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Vom Zerfall des Menschlichen: „Tagebuch eines Wahnsinnigen“ an der Oper Leipzig

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Peter Konwitschny setzt sein Vorhaben fort, in jeder Spielzeit im Kellertheater der Oper Leipzig eine Bach-Kantate und ein zeitgenössisches Werk an einem Abend zu kombinieren. Für das zeitgenössische Werk fiel die Wahl dieses Mal auf Manuel Durãos Gogol-Vertonung „Tagebuch eines Wahnsinnigen“. Durão, in Lissabon geboren, studiert derzeit Komposition an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“.

2007 wurde das „Tagebuch eines Wahnsinnigen“ am Stadttheater „São Luiz“ in Lissabon uraufgeführt. Für die Oper Leipzig überarbeitete er sein Werk, so dass nun die Deutsche Erstaufführung des Werkes zu hören sein wird. Das „Tagebuch eines Wahnsinnigen“ steht in der Tradition von Strawinskys „Geschichte vom Soldaten“. Gogols Erzählung hat Manuel Durão sehr farbig – mal absurd-witzig, mal poetisch-melancholisch – vertont. Die Rolle des „Wahnsinnigen“, verkörpert von Tomas Möwes, ist die Charakterstudie eines Mannes, der absolut kein Dummkopf ist. Er hat nur eine andere Vision von der Realität. Die Musiker sind Teil seiner Phantasie, aber auch seiner Verzweiflung – für die Mitglieder der Sinfonietta Leipzig, zu deren Fixpunkten im Repertoire neben Bach die zeitgenössische Musik zählt, eine reizvolle musikalische wie darstellerische Herausforderung. Inszeniert wird das „Tagebuch eines Wahnsinnigen“ von der Regisseurin Claudia Forner, die den Leipzigern durch ihre Hochschultätigkeit bereits mit Inszenierungen wie „Die spanische Stunde“ von Ravel bekannt ist.

Bachs Kantate „O Ewigkeit, du Donnerwort“, BWV 60, ist eines seiner dramatischsten und harmonisch kühnsten Werke überhaupt, das Bach selbst als „Dialog zwischen Furcht und Hoffnung“ bezeichnet hat. Damit ist ihr Thema beschrieben: jener seelische Zwiespalt, der dem Menschen angesichts des eigenen Sterbens nicht erspart bleibt. Peter Konwitschny schließt mit seiner Inszenierung der Kantate den Bogen zu seiner Inszenierung von Luigi Nonos „Unter der großen Sonne von Liebe beladen“. Durften die Toten in Nonos Werk ihren Särgern entsteigen, damit nachfolgende Generationen von ihren Erfahrungen hören und lernen konnten, geschieht das Gegenteil in Bachs Werk (Bühnenbild: Helmut Brade) – die wenigen Hoffnungsschimmer haben kaum eine „Überlebenschance“, um so mehr die Zweifel an paradiesischen Heilsversprechungen der Furcht. Das Einsargen zeigt, dass die Erfahrungen der Alten, der Toten, nur allzu ungerne gehört werden. Neben Tomas Möwes als Chef des irdischen Personals sind in der Bach-Kantate Martin Petzold als Hoffnung und Lena Belkina als Furcht zu erleben. Es spielt wiederum die Sinfonietta Leipzig unter der musikalischen Leitung von Johannes Harneit.


Manuel Durãos „Tagebuch eines Wahnsinnigen“ (Deutsche EA)
und J.S. Bachs „O Ewigkeit, du Donnerwort“, BWV 60

Premiere am Samstag, 29. Mai um 17 Uhr im Kellertheater

Weitere Termine: 6., 8. Juni, 20 Uhr sowie 12. Juni

 

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