Dieser Tage erscheint das CD-Album „sacred landscapes“ mit Werken von Tobias PM Schneid bei Coviello Classics. „Kann zeitgenössische Musik heute noch trauern?“, fragt der Publizist Reinhard Schulz, der den Text fürs CD-Beiheft als eine seiner letzten Arbeiten vor seinem eigenen Tod verfasste. Schneids kompositorische Trauerarbeit ist eine Antwort auf die Frage von Schulz. Ja, man kann. Doch es kommt darauf an, nicht ins Klischee zu verfallen, sich nicht mit Klang-Archetypen zufrieden zu geben. Die nmz nahm die jetzt veröffentlichte CD als Anlass zu einem Gespräch mit dem Komponisten.
neue musikzeitung: Wie sehen Sie den Stellenwert von CD-Veröffentlichungen in Ihrem Œuvre?
Tobias PM Schneid: Ich habe bisher drei CDs veröffentlicht, die sehr unterschiedlich sind. Meine erste CD – auf dem Label TalkingMusic erschienen – würde ich als „Jugendsünde“ bezeichnen, da sie Werke enthält, denen man anmerkt, dass sich der Komponist noch auf großer Identitätssuche befindet. Ich habe die Werke aber keineswegs verworfen. Die zweite CD enthält Ensemblestücke aus den Jahren 1999 bis 2001, die ich gemeinsam mit der Musikfabrik NRW und dem Dirigenten Peter Rundel aufgenommen habe. Viele der Stücke, sind in sehr schnellem Tempo und es gibt besonders energiegeladene, vitale Momente. Die neue CD „sacred landscapes“ dagegen beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Tod.
nmz: Die Stückauswahl für eine CD ist auch eine Art von Komposition. Inwieweit hängt die Wahl des Themas Tod, in „sacred landscapes“ mit Ihrer Biografie zusammen?
Schneid: Es gibt da einen sehr engen Zusammenhang: Vor sechs Jahren starb mein Vater und kurz davor mein erster Lehrer Berthold Hummel. Zwei Jahre davor ereignete sich der Anschlag auf das World Trade Center. Dies waren Ereignisse, die mich existentiell berührt haben. Die aus letzterem Ereignis resultierende Komposition – „sacred landscapes“ – basiert auf der Dekonstruktion idyllischer Momente die all das verkörpern, was vertraut ist und Sicherheit gibt. Es beginnt mit der kompositorischen Zersetzung der quintversetzten Oktav aus Mahlers erster Sinfonie – selbst schon ein Trugbild idyllischer Landschaft. Im weiteren Verlauf werden solche idyllischen Momente immer wieder evoziert, um Sie dann auf jeweils unterschiedliche Art in Frage zu stellen, sie zu unterminieren.
nmz: Die musikalischen Mittel, die Sie einsetzen, kennt man durchaus schon aus Ihren früheren Kompositionen. Neu ist dagegen der Ton, der Requiemcharakter hat. Ganz besonders ist da an „Cathedral I–III“ für Klavier zu denken.
Schneid: Die Trauerarbeit findet in diesen Stücken auf ganz unterschiedliche Weise statt. Bei den „sacred landscapes“ ist – wie schon erwähnt – die Zersetzung von Idyllen thematisiert. Die Werke „Cathedral I–III“ dagegen haben einen ganz anderen Hintergrund. Die Idee zu „Cathedral I“ ist während des Requiems für meinen ersten Lehrer Berthold Hummel im Dom zu Würzburg entstanden. Im Verlauf der folgenden Monate sind die anderen beiden „Cathedral“-Stücke, parallel zum Voranschreiten der Krebserkrankung meines Vaters, der nur drei Monate nach der Diagnose verstorben ist, entstanden. Dieses Fortgehen, den Gang ins Abstrakte hinein, habe ich versucht, in Musik umzusetzen. Ist das erste der Stücke noch bewusst relativ konventionell gehalten, so gibt es im zweiten schon kaum mehr Melodie, nur noch Klänge. Und die dritte Cathedral ist völlig durchkonstruiert. Interessanterweise wird der Abstraktionsgrad bei Vereinfachungen und nicht bei noch komplexeren und dissonanteren Akkorden höher. Es gibt hier nur zwei Ebenen, eine aus Dur-Dreiklängen und eine aus einer Allintervallreihe bestehende. Die einst vertraut wirkenden Klänge werden durch die Art und Weise, wie sie eingesetzt werden, nicht fremd, aber stark abstrahiert und spiegeln so im Prinzip die Situation, in der ich das Sterben meines Vaters erlebt habe, wieder: Der Mensch, dem man sein Leben verdankt und mit dem man immer zusammen war, geht ins Abstrakte hinein.
nmz: Das „Klaviertrio No.1“ haben Sie explizit im Gedenken an Ihren Vater geschrieben?
Schneid: Ja. Es handelt sich um ein Ritornell und repräsentiert in seiner formalen Anlage meine damalige persönliche Zerrissenheit. So gesehen ist die Komposition sehr wichtig und zentral in meinem Gesamtwerk. Das Stück habe ich dann 2008 auf den im Sterbejahr 2003 skizzierten Teilen vollendet.
nmz: Der Klang der CD ist – trotz kammermusikalischer Besetzungen und mit Ausnahme von „vertical horizon III“ für Oboe solo – immer auch von fast orchestralen Klangfarben geprägt. Eine typische Schneid’sche-Klangwelt. Kann man das so sagen?
Schneid: Ja, das kann man durchaus so sagen, da die Klangfarbe für mich ein maßgeblicher kompositorischer Parameter ist. Dass „vertical horizon III“ mit auf der CD ist, finde ich äußerst wichtig, da das Stück als einziges nichts mit Trauer und Tod zu tun hat und deswegen verhindert, dass die CD einen esoterischen oder meditativen Touch bekommt. Es ist – nach Nr. I für Klarinette und Nr. II für Flöte – nun das dritte einer Reihe von Solostücken, welche die Idee von John Coltranes „Sheet of Sounds“ aufgreift: Harmonik – also vertikale Klänge – wird auf ein melodisches – also gewissermaßen horizontales Instrument – übertragen. Deshalb auch der Titel „vertical horizon“. Zu dieser Reihe werden noch weitere Stücke für andere Instrumente hinzukommen.
nmz: Bis zu welchem Grad müssen Sie sich nach Ihren Auftraggebern richten oder können Sie selbst darüber entscheiden, wie das nächste Stück aussehen soll?
Schneid: Das Schöne an meinen bisherigen Aufträgen ist, dass ich außer einer Besetzungsvorgabe keine weiteren Einschränkungen hatte. Nur beim Cellokonzert wurde expliziert darum gebeten, es möge – wegen des anstehenden Jubiläums – etwas mit Schumann zu tun haben. Was mir allerdings sehr recht war.
nmz: Wofür soll man als moderner Komponist komponieren, für Donaueschingen oder das Weinfestival im Rheingau? Wo ist der Ort für Ihre Musik?
Schneid: Da ich bisher von niemandem ästhetische Vorgaben erhalten habe, konnte ich deshalb immer die Werke schreiben, die mir persönlich wichtig waren. Die Auftraggeber kennen meine Musik, die, wie ich glaube, auch eine eigenständige Sprache besitzt. Deshalb ist jeder Ort, der diese Voraussetzung erfüllt, der richtige.
nmz: Wer sind die Musiker des Ensemble TrioLog?
Schneid: TrioLog ist ein fantastisches Ensemble, das einen ganz eigenständigen Klang entwickelt hat und mit dem ich schon oft zusammenarbeiten durfte. Die Mitglieder bestehen aus international bekannten Solisten, die oft auch gleichzeitig Mitglieder des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks beziehungsweise der Münchner Philharmoniker sind.
nmz: Man kann also sagen, die Musiker sind vertraut mit Ihrer Musik, mit Ihrer Sprache, wissen, wie man einen Schneid richtig spielt.
Schneid: Ja, allerdings glaube ich nicht, dass es dezidiert notwendig ist, Erfahrung mit meiner Musik zu haben, da die Stücke aus sich selbst heraus sprechen. Ich musste den Musikern nicht viel erklären, die Atmosphäre mancher Stücke hat sich ganz von selbst ergeben. Außerdem ist es immer wieder spannend, die unterschiedlichsten Interpretationen eigener Werke – erarbeitet von verantwortungsvollen Musikern – hören zu dürfen.
Das Gespräch führte Andreas Kolb
Foto: privat