Eine Petition des DMR gegen den Entwurf fürs Jahressteuergesetz 2024 macht die Runde. Denn die Finanzämter sollen künftig jeweils entscheiden können, ob die Unterrichtstätigkeiten freiberuflicher Musiklehrer umsatzsteuerpflichtig sind. Dem Entwurf nach wird ihnen die Möglichkeit gegeben, diesen Beruf steuerrechtlich hinab in die Freizeitbeschäftigung zu stoßen – auf Augenhöhe mit Personal von Kirmes- und Rummelplätzen. Dabei handelt es sich um eine ohnehin seit Jahren längst vollstreckte Praxis der Finanzämter. Im Nachhinein soll nun die fehlende gesetzliche Legitimation geschaffen werden. Ein skandalöser Umgang mit Menschen an der Kulturbasis – wie das folgende Beispiel beweist.
Fiskalische Jagdszenen: Wer Musik macht, muss zahlen – eine Wutrede
Im Finanzamt verbleiben Sachbearbeiter in der Regel zwei Jahre auf einer Dienststelle, wenn sie die Klientel kennen, entsteht Verständnis für Berufe, es wird menschlich und transparent. Die anschließenden Mitarbeiterwechsel bekommen besonders Selbständige zu spüren. Denn derartige „Zustände“ sind Berufspolitikern oft ein Dorn im Auge und die Neulinge sollen für permanente Prüfungen sorgen. So öffnete auch bei mir eine neue Dame alte Steuererklärungen, hob Bescheide willkürlich auf. Doch die neue Fachkraft war überfordert und konnte ihre Beurteilungen nicht begründen. Im Hintergrund soufflierte, wie sich später – schriftlich – herausstellte, ein Abteilungsleiter: „Prüfen, eng auslegen, Frist setzen“ – und Beweislast umkehren. Ich dachte, ich hätte mich verhört, als meine bislang umsatzsteuerbefreite Tätigkeit als Dozent in ein kommerzielles Gewerbe umgedeutet wurde.
Gleichzeitig werden Fördermittel „Brutto wie Netto“ gezahlt – von einer Vorsteuer möchte der Bund selber auch nicht belästigt werden. Freie Musiklehrer können daher meist auch keine „Vorsteuer ziehen“, um sie per Umsatzsteuer abzuführen. Wird dadurch das Honorar nachträglich neben der Einkommenssteuer mit zusätzlichen 19 Prozent besteuert, verringert es sich erheblich. Das wollte ich erklärt bekommen. Aber meine Sachbearbeiterin gab an, dass sie von Umsatzsteuern nichts verstehen würde!
Diese Arroganz führte zu jahrelangem Streit. Der Außenprüfer des Finanzamts Offenburg reichte im Anhang des E-Mail-Verkehrs auch eine Korrespondenz mit seinem Vorgesetzten durch. Es bot sich ein bizarrer Einblick. Ich las: „Fraglich ist, ob überhaupt eine Bildungs-leistung vorliegt nur aufgrund der Leistungsbezeichnung ‚Dozent für musikalisch-kreative Jugendarbeit’. Bei der Tätigkeit handelt es sich wohl hauptsächlich um einen Workshop zur Aufnahme von CDs. Außerdem wird die Leistung nicht an einer Bildungseinrichtung erbracht.“ In diesem Duktus aus dem Hinterzimmer ging es weiter. Und kein Verband, kein Steuerberater, kein Rechtsanwalt, kein Politiker wollte mir helfen – „da kann man nichts machen“, so die hohle Phrase. Anmerkungen zeichneten ein schräges Bild von mir: Ticket- und CD-Verkauf in Jugendklubs, Kommerz!
Da neben mir ein Heer von Kollegen auch betroffen war, schrieb ich an Kultus-Staatssekretär Volker Schebesta (CDU) in der baden-württembergischen Landesregierung: „Eine nachträglich aberkannte Umsatzsteuerbefreiung für Dozenten, die für ein Förderprogramm der Bundesregierung (‚Kultur macht stark’) tätig werden, ist fragwürdig. Sollte sich dies durchsetzen, würde es bedeuten, dass man im Nachhinein rund 20 Prozent der Einnahmen wegnimmt und damit qualifizierte Arbeit auf Stundensätze reduziert, die etwas oberhalb von Aldi-Kassierern liegen. Qualifiziertes Fachpersonal können Sie künftig vergessen. So wird das Finanzamt Offenburg Vorreiter fürs Einkassieren von rund einem Fünftel der Fördermittel, die der Bund für die Arbeit mit Jugendlichen aus ‚bildungsfernen Schichten’ vorsieht!“ Keine Hilfe – es wurde schlimmer. Eine Aktennotiz unter „Steuerfreie Umsätze 2018“ gab vor: „Die Befreiungstatbestände nach § 4 UStG sind eng auszulegen“ – das klang nach Handschellen und „die Kripo ermittelt“.
Mir platzte der Kragen: „Für diese Frechheit erwarte ich vom Leiter des Finanzamtes Offenburg eine Entschuldigung, da hier pauschal ein ganzer Berufsstand freiberuflicher Lehrkräfte herabgewürdigt wird. Meiner Tätigkeit eine Bildungsleistung abzusprechen ist ein Hinweis auf Ihre fachliche Inkompetenz. Der Zusatz, dass ‚Workshops mit CDs’ gemacht werden, verrät Überheblichkeit, die jede sachliche Grundlage entzieht. Darüber hinaus werden Bildungsträgerschaften angezweifelt und mangels seriöser Prüfung wird nicht einmal registriert, dass bei meiner Arbeit staatliche Dienststellen die Partner sind, also Kultur- und Sozialämter beziehungsweise sonstige Träger von Jugendarbeit.“ – Antwort: Null. Es kam zur Außenprüfung. Zwischenzeitlich erfuhr ich, dass man 25.000 Euro abkassieren wolle, rausgerissen aus bereits versteuertem Einkommen: Existenzvernichtung. Mehrfach wurde ich aufgefordert, eine amtliche Bescheinigung für die Umsatzsteuerbefreiung vorzulegen. Welche das denn sei, fragte ich. Der Außenprüfer: „Das wissen wir auch nicht.“ Nun war ich im Inferno, welchem man sich in der Petition zuwendet: Die berufliche Praxis unterliegt zur Begutachtung einfältigen Amtsschimmeln mit fragwürdigen Umgangsformen, welche vermutlich den Unterschied zwischen A-Dur und einer Currywurst nicht kennen.
Doch letztlich hatte ich beim Sturmlauf gegen das Finanzamt Glück. In letzter Minute geriet ich an die Kämmerei des Ortenaukreises – und lernte dort kultivierte und kompetente Menschen kennen. Man ließ sich ausführlich die berufliche Situation schildern, las Artikel über meine langjährige Arbeit mit Jugendlichen – und fällte ein vernichtendes Urteil: aber dieses Mal fürs fachfremde Personal beim Finanzamt Offenburg. Laut Richtlinie der EU (!) und „des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem“ (RL 2006/112/EG) wurde mir Befreiung von der Umsatzsteuer bescheinigt, mit freundlicher Beurteilung des Stellenwertes meiner Arbeit. Rückwirkend auf 13 Jahre befreit, international gültig und fortan Ruhe. Der eigentliche Skandal: Hiesige Fiskal-Strategen brechen EU-Recht und verhindern, dass diese Regelung ans trübe Licht der deutschen Öffentlichkeit gerät. Der Gesetzentwurf gehört in die Tonne.
- Siehe dazu auch den ver.di-Artikel „Reform in Progress“ auf Seite 31.
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