Hauptrubrik
Banner Full-Size

35. Leipziger Jazztage bewegen sich "Zwischen Mahler und Miles"

Publikationsdatum
Body

Leipzig - Vom 9. bis zum 18. September steht Leipzig ganz im Zeichen des Jazz. Unter dem Motto "Zwischen Mahler und Miles" interpretieren Musiker aus aller Welt bei den 35. Leipziger Jazztagen die Werke der beiden Künstler neu, wie Stefan Heilig, Geschäftsführer des Leipziger Jazzclubs, am Donnerstag vor Journalisten sagte.

So wird der Pianist Michael Wollny Gustav Mahlers "Kindertotenlieder" darbieten und der Trompeter Martin Auer mit seinem Quintett Miles Davis' "Kind of Blue" in modernisierter Form aufführen. Das traditionelle Programm "Jazz für Kinder" nimmt das junge Publikum auf eine musikalische Weltreise mit.
 

Ergänzend dazu aus der Pressemeldung der Jazzclubs Leipzig:

„Zwischen Mahler und Miles.“

Mahler und Miles – ist das überhaupt ein Rahmen für ein Jazzfestival? Das ein Miles Davis für den Jazz von zentraler Bedeutung ist, wird keiner bezweifeln; doch Mahler – was hat Mahler mit Jazz zu tun? Scheinbar nichts. Kehren wir also die Frage um: Was hat der Jazz mit Mahler zu tun? Zunehmend mehr. Während einem vor wenigen Jahren nur der Name Uri Cane eingefallen wäre (Gustav Mahler in Toblach), hat man inzwischen schon einige Auswahl. Der 150. Geburtstag im vergangenen Jahr mag ja gewiss ein verstärkter Impuls gewesen sein. Doch es gibt auch Jazzmusiker, die stark von Mahler beeinflusst sind, ohne dies je eigens thematisiert zu haben, auch nicht aus jubilarischem Anlass. Da wäre etwa der Norwegische Gitarrist und Komponist Terje Rypdal: ein Urgestein der skandinavischen Jazzszene und neben seinen früheren Mitstreiter Jan Garbarek eines der prominentesten Aushängeschilder des ECM-Labels. Seine Musik speist sich aus so unterschiedlichen Quellen wie Hendrix, Coltrane, Penderecki, Ligeti und – Mahler. Ein Spektrum, das sich in der überlangen Diskografie spiegelt, die neben zahllosen Rockjazz-Projekten auch sehr viele kammermusikalische, orchestrale und chorische Werke aufweist, darunter fünf Symphonien, zwei Opern, ein Doppelkonzert, Konzert für Klavier, Horn und Violine und etliche Streichquartette. Der Bezug zur Neuen Musik wird deutlich in den Alben Actions (Penderecki), Mnaomai, Mnaomai (Heinz Reber), Q.E.D., Lux Aeterna (Ligeti) sowie zuletzt in seiner Zusammenarbeit mit dem Ensemble zeitkratzer. Die Nähe zu Mahler indes bekundet sich nicht zu sehr in einem speziellen Projekt als vielmehr in jenem elegischen Grundton, der die Quintessenz seines Sounds ausmacht: es ist der Mahler der großen Adagios der uns hier in neuem Gewand begegnet. Verkürzt könnte man sagen, Mahler und Hendrix sind die beiden ineinander verschlungenen roten Fäden dieser Musik. Vielleicht liegt es an diesem intimen Bezug, dass ein entsprechendes Album zu keinem der beiden existiert. Und doch wäre kein Zeitpunkt geeigneter, wenn das zu Mahler endlich erschiene – und kaum ein andrer so prädestiniert, es endlich zu liefern. Einer Mahler-Hommage von und mit Terje Rypdal (ergänzt um Schlagzeug, Bass und Streicher) wäre nicht nur ein ästhetischer Glanzpunkt dieses Jahres sondern ein innovativer Meilenstein in der Geschichte des Festivals.

Der schwedische Bassist Lars Danielsson und der Schlagzeuger des Esbjörn Svensson Trio Magnus Öström treffen in einer Premiere auf den aus Israel stammenden Pianisten Yaron Herman. Alle drei begeben sich erstmals auf Mahlersche Spurensuche.

Unter den Mahler-Verehrern des deutschen Jazz ragt ein Name heraus, der auf einem Festival dieser Art natürlich nicht fehlen darf: der Pianist Michael Wollny. In Leipzig wird er die Kindertotenlieder vorstellen, einen Liederzyklus, den Mahler zwischen 1901 und 1904 nach Texten einer gleichnamigen Gedichtsammlung von Friedrich Rückert komponierte. Und es gibt noch einen weiteren großen Pianisten, der hier nicht fehlen darf: Brad Mehldau.

Wenn irgendeiner die Spätromantik geradezu inhaliert hat, dann er. Egal, was er spielt: so, wie er spielt, ist er für „Mahler im Jazz“ wie geschaffen. Doch es geht auch gar nicht um Mahler allein: Sein Name ist wohl einer der beiden Brennpunkte des Festivals, steht aber nur pars pro toto. Es geht um das Verhältnis von Jazz und Klassik bzw. von Neuer Musik.

Nun ist Mahler mehr als Spätromantik – er markiert das Ende der klassischen Form und den Übergang zur Moderne. Nicht von ungefähr berufen sich auf ihn auch die drei großen Namen der Wiener Schule: Schönberg, Webern und Berg. Es versteht sich also von selbst, das auch die Neue Musik vertreten sein wird: in der Oper durch das in diesem Jahr eingespielte Divertimento für Tenorsaxofon und kleines Ensemble von Carl Oesterhelt; in der Reformierten Kirche durch Kompositionen von Prof. Volker Bräutigam (Kirchenmusik und Jazz), durch dessen ganzes Schaffen die Neue Musik sich wie ein Roter Faden zieht – neben dem Jazz. An weiteren Spielstätten wird es um das Verhältnis zwischen Neuer Musik und freier Improvisation gehen. Hier sind die Soko Steidle und das Contemporary Noise Sextet dem Freigeist auf der Spur.

Soweit der eine Schwerpunkt. Den andern verkörpert ein Name, der für die Entwicklung des Jazz eine vergleichbare Bedeutung hat wie derjenige Mahlers für die der Klassik. Steht Gustav Maher an der Schwelle zur Neuen Musik, so überschreitet Miles Davis die Schwelle vom Jazz zum Rock. Es ist dies nicht der einzige Entwicklungsimpuls, den der Jazz diesen Proteus verdankt, aber er folgenschwerste. Ein großer Geburtstag müsste das ganze Schaffen beleuchten; der 20. Todestag darf sich auf drei Hauptphasen beschränken. Die Cooljazzphase wird durch die Bigband Spielvereinigung Sued und dem Gasttrompeter Frederik Köster vertreten sein: neben Arrangements des genialen Komponisten, Arrangeurs und Pianisten Gill Evans - mit dem Miles viele Jahre zusammenarbeitete - werden auch von seinem Stil inspirierte Eigenkompositionen der ausführenden Künstler zu hören sein. Ein Miles-Tribute aus der Feder des Trompeters Martin Auer beleuchtet das wichtigste Album der Hardbop-Phase (wenn nicht das Jazzalbum überhaupt): Kind of Blue.

Mit dem US-amerikanischen Keyboarder und einstigen Mitstreiter Adam Holzman wird die späte elektrische Phase sogar personell auf der Bühne präsent sein. Derselben Phase verpflichtet ist die nimmermüde Band Code MD aus Dresden, um den Bassisten Tom Götze, den Keyboarder Andreas Gundlach und den Mitgründer der Dresdner Sinfoniker Sven Helbig – Solisten eines Formats, das sie zu Mitspielern ihres Vorbilds qualifiziert hätte. In elektronische Klangwelten entführen uns das Hidden Orchestra, Masayoshi Fujita (Vibrafon) und Jan Jelinek.

Beim traditionellen Jazz für Kinder gehen Jorinde Jelen und Jurie Tetzlaff (KiKa-Moderator und UNICEF-Sonderbotschafter)auf große Musikweltreise. Wer kommt mit?

Überdies ist, begleitend zum akustischen Geschehen, an eine fotografische Retrospektive gedacht, die sich nicht nur Miles Davis widmet, sondern auch dem Festival selbst: die Leipziger Jazztage feiern ihren 35. Geburtstag.

Line Up:
Brad Mehldau, Adam Holzman´s Brave New World, Terje Rypdal, Palle Mikkelborg, Lars Danielsson, Yaron Herman, Magnus Öström, Johannes Enders & Carl Oesterhelt, Malia, Michael Wollny, Code MD, Martin Auer, Spielvereinigung Sued & Frederik Köster, Masayoshi Fujita & Jan Jelinek, So Weiss feat. Carsten Daerr, Volker Bräutigam, Contemporary Noise Sextet, SoKo Steidle, Hidden Orchestra, Jorinde Jelen Band & Jurie Tetzlaff, Niklas Kraft Trio …

 

Ort
Musikgenre