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 Frau ohne Schatten an der Oper Lyon. Foto: © Stofleth

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Doch kein Schatten für die Kaiserin – „Die Frau ohne Schatten“ an der Oper Lyon

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Die Oper in Lyon wagt sich an „Die Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal – und geht, alles in allem, als Sieger durchs Ziel.

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„Die Frau ohne Schatten“ ist ein Opernmonstrum. Was Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss bei ihrem Versuch, den vielen Salome-, Elektra- und Rosenkavalierfans 1919, unmittelbar nach dem Weltkrieg, eine Art neue „Zauberflöte“ zu servieren, an verrätselter Märchenopulenz aufboten, sucht ihres gleichen. Schon, weil sie eine Grundfrage menschlicher Existenz umkreist. Große Häuser gönnen sich von Zeit zu Zeit die „Frau ohne Schatten“ – ob Baden-Baden oder Wien, wo es gerade eine Wiederaufnahme mit Christian Thielemann am Pult gab. Oder in Köln, wo Marc Albrecht musikalische Finesse mit einer klugen szenischen Reduktion in der Interimsspielstätte Staatenhaus verband. In Stuttgart steht eine Neuproduktion kurz bevor und in Dresden, dem Strauss-Opernhaus schlechthin, folgt im März eine, wieder unter Thielemann.

Wenn sich kleiner dimensionierte Häuser wie die Oper in Lyon dieses verrätselt märchenhaften Diskurses über die Folgen von Kinderlosigkeit annehmen, ist das allemal eine besondere Herausforderung. Da reist auch schon mal der Münchner Intendant Serge Dorny an sein früheres Haus nach Frankreich, um zu sehen, wie seine Nachfolgemannschaft das macht.

Im Graben macht Daniele Rustioni aus der auf gut 80 Musiker ausgedünnten kleineren Orchesterbesetzung das beste, besser noch: eine Tugend. Beim ersten irgendwie vereinzelt klingenden Donnerschlag ist man noch irritiert, aber man gewöhnt sich daran. Zumal Rustioni die Chance nutzt, dem aufgeraut Modernen der Partitur, den Vorrang vor dem verführerisch Schwelgerischen einzuräumen. Trotz der immer sehr intimen Streichersoli wird es auch hier kein Kammerspiel; aber doch eine vor allem mit den Frauen im Stück verbundene Spurensuche nach den psychischen Folgen ungewollter Kinderlosigkeit. Dieses Thema war vor hundert Jahren, als die voremanzipatorische weibliche Identität als gesellschaftliche Norm vor allem mit Mutterschaft verknüpft war, deutlich problematischer als heute. Auch wenn dieses Thema mittlerweile deutlich subjektiver fokussiert, als von außen aufgezwungen, bleibt es ein Problem.

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In Köln konnte man gerade einen ziemlich vernünftig anmutenden Vorschlag zur Güte miterleben. Dort sind es die schon geborenen Kinder, die durch Katastrophen ihrer leiblichen Eltern beraubt sind, derer sich die beiden Paare im Stück am Ende annehmen.

Diesen szenischen Weg in eine utopisch menschliche Vernunftsvision gehen Mariusz Trelinski (Regie), Fabian Lédé (Bühne), Marek Adamski (Kostüme) und Bartek Macias (Video) nicht. Er sucht einen anderen Ausweg aus dem „in prüfenden Flammen gestählten“ Jubel zum Finale. 

In den ersten beiden Aufzügen projiziert er das im Märchenhaften verhaftete Kaiserpaares und das beschwerliche, aber redliche Leben des Färbers Barak auf zwei gesellschaftlich gegensätzliche Sphären. Auf der einen Seite eine sich ritzende Selbstmordkandidatin im Luxus mit Krankenschwestern. Auf der anderen Seite ein prekäres Milieu, in dem der Färber nicht nur drei Brüder mit durchbringen, sondern sich auch mit seiner ausgesprochen kapriziösen jungen Frau rumärgern muss. Dass Barak dennoch übermenschlich lange die Ruhe bewahrt, macht ihn zur Opernfigur, die den Preis für unerschütterliche Güte gewinnen müsste. Seine Frau ist da ein anderes Kaliber. Sie überspannt den Bogen so weit, dass sie wie in einem Selbsttherapie-Schock zur Besinnung kommt. 

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Frau ohne Schatten an der Oper Lyon. Foto: © Stofleth

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Die kanadische Sopranistin Ambur Braid, die zum Ensemble der Oper Frankfurt gehört und dort in Barry Koskys auf sie fixierte Salome Furore machte, liefert auch in Lyon allein schon schauspielerisch die atemberaubende Studie einer frustrierten Frau, die hilflos um sich schlägt und eigentlich nur Liebe will (sie macht das so überzeugend, wie es Lina Beckmann machen würde, wenn sie Sängerin wäre und nicht Premiumschauspielerin). Stimmlich besticht die in schon vielen Strausspartien Erfahrene Braid mit einer virtuos eingesetzten Melange aus lyrischer Leichtigkeit und dramatischer Substanz. 

Dass mit Sarah Jajubiak eine der besten denkbaren Kaiserinnen auf der Bühne steht, ist der zweite Besetzungscoup dieser Inszenierung. Grandezza im flutenden Sichverströmen und in der Erscheinung. Zunächst ist sie die Frau, deren Blut (im Video auf den Boden tropft), dann die umhegte Patientin mit verbundenen Armen, später die aufmerksame, lernende Beobachterin einer Menschlichkeit, die sie verändert und schließlich die Frau, die mit sich selbst im Reinen ist und sich mit dem „Ich will nicht“ vom Einfluss der diabolischen Amme emanzipiert. 

In dieser Inszenierung wird das aber kein Türoffner für ein Leben im Kreise vieler eigener Kinder. Hier ist es so, dass sie zwar zusammen mit ihrem Mann ganz in Weiß wie ein Hochzeitspaar durch eine Parade seltsam mit Masken verfremdeter Kinder schreitet. Wie in einem Zeitsprung gealtert, kehrt sie an der Seite ihres am Stock gehenden Mannes noch einmal zurück, als wäre sie einer Verfilmung von Dürrenmatts „Besuch der Alten Dame“ entsprungen. Das gemeinsam gealterte Paar verteilt aus einer pechschwarzen Geschenkebox Puppen an Baraks Kinderschar. Die Hoffnung, die man für Barak und seine Frau haben mag, erfüllt sich für das Kaiser-Paar jedenfalls nicht. Die Kaiserin bleibt am Ende in Gedanken versunken und allein auf dem Bett sitzend zurück. Sie war die Frau ohne (metaphorischen) Schatten und dabei bleibt es. Auch eine Art, das plakativ agitierende Ende zu umgehen. 

Im Ensemble sticht auch Lindsay Ammann als Amme, also die dritte Frau im Bunde (mit den Übermächten), heraus. In strengem Schwarz, diabolisch vor allem in der Mittel- und unteren Lage ihrer Stimme von beeindruckender Düsternis. Bei dieser vokalen Frauenpower haben es die Männer schwer. Am besten hält Josef Wagner als mal nicht abgewrackter, sondern durchaus viril attraktiver Barak mit. Vincent Wolfsteiner hat da als Kaiser schon mehr Mühe, stapft Schritt für Schritt durch seine Partie als die wirklich aufstrahlen zu lassen. Dabei geht er bis an seine Grenzen. Der Geisterbote ist mit dem geisterhaft maskierten Julian Orlishausen, die Brüder Baraks sind mit Pawel Trojak, Pete Thanapat und Robert Lewis (ohne optische Handicaps) angemessen besetzt. Die tirilierende Giulia Scopelliti und Natalia Bielecak als nervös zuckender Zombie teilen sich die Gestalt des Falken. Robert Lewis singt und Antoine Laval spielt – ziemlich manieriert – den Goldjungen, der die Färbersfrau verführen soll. 

Diese miteinander verwobenen Paardiagnosen funktionieren als Ganzes, weil die eindrucksvoll vollgebaute Drehbühne mit ihrer Zweiweltenbehausung um ein (metaphorisches) Palmenparadies der Spagat zwischen psychologisierend Märchenhaft hier und derb realistisch dort mit dunkler Opulenz gelingt. Über allem schwebt von Beginn an ein gewaltiger Felsblock, der ebenso auf die dem Kaiser angedrohte Versteinerung wie auf Keikobad verweisen mag. Der befindet sich später wie aufgebahrt darunter, wenn seine Tochter ihn anfleht. Er kehrt sogar wie eine erweckte Mumie ins Leben zurück. Das bleibt in der sich auflösenden Bühnenwelt aber eher eine Imagination der Kaiserin auf dem Weg zu sich selbst. Und diesmal in ihre Einsamkeit. 

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