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Chöre dürfen wieder singen: Junge Leute sind erleichtert

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Hannover - In der Corona-Pandemie sinkt die Zahl der Neuinfektionen, Chorproben sind in Niedersachsen wieder möglich - und vor allem junge Sängerinnen und Sänger atmen auf. «Sie freuen sich natürlich unheimlich, in der Chorgemeinschaft wieder angekommen zu sein und ihre Freundinnen und Freunde zu sehen», sagte die emeritierte Hochschullehrerin und Chorleiterin Gudrun Schröfel im Interview der Deutschen Presse-Agentur in Hannover.

Im Falle künftiger Infektionswellen will sie mehr Planbarkeit, auch solle selbst bei steigenden Infektionszahlen mit Abstand geprobt werden können. Chöre hätten wie Orchester und Theater ein Hygienekonzept, betonte sie.

Frage: Nach der monatelangen Corona-Zwangspause geht es endlich weiter mit den Chorproben, wenn auch zunächst unter freiem Himmel. Wie wird das angenommen?

Antwort: Das funktioniert sehr gut und wird auch sehr gut angenommen, weil die Stadt etliche Grünflächen zur Verfügung gestellt hat. Allerdings können wir ab Donnerstag schon wieder drinnen proben, wenn wir die Regeln einhalten - mit dem gesamten Chor. Aber auch während der Zwangspause haben wir so weitergemacht wie es erlaubt war. Laut Verordnung durften wir mit Quartetten und zuvor mit Doppelquartetten für Gottesdienste proben. Das haben wir sehr gerne in Anspruch genommen und etliche Kleingruppen gebildet, die dann in den verschiedensten Kirchen gesungen haben. Und jetzt dürfen die Chöre wieder mit allen proben, soweit sie in der Lage sind, die Abstände einzuhalten.

Frage: Wie hat sich die Pause auf die Sängerinnen und Sänger ausgewirkt, gerade auf die jüngeren?

Antwort: Die stimmliche Verfassung hat ganz sicher unter der Pause gelitten. Bei Online-Proben auf den verschiedenen Plattformen hat man sich entweder nicht gehört oder nicht gesehen. Das hat mit Sicherheit nicht dazu geführt, dass Stimmtechnik und musikalische Gestaltungsmöglichkeiten auf dem erreichten Niveau geblieben sind oder sich gar weiterentwickelt haben. Sondern ich stelle fest, dass die Leistungsfähigkeit insgesamt gelitten hat. Das gilt es nun wieder auf den vorher erreichten Stand zu bringen. Allerdings gab es auch eine positive Seite: Durch die Kleingruppen konnten wir Chorleiter und Chorleiterinnen die individuellen Stimmen viel genauer hören als im Tutti-Chor.

Frage: Was bedeutet das konkret?

Antwort: Zunächst einmal hat die differenzierte Gestaltungsarbeit an den Chorwerken gelitten, denn die Plattformproben sind ja im Grunde unkontrollierbar gewesen. Ein Problem war auch, dass es keine Zielsetzung gab - wenn man das mit normalen Zeiten vergleicht, wo man in den Proben auf ein Konzert zuarbeitet und ein Programm letztendlich bewältigt. Aber da war überhaupt nichts, weil es keine Zielsetzungen gab, und das ist gerade bei jungen Leuten natürlich fatal. Wenn die zuhause in ihrem stillen Kämmerlein sitzen und ganz allein singen müssen - das funktioniert nicht. Sie singen nicht so wie in der Probe im großen Raum, viele fühlen sich nicht wohl, wenn Geschwister, Eltern, Nachbarn zuhören. Auch leidet die Stimmtechnik schon dadurch, dass man die Körperlichkeit nicht korrigieren kann: Aufrichtung, Atmung, Vokalausgleich, Registerausgleich - alles schläft ein. Sie sind noch nicht so weit, den Sänger-Apparat so einzustellen, dass die Stimme locker und mühelos strömt.

Frage: Wie reagieren die jungen Sänger persönlich darauf, dass sie jetzt wieder zusammenkommen können?

Antwort: Da herrscht große Erleichterung. Es ist ganz prima, dass sie sich wiedersehen. Das ist soziokulturell genauso wichtig wie das Singen. Sie freuen sich natürlich unheimlich, in der Chorgemeinschaft wieder angekommen zu sein und ihre Freundinnen und Freunde zu sehen. Ich habe teils unter dem Parkdeck einer Versicherung geprobt, das man uns zur Verfügung stellte - was natürlich viel besser war, als darauf angewiesen zu sein, dass man draußen proben kann, weil es ja immer auch einen Wetterumschwung geben kann. Manchmal musste man ganz kurzfristig die draußen geplante Probe wieder absagen, das war dann immer wieder eine Enttäuschung.

Frage: Haben Sänger in der Corona-Zwangspause aufgegeben - oder ganze Chöre?

Antwort: Man hört, dass es in den gemischten Chören schon einen Rückgang gegeben hat, in den Jugendchören weniger. Einige wenige haben aufgehört, aber das ist überschaubar.

Frage: Nun bringt eine Krise wie diese im Idealfall neue Erkenntnisse. Was werden Sie beibehalten aus der Corona-Zeit?

Antwort: Es gibt Dinge, die man ganz gerne beibehalten würde. In der Chorarbeit singt man nicht nur, sondern vermittelt jungen Leuten auch allgemeine Inhalte, beispielsweise Entstehungszeit einer Komposition oder Analyse einer Komposition. Und weil ich die Stimmbildung über Online-Schalte nicht sinnvoll fand, habe ich mit einer Gruppe Theorieunterricht gemacht, also Akkorde bestimmen, hören und analysieren. Das könnte man beibehalten, das schärft das Gehör.

Frage: Hat es die jungen Sänger weitergebracht, sich in der Corona-Pause auf eine völlig andere Arbeitsweise einzustellen?

Antwort: Ja, ich denke schon. Was ich sehr, sehr positiv fand, war, dass die jungen Leute nicht gemault, sondern sich darauf eingelassen haben.

Frage: Trotzdem arbeitet man nach wie vor auf ein eher unbestimmtes Ziel hin - denn ob nun beispielsweise im Winter Weihnachtskonzerte möglich sein werden, kann bislang noch niemand sagen.

Antwort: Das kann man wirklich noch nicht sagen. Ich bin optimistisch und sage, alles, was geplant ist, wird so lange auch in der Planung bleiben, bis wir von oben gesagt bekommen, es geht nicht. Was ganz schwierig ist in dieser Pandemie, ist, dass man unglaublich vieles absagen musste. Es gab viele Konzertplanungen, die dann kurzfristig abgesagt wurden. Manchmal konnte ich nicht verstehen, dass man Konzerte im April absagt, die für Oktober geplant sind. Ich probiere alles, was möglich ist, und muss sehen, dass ich in so einer Situation kreativ bin und andere Wege gehe. Ich glaube, dass die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen es ganz genauso gesehen haben. Jeder hat sich bemüht, den Chor bei der Stange zu halten und zumindest das Gesellschaftliche zu pflegen, wenn man nicht Musik machen kann.

Frage: Was würden Sie sich wünschen, wenn die Infektionszahlen wieder steigen sollten?

Antwort: Alle Chöre haben wie auch die Orchester und die Theater ein Hygienekonzept entwickelt, das wirklich sehr gut ist. Wir haben alles befolgt, den Unterricht mit Maske gemacht - wir haben letztendlich, damit es wieder losgehen konnte, mit Maske gesungen. Ich wünsche mir, dass die Maßnahmen wie Impfen, Testen, Abstandsregeln einhalten so schnell wie möglich wieder normale Chorproben zulassen, damit die jungen Leute und alle Chöre das Musizieren wieder zu ihrem Lebensinhalt machen können, dass sie wieder ein Ziel haben und dem Publikum großartige Konzerterlebnisse präsentieren können. Musizieren muss selbstverständliches Lebenselixier bleiben.

ZUR PERSON: Gudrun Schröfel ist Chorleiterin und ehemalige Hochschullehrerin. Sie war Professorin für Musikerziehung mit dem Schwerpunkt Chor- und Ensembleleitung an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Außerdem leitete sie den Mädchenchor der Stadt und leitet den Johannes-Brahms-Chor in Hannover. Sie ist Mitglied im Künstlerischen Rat des Niedersächsischen Chorverbands.

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