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Opernhaus Magdeburg

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Statement des Theaters Magdeburg zu den Geschehnissen am 09.11.2025

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Am 9. November versammelten sich vor dem Opern- und Schauspielhaus in Magdeburg Menschen, um gegen ein Theaterstück zu demonstrieren, das noch gar nicht existiert. Dabei handelte es sich keineswegs um eine unpolitische Demonstration, wie der Anmelder vorgab. Die sechsstündige „Mahnwache“ setzte sich klar aus Teilen des rechten Milieus zusammen und verfolgt das Ziel, Begriffe wie „Pietät“ ideologisch zu besetzen und die Freiheit der Kunst als Teil unserer demokratischen Grundrechte zu relativieren.

Kontext:

Am Sonntag, dem 9. November 2025, fand vor dem Opernhaus und dem Schauspielhaus Magdeburg eine Demonstration gegen das geplante Theaterstück „3 Minuten (Arbeitstitel)“ statt. Die Demonstrierenden versammelten sich, um gegen das Projekt zu protestieren, das sich mit dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt im Dezember 2024 auseinandersetzen soll.

Das Stück befindet sich noch in der Konzeptionsphase, die Proben haben noch nicht begonnen. Das Theater Magdeburg hat vor etwa neun Monaten einen Autor beauftragt, ein Stück zu schreiben, das sich mit dem Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt und den Folgen für die Stadt und ihre Menschen befasst. Dafür recherchiert der Autor seit Monaten in Magdeburg und ist dafür u.a. auch mit Betroffenen, Politiker:innen und Religionsvorsteher:innen im Gespräch. Der Text entsteht derzeit auf Grundlage dieser Recherchen und ihrer künstlerischen Bearbeitung. Grundsätzlich erheben Theaterstücke niemals den Anspruch auf Vollständigkeit oder realistische Dokumentation. Sie sind eine verdichtete, künstlerische Textform, die zum Beispiel das Ziel haben, Fragen aufzuwerfen, Konflikte erlebbar zu machen oder neue soziale Realitäten zu entwerfen. Wir haben volles Vertrauen in den Autor und alle an der Produktion Beteiligten, dass das in diesem Fall mit höchster Sorgfalt gegenüber allen Betroffenen geschehen wird. Das Stück wird nicht das Geschehen des Anschlags auf der Bühne nachspielen, denn das wäre nicht nur pietätlos, sondern unserer Theaterauffassung nach auch sinnlos, denn das ist nicht das Ziel unserer künstlerischen Auseinandersetzung mit diesem furchtbaren Ereignis.

Die Demonstrierenden äußerten die Forderung, die Produktion vollständig zu stoppen. Sie selbst wollen diese Inszenierung „verhindern“.

Kritik ist jederzeit legitim. Zu hinterfragen, anderer Meinung zu sein ist es unbestritten auch. Doch hier wurde eine Grenze überschritten, im Versuch Kunst zu verhindern. Das ist ein Angriff auf einen Grundpfeiler unserer Demokratie.

Wir als Theater Magdeburg benennen diesen Angriff klar.

Es ist nicht in Ordnung, dass unser Publikum das Gefühl haben muss, unter Polizeischutz ins Theater zu gehen. Es ist nicht in Ordnung, dass eine Lesung (von Texten Victor Klemperers zur Sprache des Nationalsozialismus) durch lautstarke Rufe und Musik von draußen gestört wird. Es ist nicht in Ordnung, dass Besucher:innen und Mitarbeiter:innen des Theaters beschimpft werden. Und es ist nicht in Ordnung, dass politische Vertreter:innen nun fordern, „ins Gespräch“ mit den Demonstrierenden zu treten, ohne zu fragen: Mit wem eigentlich? Und worüber genau?

Die Demonstration setzte sich klar aus Teilen des rechten Milieus zusammen. Die Aufrufe zum Protest wurden (und werden weiterhin) geteilt von Gruppierungen wie Elbjugend und Harz verteidigen – Organisationen, die sich offen neonazistisch positionieren. Auf den Transparenten bei dieser „Mahnwache“ am 9. November vor dem Opernhaus stand unter anderem:

„Remigration rettet Menschenleben“
und
„Schluss mit Politik gegen das eigene Volk.“

In Redebeiträgen wurde dazu aufgerufen, „Die Stimme zu heben, gegen das Theaterstück, gegen deutschlandhassende Ideologie“ und ein „Mahnmal zu setzen gegen Ausländergewalt“.

Das sind keine Missverständnisse. Das ist keine unpolitische Demonstration, wie der Anmelder vorgibt. Das sind klare politische Botschaften. Die rechten Akteur:innen versuchen, ihre Aktionen unter Begriffen wie „Respekt“ oder „Pietät“ zu tarnen – Begriffe, mit denen sie darauf abzielen, eine neue gesellschaftliche Mitte hinter sich zu versammeln.

Leider versäumen es viele Medien, diese Verortung klar zu benennen, und übernehmen ungeprüft die Behauptung, die Versammlung und die Kritik am geplanten Theaterstück sei unpolitisch. Damit geht das rechte Kalkül auf. So verschiebt sich die Wahrnehmung. So entsteht der Eindruck, es handele sich um eine moralisch legitime Empörung im Namen der Opfer. Tatsächlich ist es der Versuch einer rechten politischen Mobilisierung.

Wir richten uns deshalb mit diesem Appell an alle Demokrat:innen: Schauen Sie genau hin.

Fragen Sie sich, mit wem Sie da stehen. Fragen Sie sich, ob Sie sich in Gesellschaft jener wiederfinden wollen, die von „Remigration“ sprechen. Fragen Sie sich, was Sie normalisieren, wenn Sie ungeprüft fordern, man müsse „im Gespräch bleiben“.

Das alles fand am Tag unserer Premiere statt – während auf unseren Bühnen und überall in unserem Theater Menschen aus zahlreichen Ländern miteinander arbeiteten, um Kunst zu erschaffen.

Kritik am Theater ist notwendig. Wir verstehen es als eine Selbstverständlichkeit, uns mit ihr auseinanderzusetzen. Aber ein Satz wie „Wir werden dieses Stück noch kriechend verhindern“, der auf der Demonstration geäußert wurde, überschreitet eine Grenze. Hier wird der demokratische Diskurs, der Raum der legitimen Auseinandersetzung verlassen.

Hier geht es nicht um ein Theaterstück. Hier geht es nicht um „Sorgen“. Es geht darum, Begriffe, Räume und Deutungsmacht zu besetzen – und die Freiheit der Kunst schrittweise zu delegitimieren. Das ist politisch. Und das zielt auf das freie Wort, das offene Bild, das kritische Denken und damit auf die Demokratie als Ganzes ab.

Wir nehmen diese Entwicklung ernst – und wir treten ihr entschieden entgegen. Denn egal, wie man persönlich zu einem Theaterprojekt steht:

Wer Kunstfreiheit relativiert, verlässt den Boden demokratischer Grundüberzeugung. Denn die Freiheit der Kunst ist kein Privileg. Sie ist ein Prüfstein der Demokratie.

Julien Chavaz - Generalintendant, Clara Weyde - Schauspieldirektion,  Bastian Lomsché, Clemens Leander 

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