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Doctor Atomic am Theater Bremen. Nadine Lehner, Michal Partyka. Foto: Jörg Landsberg.

Doctor Atomic am Theater Bremen. Nadine Lehner, Michal Partyka. Foto: Jörg Landsberg.

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Über die Grenzen der Forschung und die Verantwortung der Wissenschaft – John Adams Oper „Doctor Atomic“ an der Bremer Oper

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Kann eine Oper mit einer postminimalistischen, versetzt mit einem postexpessionistischem Gesangsstil, manchmal auch unverhohlen tonaler Musik ein großer, sogar ein ganz großer Abend werden? Ja, wenn man das Werk so realisiert wie jetzt in Bremen geschehen.

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John Adams 2005 entstandene zweiaktige Oper „Doctor Atomic“ behandelt den Kernspaltungsversuch, den die Amerikaner im Juli 1945 in Los Alamos in der Wüste New Mexicos durchführten und der den Abwurf der ersten Atombomben auf Nagasaki und Hiroshima drei Wochen später zur Folge hatte. Das Libretto nach amerikanischen Regierungsdokumenten, Lyrik von Charles Baudelaire und John Donne und der amerikanischen  Schriftstellerin und Feministin Muriel Rukeyser schrieb Peter Sellars. Es passiert eigentlich nicht viel außer den Auseinandersetzungen über „Darf man das überhaupt“ und „Wann und wie warnt man die Japaner?“

Regisseur Frank Hilbrich setzt dazu ein Mittel ein, was nicht per se erfolgversprechend ist: Die Konferenzen zwischen Politikern und Wissenschaftlern werden in einem Glaskasten in Zeitlupe gespielt. Das könnte öde werden, hier aber gelingt es genau dadurch eine ungeheure Spannung über die inneren Vorgänge herzustellen. Die Protagonisten wirken, ausgestattet mit Fantasieklamotten und Haarskulpturen (Gabriele Rupprecht), wie Wachsfiguren, wie Marionetten, von fremder Hand geführte Geister, die Gewaltiges tun, aber eigentlich nicht mehr wissen, was sie tun. Und auch nicht wissen, dass sie gerade zu Ungeheuern werden Es ist atemberaubend, wie sich ihre unbewältigbaren Spannungen und Nöte auf die ZuschauerInnen zu übertragen scheinen.

Die Sänger, die das so grandios leisten, sind Michal Partyka als kettenrauchender Robert Oppenheimer, Elias Gyungseok Han als brutal durchgreifender Politiker General Leslie Groves, Hidenori Inoue als erfolgloser Bedenkenträger, Oliver Sewell als Robert R. Wilson, Christoph Heinrich als beratender und ebenso hilfloser Meteorologe und Wolfgang von Bories als Captain James Nolan.

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    Doctor Atomic am Theater Bremen. Michal Partyka, Nadine Lehner (im Video). Foto: Jörg Landsberg.

    Doctor Atomic am Theater Bremen. Michal Partyka, Nadine Lehner (im Video). Foto: Jörg Landsberg.

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    Einer der vielen szenischen Höhepunkte ist der Zusammenbruch Oppenheimers, als er sich in einer Art Gebet von Gott erbittet, ihn von seinem Größenwahn zu befreien. Ein anderer ist die Zartheit und Friedenssehnsucht seiner Frau Kitty, der Nadine Lehner auch stimmlich einen anrührenden seelischen Reichtum verleiht. Kassandrische Akzente setzte auch Constanze Jader als indigene Kinderfrau.

    Das alles findet in einem in jeder Hinsicht fantastischen Bühnenraum (Volker Thiele) statt, zu dem Ruth Stofer rundherum Videos beisteuerte, die aufregend aussagekräftige Kommentare zum Geschehen waren: wenn vorne, links und rechts überdimensionale Schattengestalten Oppenheimers erscheinen, wenn tausende von nackten Stoffpuppen die ausgesetzte Menschheit markieren, wenn Politikerfotos uns die Zeit veranschaulichen und und und …

    Trotz der stilistischen Verortung der Musik in der harmlosen Minimal Music, der eher spätromantischen sinfonischen Wucht und virtuosen, ganz in der Operntradition verwurzelten Gesangslinien ist sie handwerklich natürlich enorm gekonnt und mitreißend komponiert, inklusive der Klischees und manches auch am Rand des Kitsches. Die Bremer Philharmoniker unter der Leitung des neuen Musikdirektors Stefan Klingele, der sich in zeitgenössischer Musik bestens auskennt, schafften für den langen Abend einen nie nachlassenden Druck, der sich hauptsächlich den zugrunde liegenden Rhythmen verdankt. Und der Chor führte die Regie-Idee einer ebenso neugierigen wie verängstigten Menschheit im grandiosen Schlußbild erschütternd durch. Und dass das Thema nach den Grenzen der Forschung der Verantwortlichkeit der Wissenschaft mit der künstlichen Intelligenz eine immer gefährlichere Aktualität hat: was will ein Opernabend mehr? Man darf schon sagen, dass mit dieser Aufführung die Spielzeit am Theater Bremen geradezu spektakulär eröffnet wurde.

    • Weitere Aufführungen: 22. und 30. 9., 3.; 12., 20. und 22.10., 4. und 24. 11.
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