Vom ersten Programmheft dieser Spielzeit grinst den Besucher ein bärtiger Kahlkopf an. Zwei rote Hörner hat er und den Mund halbseitig geöffnet. Ist das ein Verwandter von Mephisto oder doch eher ein durchtriebener Satyr? Denn in Kiel steht seit dem 4. Oktober 2025 Giacomo Puccinis Dreigespann von Operneinaktern auf der Bühne, das Triptychon, das in der Originalsprache „Il Trittico“ heißt. Wer das Personal der drei Stücke kennt, vermutet in dem Abgebildeten Gianni Schicchi, den Helden des dritten Teiles. Er beendet mit seinem Satyrspiel auch in Kiel den Abend, obwohl sonst manches anders ist.

Agnieszka Hauzer als Giorgetta und George Oniani als Luigi.
Puccinis „Il Trittico“ und ein Florenz in Flammen an der Oper Kiel
So gibt es zu jeder der Kleinopern einen Vorspann. Wenn der Vorhang sich hebt, müht sich ein Wanderer durch ein felsiges Gelände, im Hintergrund ein brausendes Wellenspiel mit dem ihm eigenen Wolkenhimmel darüber. Der Wandersmann ist Dante Alighieris Alter Ego (Imanuel Humm aus dem Schauspielensemble), der sich missmutig selbst vorstellt. Er, Dante, sei Dichter und aus seinem Werk habe Puccini, ein Komponist nicht einmal aus Florenz, nur aus Lucca, seine Inspiration gezogen. Auf das Jenseits vorbereiten wolle er, zumal seine Hauptfigur im Angangsstück der Fährmann Charon sei, den Puccini aber Michele nenne. Der Besucher unten, das wird klar, soll sich darauf einstellen, dass alles Geschehen der Divina Commedia zugeordnet werde. Man mag sich fragen, was nun, wenn jemand die katholisch geprägten Fantasien Dantes nicht im Kopfe verfügbar hat? Warum auch, wenn der Abend nach diesem Prolog ganz konventionell mit der Untat beginnt, die der Schleppkahnfahrer Michele (Stefano Meo) als Rivalenmord begeht. Nun soll er der mythische Totenschiffer sein? Das möchte zumindest Pier Francesco Maestrini, der Regisseur, der Dantes althistorischen Mythos mit Pucchinis veristischer Weltsicht munter verquirlt. Damit gewinnt er nun eine Deutung für gleich alle drei Stücke, die das Reale in Mythisches umwandelt. Das Optische bekommt dabei, das wird nach wenigen Szenen klar, einen überwältigenden Anteil, drückt dagegen das Akustische der Oper an den Rand. Doch das war absolut hörenswert, ist aber wegen der Fülle der Ausführenden nicht einzeln zu würdigen. Ein besonderer Moment bleibt. Es ist der, wenn Michele seiner Frau Giorgetta (Agnieszka Hauzer) den toten Luigi (George Oniani) unter seinem Kleidungsstück präsentiert, eine Geste, die immer wieder ausgesprochen theatralisch wirkt. Immerhin bekam der Einakter wegen dieser Szene seinen Titel: „Der Mantel“ („Il Tabarro“).
Auch die anderen zwei Teile bekommen Prologe, etwas besinnlicher der zur „Suor Angelica“, lauter und praller der zum ausufernden Satyrspiel, als das „Gianni Schicchi“ dargeboten wurde. Man weiß: Puccini folgte einem Plan. Das erste Stück sollte tragisch sein, ein lyrisches ihm folgen und ein heiteres den Ausklang bringen. Es wird auch kolportiert, Dante sei Vorbild mit seiner dreigeteilten Divina Commedia. Dort heißen die Abschnitte Inferno, Purgatorio und Paradiso, was wiederum mit den drei Einaktern in Verbindung gesetzt werden kann. Die Sujets hatte Puccini zwischen 1912 und der Uraufführung 1918 unter Mithilfe seiner Librettisten gefunden. Sie führen historisch gesehen immer weiter zurück. Die mörderische Eifersuchts-Geschichte ist dabei die jüngste. Für sie schrieb Giuseppe Adami (1878-1946) das Libretto, der sich dabei eines sozialkritischen Thrillers bediente, der zuvor auch Puccini beeindruckt hatte.
Für das berührende Mittelstück wie etwas später auch für „Gianni Schicchi“ hatte ihm Giovacchino Forzano (1884-1970) die Ideen und Textbücher beschafft. Das eine spielt um 1700 in einem Kloster, für dessen abgeschlossene Welt Puccini ein familiär bedingtes Interesse hatte: seine jüngste Schwester lebte in einem als Nonne und war sogar Vorsteherin. Wunderbar, wie die Klangwelt einer solchen Gemeinschaft in seiner Partitur eingefangen wird, denn Milieus und Atmosphäre seiner Werke waren Puccini immer wichtig. Auch wenn Rani Calderon, der welterfahrene israelische Dirigent, wegen eines tragischen Anlasses die musikalische Leitung erst kurzfristig übernommen hatte, bewies er doch ein großartiges Geschick, sich auf das Können des ihm weitgehend unbekannten Orchesters einzustellen und alle Nuancen aus dem Orchester herauszuholen.
In dem feinsinnigen Mittelstück sind die besonderen Partien die von Angelica (Marta Mari), die als Heilkundige eine wichtige Stellung im Kloster hatte, und ihr Gegenpart, ihre fürstliche Tante (Tatia Jibladze, die einzig in allen drei Stücken besondere Charaktere darstellt). Beider Streit bringt in das lyrische Stück für einige Momente eine große Dramatik. Dennoch ist die Rolle der Angelica trotz ihrer Nähe zu Naturkräften in der plötzlichen Waldszene, in der sie sich zu einer Baumnymphe wandelt, eher märchenhaft als mythisch.
Nach dem dramatischen Anfangsstück und dem Klostermilieu im zweiten wirkt das Finalstück in der weitgehend gleichen Kulisse unpassend. Denn „Gianni Schicchi“ (Matteo Maria Ferretti) hat es in dieser drastischen und zugleich übertriebenen Schau schwer, der Musik, auch der Satire einen Rahmen zu geben, wohl weil die Handlung eigentlich ins Florenz des Jahres 1299 führt und dort in ein häusliches Milieu. Das Bett des Sterbenden ist in der hier gezeigten Schieflage absolut fremd, abstrus auch das abartige Handeln mancher Lebenden. Da wird ein Ohr abgebissen und ausgespuckt, mit abgerissenen Händen agiert oder ein auf der Rückenhaut hinterlassenes Testament aus einem Körper herausgeschnitten. Auch die unzähligen herumliegenden, teils schon versteinerten Leichen verderben den (Lust)Spielcharakter. Man fragt sich, ob Charon sie hinterlassen hat oder sie durch Vulkanausbruch oder Raketenhagel zu erklären sind, die auf das im Hintergrund angedeutete Florenz (oder Kiew oder Gaza) herabregnen. Dante konnte mit dem Endekasillabo Schauriges darstellen, für die Videos auf der Bühne gibt es offensichtlich kein Maß.
Die Anspielungen auf das Werk Dantes sowohl im Libretto des Dante-Kenners Forzano als auch für die Kieler Regie können Ausgangspunkt bei der Suche nach einer leitenden oder einen Zusammenhang stiftenden Idee sein, wirken insgesamt dennoch trivial, fördern vor allem nicht die Wirkung des Besonderen in den drei Stücken. Denn Nicolás Boni nutzte im Bühnenbau und in den Videos ein wenig variiertes Grundmuster. Links begrenzt eine Ruine mit gotischen Bögen den Raum, rechts ist es eine weit ins Meer ragende massive, steil aufragende Felswand. In der Mitte erhebt sich ein flacheres Massiv aus Gestein mit dem Meer dahinter.
Fazit: Kiel hat sich mit der Übernahme dieser im Wirkkreis Dantes erarbeiteten Produktion des Teatro Comunale in Bologna, die dort in Koproduktion mit der Fondazione Teatro Lirico in Triest entstand, nichts Gutes getan. Die barocke Optik ist dem nüchterneren Norden wohl eher fremd.
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