Nach wie vor muss sich die Kultur hinten anstellen. Zum Beispiel: Im Berliner Doppelhaushalt 2026/27 wurden kürzlöich erneut Einsparungen in Höhe von 110 Millonen Euro eingestellt. Da ist es ein großes Glück, dass das ohnehin multipel finanzierte Berliner Musikfest bei einem seiner spektakulärsten und aufwändigsten Projekte auch auf Familienbande rechnen konnte. Zum Klingen gebracht wurde eine aus dem Archiv wieder auferstandene, bislang nie auf der Bühne realisierte Oper, die Ende der zwanziger Jahre im Umfeld des Bauhauses entstand und vom Schicksal geometrischer Figuren erzählt.

Ein kubistischer Liebestod – Zur Uraufführung der Oper „Parabola and Circula“ von Marc Blitzstein beim Musikfest Berlin
Und darum geht's: Herr Parabel (Bariton) liebt und ehelicht die vollendet schöne, perfekt gerundete Frau Kreis (Sopran). Das Paar adoptiert die Kinder Rechteck (Tenor) und Punkt (Sopran). Doch alsbald trüben Zweifel diese Idylle aus Formen und Licht. Am Ende kommt es zu Mord und Totschlag. So ein ulkiges Machwerk der Moderne aus der Feder eines jungen jüdisch-amerikanischen Komponisten, der obendrein homosexuell und inzwischen längst gestorben, halb vergessen ist: Das wird in der clickgesteuerten, mehrheitshörigen Medienwelt gern als "special interest" identifiziert und ignoriert. Ja, selbst etliche überregionale Feuilletons werteten die Uraufführung von Marc Blitzsteins "Parabola and Circula" als ein linkes "Nischenthema", mit dem man sich am besten gar nicht erst befasst.
Wie gut, dass die Juristin Elke Büdenbender, Gattin des amtierenden deutschen Bundespräsidenten, ehrenamtlich im Vorstand des Bauhaus Council e.V. arbeitet. So kam es, dass wenigstens dpa von der Sache Notiz nahm und das durchaus zahlreich erschienene "spezialinteressierte" Publikum in der Berliner Philharmonie am letzten Sonntag, noch bevor der erste Ton erklungen war, einem Grußwort von Frank-Walter Steinmeier lauschen durfte. Seine Worte wuchsen sich aus zur flammenden Rede. "Schützen" müsse man die "Freiheit der Kunst", sagte Steinmeier, sie "verteidigen gegen inhaltliche Vorgaben" der Politik. Dann wurde er oder vielmehr sein wohlinformierter Redenschreiber aktuell und konkret, in Anspielung auf die von der sächsischen AfD losgetretenen Debatte um den "Irrweg" der Moderne: "Heute erleben wir, dass die Kunstfreiheit in vielen liberalen Demokratien angegriffen wird. Und wir erleben in unserem Land, dass Rechtsextremisten das Bauhaus und seine Ideen wieder zum politischen Feindbild erklären. Stellen wir uns dem entgegen!" Auch die revolutionäre Architektur der von Hans Scharoun entworfenen Philharmonie wurde beiläufig gepriesen, als ein "außergewöhnlicher Raum" und eine "Einladung, auch das Unerhörte und Außergewöhnliche erklingen zu lassen." Auch das wäre einen Extra-Applaus wert gewesen.
Freilich lassen sich die von klangschönen Instrumentaldevisen gestützten Parlando-Bandwürmer, die der gerade mal 24jährige Blitzstein anno 1929 ersann, weder in der Bauhaus-Ästhetik verorten, noch sind seine spätromantischen Orchestrierungskünste als unerhört zu bezeichnen. Außergewöhnlich wirken allenfalls Idee und Plot von "Parabola and Circula", aber auch das witzig gespreizte, von einem gewissen George Withsett verfasste Libretto. Blitzstein seinerseits suchte nicht nach neuen Bahnen. Er komponierte konservativ, im besten Wortsinn. War weder Provokateur noch Avantgardist. Vielmehr experimentierte er spielerisch mit allem, was er so aufschnappte, als Amerikaner in Paris und Wien, in Weimar, Berlin und Dessau – vom jazzigen Blue Notes bis hin zu zaghaft implantierter Zwölftönigkeit, von Rhythmusexzessen bis hin zu Melodram und Sprechgesang. Fünf Monate lang studierte Blitzstein bei Arnold Schönberg, später bei Nadia Boulanger. Er war mit Komponisten der Novembergruppe wie Stefan Wolpe bekannt, aber auch mit Kurt Weill und Hanns Eisler. Kurzum: Ein gut situierter junger Hochbegabter aus Übersee, der sich, wie es viele damals taten, auf musikalische Bildungsreise durchs alte Europa begeben hatte.
Die von seinen kommunistischen Idealen inspirierten, politisch ambitionierten Musical- und Musiktheaterstücke, mit denen Blitzstein dann später, heimgekehrt in die Staaten, von sich reden machte, wurden von Leonard Bernstein geschätzt und gefördert. Er sah in Blitzstein einen Mitstreiter für das amerikanische Oper. In "Parabola and Circula" ist davon noch nicht viel zu ahnen. Es handelt sich um ein etwas länglich geratenes Konversationsstück, in dem viel monologisiert und auf der Stelle getreten wird. Selten schwingen sich aus den monoton-ornamental verkordelten Dialogen so etwas wie gesangliche Ariosi auf, fast nie gibt es Duette oder Ensembles. Vielversprechend ist allerdings das atmosphärisch pastellfarbene Präludium. Auch fallen noch zwei weitere Instrumentalstücke aus dem Rahmen, die, ähnlich wie in einer Barockoper, als "Ballett"gekennzeichnet sind. Eines dieser Intermezzi soll die Tänzer an Drahtstrippen aufhängen und wie Marionetten über die Bühne gleiten lassen. In einer konzertanten Darbietung kann man sich das nur dazu denken. Der Musikologe Kai Hinrich Müller, der das Notenmaterial im Archiv entdeckt und, gemeinsam mit dem Dirigenten Karl-Heinz Steffens und Frank Harders-Wuthenow vom Verlag Boosey für die Aufführung bearbeitet hat, vermutet, dass Blitzstein sich auch mit dem "Triadischen Ballett" Oskar Schlemmers bekannt gemacht hatte.
Dass es nicht langweilig wird, dafür sorgt vor allem das vortrefflich disponierte Nörrköping Symphony Orchestra unter Leitung seines Chefdirigenten Karl-Heinz Steffens, mit seinem starken Streichchor, den blühenden Bläsern. Es wird auch ganz hervorragend gesungen, in allen sieben Partien. Denn zusätzlich zu den vier genannten Hauptfiguren des Dramas tauchen im Verlauf des Stückes noch drei weitere abstrakte Figuren auf: das Prisma (Tenor), die Linie (Mezzo-Sopran) und Geodäsia, die übergreifende Landvermessung (Bass-Bariton). Diese drei verkörpern symbolisch wenn nicht das Böse, so doch das Destruktive in der Formenwelt. Sie schüren Konflikte, schürzen den Knoten. Wie aus ihren süß vergifteten Gesangsgirlanden mählich ein schwarzes, stacheliges Ding erwächst, erst nur als kleines Blatt erkennbar, schließlich, wie sich herausstellt, ein tödliches Projektil, mit dem Parabola seine geliebte Circula tötet, das hätte man wirklich gerne gesehen. Auf die Gefahr hin, dass etwas Kunsthandwerkliches daraus werden könnte: Wünschenswert ist es schon, dass sich alsbald ein Regisseur aufrafft, diese erste "kubistische Oper" der Moderne auch szenisch zu verwirklichen.
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