachgruppen einer Musikhochschule ist ein nicht zu unterschätzender Qualitätsfaktor für die ganzheitliche musikalische Ausbildung. Wenn instrumentale und gesangliche Hauptfachstudierende jenseits der Alten Musik fehlen, gehen entscheidende Motivations- und Inspirationselemente einer Musikhochschule verloren. Interaktionen im zwischenmenschlichen und musikalischen Bereich können nicht durch eine Musikhochschul-Akademie ersetzt werden. Eine ausschließliche Konzentration der Ressourcen in den Bereichen Alte Musik und EMP in Trossingen halte ich daher nicht für erstrebenswert.

Die Vielfalt der Lehre an Musikhochschulen sollte gewahrt bleiben und Interdependenzen und Interaktionen einzelner Fachgruppen gestärkt werden. Das muss keinen Widerspruch bedeuten zu dem Bestreben, Schwerpunkte zur stärkeren Profilbildung der fünf Baden-Württembergischen Musikhochschulen zu setzen.

Dass die Popakademie in Mannheim nach dem LHG zu einer regulären Hochschule aufgewertet werden soll, ist eine große Chance. Dadurch hätte Baden-Württemberg ein bundesweites Alleinstellungsmerkmal. Die Überwindung des elitären Denkens in „U“ und „E“- Musik ist längst überfällig. Annäherung und fruchtbarer Austausch zwischen den Fachgruppen der Bereiche Jazz,Tanz, Klassik und Popularmusik können jedoch nur gelingen, wenn nicht die kompletten Studiengänge Schulmusik, instrumentale Hauptfächer einschließlich des Gesangs aus Mannheim verdrängt werden. Kenntnisse und Fähigkeiten der „Popularmusik“ sind unverzichtbar für eine zukunftsorientierte Ausbildung von Schulmusikerinnen und Schulmusikern. Dass ausgerechnet in Mannheim die Schulmusik eingespart werden soll, ist nicht nachvollziehbar.

In Stuttgart wiederum soll der etablierte Studiengang „Jazz und Pop“ entwurzelt und nach Mannheim „exportiert“ werden. Die „Jazzer“ jedoch sind im Stuttgart Kulturbetrieb fest verankert, haben dort Auftrittsmöglichkeiten und sind integriert in der Kulturszene.

Die Methode „lokale Bündelung von Kompetenzen und Ressourcen“ ist meiner Ansicht nach nicht zielführend, sondern verstärkt nur die Isolation und Exklusion einzelner Fachgruppen. Bei allen weiteren Überlegungen sollte auch der Vorschlag des Rechnungshofes berücksichtigt werden, die jährliche Gesamtzuweisung ab 2015 auf 40,2 Mio. EUR zu reduzieren mit einer tariflichen und gesetzlichen Personalkostensteigerung von 2 Prozent pro Jahr. Reformen an Musikhochschulen sind dringend notwendig, Baden-Württemberg kann dabei eine Vorbildfunktion übernehmen, sofern sich alle Beteiligten konstruktiv am Umstrukturierungsprozess beteiligen und ihre Expertise bei der Erarbeitung eines ausgewogenen Gesamtentwicklungskonzeptes einbezogen wird.
 

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