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v.l.n.r. Statist der Oper Frankfurt (Kameramann), Marlis Petersen (Hanna), Klaus Haderer (Njegus) und Barnaby Rea (Zeta). Foto: Monika Rittershaus
Marlis Petersen (Hanna), Klaus Haderer (Njegus) und Barnaby Rea (Zeta) in Die lustige Witwe an der Oper Frankfurt. Foto: Monika Rittershaus
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Sopranistin Marlis Petersen: Kunst braucht Zeit

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Dresden - Marlis Petersen (50) ist eine unverwechselbare Stimme in der Opernwelt. In der Mitte des Lebens sieht sie den Musikbetrieb aber auch kritisch. «Mich stört vor allem die Schnelllebigkeit», sagt die Sopranistin im Interview der Deutschen Presse-Agentur. Auch Ratschläge für den Nachwuchs hat sie parat.

Interview: Jörg Schurig, dpa

Frage: Gibt es Tendenzen im Musikbetrieb, die Sie beunruhigen?

Antwort: Das ist schon ein arger «Betrieb» geworden. Mich stört vor allem die Schnelllebigkeit. Das wird einer hochgepusht, und wenn er nicht mehr funktioniert, ist er ganz schnell draußen. Früher gab es noch Intendanten, die einen Ensemblebetrieb pflegten. Wenn ein junger Sänger Potenzial hatte, wurde er langsam aufgebaut und gefördert. Er konnte in seine Rollen hineinwachsen. Große Rollen kamen erst später. Heute gibt es nur noch wenige Ensembles, die auf diese Weise gepflegt werden, weil es mehr um Namen als um Qualität geht.

Frage: Ist das ein generelles Problem in unserer Gesellschaft?

Antwort: Ich habe das Gefühl, dass in unserer Arbeitswelt grundsätzlich etwas falsch läuft. Es geht nur noch um Geld, Gewinn und schnelles Berühmtsein. Was die Essenz unseres Lebens auf der Erde eigentlich ausmacht - all das kommt zu kurz. Da dreht sich ein Rad in großer Geschwindigkeit, und wir alle sitzen mit drauf. Der Musikbetrieb macht da keine Ausnahme. Wir haben als Musiker aber zumindest das Glück, mit der schönsten Energie, die es gibt, arbeiten zu können. Aber Kunst braucht Zeit. Zeit, mit Geist und Seele eine Rolle zu entwickeln und einen Weg in eine Inszenierung zu finden.

Frage: Wie macht sich Zeitdruck in der Oper bemerkbar?

Antwort: In vielen Opernhäusern gibt es kaum adäquate Zeit für die Wiederaufnahme von Stücken. Innerhalb weniger Tage soll man eine Inszenierung lernen, für die zu Beginn sechs Wochen Zeit war. Trotzdem wird erwartet, die Rolle authentisch herüberzubringen. Im Extremfall hat man nicht einmal mehr eine Orchesterprobe. Es geht nur noch um volle Häuser, und dort herrscht Druck, möglichst viele Produktionen zu präsentieren. Gern wird vergessen, dass wir fühlende Menschen sind und keine Maschinen.

Frage: Wie steht es da um den Nachwuchs?

Antwort: Ich würde jungen Sängern empfehlen, erst ein paar Jahre in ein festes Engagement zu gehen. In Deutschland haben wir das Glück, dass es noch viele Ensemblehäuser gibt. Dort können die Jungen wie in einer Familie aufwachsen und Rollen ausprobieren. Man muss sich heute bewusst davor schützen, verbraten zu werden. In einem Ensemble lernt man mehr und nachhaltiger, als wenn man gleich ins freie Engagement geht. Als Freelancer hat man oft nur drei, vier Rollen, die man immer wiederholt, weil man schnell darauf festgelegt wird.

Frage: Wie kam es bei Ihnen zu einem so reichhaltigen Repertoire?

Antwort: Ich hatte das große Glück, vor dem Gesangsstudium zunächst Schulmusik mit Hauptfach Klavier zu studieren. Dabei bin ich vielen Musikrichtungen begegnet. Als ich in Nürnberg mein erstes Engagement antrat, gab es dort alles von Operette bis zeitgenössische Oper. Ich konnte in ein großes Repertoire hineinwachsen. Durch diese vielfarbigen Erfahrungen kann ich auch heute nach 25 Jahren von Barock bis zur Neuzeit alles machen. Ich mag es nicht, auf einem Fleck zu bleiben. Die Musikwelt ist so reich, da gibt es noch so viel zu entdecken.

Frage: Nach welchen Kriterien suchen Sie Ihre Partien aus?

Antwort: Neben der Musik muss mich die Psychologie der Rolle interessieren, in die ich schlüpfen soll. Bei Lulu von Alban Berg zum Beispiel hat mich immer wieder fasziniert, welchen Aufstieg und Fall eine junge Frau in drei Jahren erlebt. Oder Aribert Reimanns Medea, die so weit kommt, ihre beiden Kinder aus Eifersucht zu ermorden.

Frage: Lieben Sie eher Inszenierungen, die nah am Werk bleiben?

Antwort: Lulu zum Beispiel trägt so viele Informationen in sich selbst, dass man das Stück nicht wirklich verfremden muss. Ich finde es aber spannend, wenn ein guter Regisseur wie Peter Konwitschny, Claus Guth oder Dmitri Tcherniakov den Stoff aus einem bestimmten Blickwinkel betrachtet. Dieser Blickwinkel kann erfordern, dass man die Geschichte anders erzählt, auf eine Weise, die uns Zuhörer aufrüttelt. Mir ist aber wichtig, dass die Geschichte noch mit der Ur-Idee des Werks verbunden ist und nicht komplett den Kontext verliert. Ich hatte sehr viel Glück mit meinen Regisseuren, auch weil man sich bei guter Arbeit gegenseitig inspirieren kann.

Frage: An welchem Haus fühlen Sie sich besonders wohl?

Antwort: Das Theater an der Wien ist für mich wie ein Zuhause geworden. Da bin ich immer gern und genieße die familiäre Atmosphäre. In München könnte das auch so werden. Da werde ich in den kommenden Spielzeiten einiges machen. Das Wohlbefinden hängt sehr mit den Menschen am Ort zusammen, vor allem auch mit der Leitung des Hauses. Das hat etwas mit Verständnis und Vertrauen zu tun. Ich mag Häuser, bei denen man nicht nur ein funktionierendes Rädchen in einem großen Mechanismus ist, sondern auch als Mensch und Künstler zählt.

Frage: Wie halten Sie sich stimmlich fit?

Antwort: Durch Nicht-Singen (lacht). Früher war es wichtig, sich richtig einzusingen. Heute ist es wichtig, sich ausreichend Schweigen zu verordnen. Ich liebe es, auch einmal zwei Wochen überhaupt nichts zu machen. Das ist Reinigung!

ZUR PERSON: Marlis Petersen (50) gehört zu den führenden Sopranistinnen weltweit. Ihren internationalen Durchbruch schaffte sie mit der Rolle der Lulu in der gleichnamigen Oper von Alban Berg.

 

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