Berlin - Knabenchöre sind für die Musikwissenschaftlerin Ann-Christine Mecke nach wie vor für zeitgemäß. "Sie werden nicht aussterben, davon bin ich überzeugt", sagte Mecke der Nachrichtenagentur dapd anlässlich des 800. Jubiläums des Thomanerchors. Neben dem besonderen Klang hätten die Chöre auch den pädagogischen Zweck, "Jungen zum Singen zu führen".
In gemischten Chören seien die Mädchen in der Regel in der Überzahl. Dadurch nehme das Interesse der Jungen ab, da ihnen das Singen als "eine Mädchenangelegenheit" erscheine. Die Wissenschaftlerin von der Hochschule für Musik und Theater Leipzig würdigte die Thomaner als einen "ausgesprochen traditionsreichen und sehr guten Knabenchor". Seine besondere Bedeutung habe er dadurch erlangt, dass Johann Sebastian Bach den Chor fast drei Jahrzehnte lang geleitet und viele Werke für ihn geschrieben habe. Der Knabenchor sei somit das "Originalinstrument" für diese Stücke: "Der Klang des Chores ist in diese Musik eingeschrieben".
Eine große Herausforderung für die Knabenchöre ist aus Meckes Sicht der Stimmbruch. "Das ist für die Chöre tatsächlich ein Thema", sagte sie. Zu Bachs Zeiten habe der Wechsel zur Männerstimme etwa drei Jahre später als heute eingesetzt. Somit sei es inzwischen schwieriger, die Sänger in der kurzen Zeit auf das gewünschte Niveau zu führen.
Ob die strenge Ausbildung im Internat der Thomaner eine musikalische Karriere begünstige, hänge vom Charakter der Kinder ab. "Diejenigen, die das stimmlich und psychisch gut verkraften, haben hinterher gute Voraussetzungen, professionell Musik zu machen", sagte Mecke. Eine derart intensive und frühe musikalische Ausbildung sei anderswo kaum möglich. Anderseits bestehe die Gefahr, die Kinder zu überlasten und ihrer Stimme zu schaden. "Wahrscheinlich liegt die Wahrheit in der Mitte", erklärte Mecke.
Mit einer Festwoche feiert der Leipziger Thomanerchor ab Montag (19. März) seinen 800-jähriges Bestehen. Einer der Höhepunkte ist am Dienstag (20. März) ein Festakt in der Thomaskirche mit anschließender Eröffnung des Campus "forum thomanum" samt Kindertagesstätte, Grundschule und dem Gymnasium Thomasschule.
Als weiteres Highlight der Festwoche findet am Mittwoch (21. März) ein Bürgerfest im Leipziger Rathaus statt. Dabei wird unter anderem die Popband "Die Prinzen" singen, die aus ehemaligen Mitgliedern des Thomanerchors und des Dresdner Kreuzchors besteht. Am Samstag (24. März) treten neben den Thomanern der Choir of King's College aus Cambridge, der Dresdner Kreuzchor und die Regensburger Domspatzen auf.
Wichtige Entwicklungen in der Geschichte des Thomanerchores:
1212: Der Thomaskirche wird eine Schule angeschlossen, aus deren Schülern der Thomanerchor rekrutiert wird.
1409: Der Thomanerchor singt zu den Gründungsfeierlichkeiten der Universität Leipzig, Deutschlands zweitältester Universität mit durchgängigem Lehrbetrieb.
1519: Thomaskantor Georg Rhau führt aus Anlass der Disputation zwischen Martin Luther und Johann Eck eine zwölfstimmige Vokalmusik, eine Motette, in der Thomaskirche auf.
1723: Johann Sebastian Bach übernimmt das Amt des Thomaskantors, das er bis 1750 innehat. Er prägt den Chor nachhaltig.
1920: Erste Auslandstournee des Chores, die ihn nach Dänemark und Norwegen führt.
1921: Der Thomanerbund als Verbindung ehemaliger Thomaner wird gegründet.
1937: Der Thomanerchor wird in die "Hitlerjugend" eingegliedert, bleibt aber bei seiner geistlichen Programmausrichtung.
1954: Der Thomanerbund Frankfurt am Main gründet sich als "Exilorganisation" der Ehemaligen.
1972: Hans-Joachim Rotzsch übernimmt die Leitung des Chores. Er tritt 1991 zurück, nachdem seine Tätigkeit als Informeller Mitarbeiter (IM) der DDR-Staatssicherheit bekannt wird.
1992: Mit Georg Christoph Biller wird der 16. Thomaskantor nach Johann Sebastian Bach berufen.
2012: Der Thomanerchor feiert seinen 800. Geburtstag.