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Ein Blick in die „Sonderausstellung“ im Hamburger Komponistenquartier – fünf Bilder, ein Partiturausschnitt, eine Stele mit Monitor und … © Ralf-Thomas Lindner

Ein Blick in die „Sonderausstellung“ im Hamburger Komponistenquartier – fünf Bilder, ein Partiturausschnitt, eine Stele mit Monitor. Ralf-Thomas Lindner

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Hamburger Meister kontemporär – Das Ende musealer Präsentation?!

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Museen können gleichermaßen spannende, abwechslungsreiche, informative, lehrreiche und angenehme Orte sein, sie können aber auch langweilig und öde sein – das Ausstellungsthema selbst und vor allem die museale Präsentation sind für Erfolg eines Ausstellungsprojektes zentral mitverantwortlich. Das Hamburger Komponistenquartier (KQ) widmet sich in einer Sonderausstellung vier zeitgenössischen Hamburger Komponisten und gerät dabei auf zeitgeistige Abwege.

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Museen können wunderbare Orte sein. Sie sind ein wenig wie das Raumschiff Enterprise: „viele Lichtjahre von der Erde entfernt unterwegs, um fremde Welten zu entdecken, unbekannte Lebensformen und neue Zivilisationen“. Museen können Abenteuerorte sein, auch Bildungsorte oder einfach nur Orte, um – vielleicht mit anderen Menschen – Zeit zu verbringen und Spaß zu haben. Dabei ist es für die Museumsmacher oftmals nicht leicht, aus dem „alten Kram“, den man ausstellen und den Besuchern näherbringen möchte, ein Abenteuer, ein Bildungsangebot oder eine Freizeitaktivität zu kreieren.

Das Raumschiff Enterprise könnte man irgendwo auf eine Wiese stellen und ohne große Umarbeitungen wäre es schon selbst das Museum. Technikinteressierte würden sich den Maschinenraum und die Brücke ansehen, Mediziner vielleicht vorrangig die Krankenstation und die reinen Urlauber würden womöglich in „Zehn Vorne“ sitzen und einen Raktajino trinken. Die Besucher würden alles anfassen, ausprobieren (die Schlange am Transporter dürfte lang sein) und würden sich vielleicht mental in eine ferne Welt versetzt fühlen.

Aber nicht alles ist so einfach darzustellen. Das Leben und die Musik eines Komponisten zum Beispiel sind wenig dazu angetan, angefasst zu werden. Die Komponisten, denen die Museen des Hamburger Komponistenquartiers gewidmet sind (Georg Philipp Telemann, Johann Adolf Hasse, Carl Philipp Emanuel Bach, die Geschwister Fanny und Felix Mendelssohn, Johannes Brahms und Gustav Mahler), sind überdies alle bereits verstorben, der jüngste von ihnen, Mahler, seit über 100 Jahren. Ihre Musik ist fast ausschließlich in ihren Partituren überliefert.

Zunächst bietet sich hier zur Präsentation also Flachware an – zweidimensionale Objekte wie Plakate, Graphiken, Bilder und Texttafeln – Lebensläufe, Zitate, kleine Geschichten und Anekdoten aus dem Leben, Noten usw. Dazu kommen typische Musikinstrumente der jeweiligen Zeit (Spinett, Cembalo) und einige Gegenstände aus dem Leben der Komponisten. Hier waren – sieht man von gelegentlichen Konzerten ab – früher die Möglichkeiten der musealen Präsentation am Ende.

Im Zeitalter von Multimedia und Digitalität kann man mit Filmen und Toneinspielungen dem akustischen und optischen Bild des Komponisten noch ein gehöriges Stück näherkommen. Eine große digitale Mitmachaktion für Kinder und Familien, die „Wundermaschine“, rundet das Bild eines modernen Museums ab.

In Zeiten von Corona hat gerade die digitale Aufarbeitung der Sammlungen in vielen Museen zu bemerkenswerten Ergebnissen geführt. Als ausgesprochen gelungenes Beispiel seien die Beiträge „Museumsreif – Junkers Lieblingsstücke“ genannt, in denen mit viel Liebe und ausgesprochen kenntnisreich der Leiter des Wedeler Stadtmuseums Exponate aus seiner Sammlung vorstellt.

Vier Auftragskompositionen – vier Hamburger Komponisten

Anlässlich des 10-jährigen Bestehens des KQs hat dieses vier Kompositionsaufträge an Hamburger Komponisten vergeben, die im Rahmen der über das ganze Jahr gehenden Feierlichkeiten bereits uraufgeführt wurden bzw. noch uraufgeführt werden. Jeder der Kompositionen sollte sich mit einem der im KQ ausgestellten Komponisten auseinandersetzen. Das KQ nimmt diese Kompositionsaufträge als Anlass, eine Sonderausstellung über diese vier lebenden Komponisten anzubieten – der eigentlich notwendige Schritt eines historisch orientierten Museums auch die jüngste Zeit als Ausstellungsthema zu etablieren. Diesen Blick in die aktuelle Musikgeschichte will das KQ auch in Zukunft mit nachvollziehen.

Im Newsletter des KQ wurde die Ausstellung angekündigt: „Im Jubiläumsjahr 2025 wirft das KQ einmal einen Blick auf die ganz aktuelle Situation Hamburger Komponierender und widmet die jährliche Sonderausstellung vier von ihnen. In Kooperation mit dem Deutschen Komponist:innenverband stellt das KomponistenQuartier Hamburg Leon Gurvitch, Dong Zhou, Aigerim Seilova sowie das Duo NVCHT&ONI vor – vier sehr unterschiedliche Wege, Werke und Charaktere, die einen Eindruck vermitteln von der sehr vielfältigen und lebendigen Szene, die auch heute noch die Tradition von Hamburg als Musikstadt ausmacht.“

So lobenswert es ist, sich der Gegenwart zuzuwenden, so darf doch bezweifelt werden, ob die vier Komponisten dazu angetan sind, die „aktuelle Situation Hamburger Komponierender“ zu beleuchten. Die vier ausgewählten Komponisten leben zwar in Hamburg, sind aber weit über die Grenzen der Stadt, teilweise auch international, unterwegs und bekannt, sind etablierte und gefragte Künstler. Das übersieht, dass ein erklecklicher Teil der Hamburger Komponisten in durchaus prekären Verhältnissen lebt. Musikgeschichtsschreibung darf und muss auch diesen Teil des musikalischen Lebens einer Stadt dokumentieren. Wie viele hervorragende Komponisten sind (was auch immer das sein mag:) gute Komponisten und schlechte Selbst-Marketing-Menschen?!

Der Präsentationstext auf der Homepage des KQ verspricht ein vielschichtig interessantes Museumserlebnis. Kurz wird der Inhalt jeden einzelnen Komponisten betreffend umrissen:

„Jede Note geht durch Herz und Kopf – Leon Gurvitch (* 1979)

  • Der Komponist, Pianist, Performer und Dirigent Leon Gurvitch lebt und arbeitet seit 25 Jahren in Hamburg. Seine Musik ist lebendig, oft gegensätzlich und voller Kontraste und feinster Nuancen: Bei seinen Performances versteht er es, die Zuhörerschaft durch seine vielseitige Musikalität in seine Gedanken- und Gefühlswelt einzuführen. – Aus dem bereits umfassenden Werk stellt die Sonderausstellung zentrale Projekte der jüngeren Zeit vor, die exemplarisch die Spannbreite von Leon Gurvitchs Schaffen zwischen stimmigen historischen Reminiszenzen und hochaktuellen Thematiken aufzeigt.

Kratzen und Rauschen – Dong Zhou (* 1992)

  • Dong Zhou verbindet Technik, überraschende Objekte und unkonventionelle Spielweisen zu multimedialen Kompositionen. Im Rahmen des Jubiläumsjahres im KomponistenQuartier komponierte sie zu Ehren von Fanny Mendelssohn das Stück „Der Esel Rennt Immer Weiter“. Die Ausstellung erzählt in Auszügen aus einem Gespräch der Komponistin mit Gabriele Bastians, Vorstand der Mendelssohn-Gesellschaft Hamburg, von musikalischen Anfängen, Vorbildern und kultureller Identität von Dong Zhou.

Block-Pop meets epischen Hörspiel-HipHop – NVCHT&ONI – Leila Vagdy (*1994) und Nick Schwarz (*1997)

  • Seit 2020 agieren Leila Vagdy und Nick Schwarz gemeinsam als NVCHR&ONI in der Hamburger Hip-Hop Szene. In ihrer Arbeit verbinden sie unterschiedliche musikalische Einflüsse zu einem vielschichtigen Klangbild. – Die Ausstellung gibt einen Einblick in individuelle und gemeinsame kreative Prozesse, prägende Einflüsse und präsentiert ausgewählte Kompositionen, darunter auch ihre Komposition „Faustina und Johann“, die NVCHT&ONI zu Ehren von Johann Adolf Hasse als Auftragswerk anlässlich des Jubiläumsjahres geschaffen haben.

Abschied von der Partitur - Aigerim Seilova (*1987)

  • In ihrem musikalischen Schaffen erkundet Aigerim Seilova (*1987) als Komponistin und Medienkünstlerin ein breites Spektrum verschiedener Genres und Medien. Von Opern und Orchesterwerken bis hin zu multimedialen, musiktheatralischen und interaktiven Projekten spannt sie einen weiten Bogen über eine vielfältig klangliche Welt, die sowohl Laptops als auch klassische und volkstümliche Instrumente, Stimmen, Videos und Sensoren einschließt. Geboren in Kasachstan, lebt und arbeitet Aigerim Seilova seit 2012 in Hamburg. – Die Ausstellung zeigt mit u. a. „Ich, Elektra“ und „geGETet“ exemplarisch jüngere Werke in Ton und Bild und gibt einen Einblick in den genreübergreifenden Schaffensprozess der Komponistin.“

Lust auf mehr

Die Erwartungen an die Ausstellung sind also bereits im Vorfeld hoch. Betritt man den ersten Raum der Sonderausstellung, so findet man an der Wand fünf Bilder, ein Plakat und ein Stück Partitur – ein Einstieg, der Lust auf mehr macht! Auf dem Weg in den zweiten Ausstellungsraum stellt man fest, dass es einen solchen nicht gibt. Das, was man als Appetitanreger an den Wänden gefunden hat, scheint bereits die gesamte Ausstellung zu sein – Minimalismus auf die Spitze getrieben. Glücklicherweise steht im Raum eine kleine Sitzbank, die dem erschrocken-frustrierten Besucher für einen Moment Halt gibt.

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neben dem Eingang ein Plakat: Hamburger Meister kontemporär.  © Ralf-Thomas Lindner

Neben dem Eingang ein Plakat: Hamburger Meister kontemporär. © Ralf-Thomas Lindner

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Und dann ist da auch noch eine kleine Stele an deren oberen Ende ein Monitor eingebettet ist – die Aufstellung einer Säule aber ist noch keine Ausstellung! Das Vorhandensein eines Monitors und einer E-Mail-Adresse macht ein Museum noch nicht zu einem digitalen Hotspot. Dennoch: Über diesen Monitor gelangt man in den zweiten Raum, letztlich die gesamte Ausstellung. Zwei Kopfhörer laden ein, mal reinzuschauen und reinzuhören.

Die digitale Präsentation der vier Komponisten und ihrer Werke lässt keine Wünsche offen! Da werden sie in Bild und Ton vorgestellt und alle vorher gemachten Versprechen vollumfänglich eingelöst. Will man die Präsentation in allen Einzelheiten ansehen und anhören, benötigt man zwischen 45 und 60 Minuten. Zwei Kopfhörer – zwei gemeinsame Museumsbesucher. Einen zweiten (gar dritten) „Unbekannten“ hier miteinzubinden, ist schwer vorstellbar. Die Schlange an der Stele könnte also lang(weilig) werden.

Sonderausstellung oder Marketing-Gag?

Nun weiß man aus jedem Supermarkt, dass Sonderangebote in erster Linie Kunden anlocken sollen, um diese – wenn sie erst einmal den Markt betreten haben – mit allen Tricks aus der großen Marketingkiste dazu zu bewegen, mehr und natürlich Teureres zusätzlich zu kaufen. Das KQ ist ein gut gestaltetes Museum, das einen Besuch immer und immer wieder verdient! Eine letztlich digitale Sonderausstellung vor Ort zu kreieren, ist ein unnötiges und verstörendes Unterfangen! Mit solchen Aktionen macht man sich wenig Freunde. Dabei hat das KQ bereits gezeigt, dass es zu weitaus besseren Aktionen fähig ist. Dennoch: Die Sonderausstellung ist und bleibt ein hervorragender Blick auf etablierte Hamburger Komponisten. Es bleibt ihr zu wünschen, dass sie nach dem Ende der Ausstellung am 3. November ihren Weg dahin findet, wo sie hingehört: ins Internet, als Dauerausstellung auf die Homepage des KQ. Dort kann sie mit ihrer umfangreichen und charmanten Machart Menschen digital zu Hause erreichen und Lust darauf machen, doch mal live im KQ in der Hamburger Peterstraße vorbeizuschauen.

Es gibt unterschiedliche Systeme, mit denen man CDs, Fachbücher oder Ausstellungen auszeichnen kann. In einer Orgelzeitschrift werden bis zu fünf Orgelpfeifen vergeben. Eine andere Zeitschrift gibt Sterne, Punkte, Notenschlüssel usw. Für die Ausstellung „Hamburg kontemporär 2025“ muss man differenzieren, zwei Bewertungen abgeben. Für den Inhalt, die Gestaltung und die digitale Aufbereitung der „Ausstellung“ gibt es fünf von fünf möglichen Fernsehtürmen. Für die „museale“ Präsentation der Ausstellung vor Ort und die Empfehlung, die „Ausstellung“ im KQ direkt zu besuchen, gibt es von fünf möglichen Ausstellungsvitrinen keine!

Weitere Informationen:

  • Homepage des KG: https://www.komponistenquartier.de/
  • Die Uraufführung der letzten Auftragskomposition steht noch aus. „Hommage an Mahler“ von Aigerim Seilova findet am 11. Oktober 2025 um 14 Uhr im Lichtwarksaal in der Neanderstraße 22 (schräg gegenüber vom Haupteingang des KQ) statt.
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