Der Komponist Enno Poppe liebt die Auseinandersetzung mit ästhetischen Oberflächen aus den Gefilden von Jazz, Pop und Rock. +++ Auch Ying Wang zählt zu der Generation von Komponistinnen, die mit den Energien elektronischer Pop- und Rockmusik bestens sozialisiert sind. +++ Der arg früh verstorbene Fausto Romitelli (1963–2004) war einer der Pioniere der E-Gitarre in der Neuen Musik („Trash TV Trance“).

Ying Wang zählt zu der Generation von Komponistinnen, die mit den Energien elektronischer Pop- und Rockmusik bestens sozialisiert sind.
Hedonistische An(ver)wandlungen
Der Komponist Enno Poppe liebt die Auseinandersetzung mit ästhetischen Oberflächen aus den Gefilden von Jazz, Pop und Rock. Da kommen historische Synthesizer-Klänge genauso zu Ehren („Rundfunk“) wie E-Gitarren à la Jimi Hendrix („Fleisch“). In „Körper“ (2021) transformiert Poppe das Ensemble Modern in eine Bigband mit viel Drumset und bratzigem Blech. Aber Poppes Bezugnahmen sind alles andere als einfach gestrickt. Den üblichen Stil-Anleihen und Zitat-Spielereien so vieler halbgarer Crossover-Produkte steht „Körper“ völlig fern. Poppes Spielplatz ist das Strukturelle und zugleich Absurde, wo Akkorde verbeult, Klangfarben angeschrägt und bruchstückhafte Floskeln in zerhackten Schleifen übereinander geblendet werden als klängen mehrere Stücke gleichzeitig. Und dieser überdrehte Bigband-Comic ist nur der Kopfsatz einer 45-minütigen Komposition, die mit lyrischen Jazzanleihen melancholisch weitergeht, um über karrikaturhafte Verzeichnungen und kreischende Tutti-Ekstasen schließlich in einer Fragmentierung des Klangvokabulars zu enden. Eines der ganz wenigen Vokalwerke Poppes markiert „Gold“ für gemischten Chor a cappella (2006/13). Poppe folgt den sprachverliebten Assoziationsketten von Arno Holz mit konzentrierter Zurückhaltung, die sich der üblichen Überladung mit vermeintlich origineller Laut-Theatralik, die so viele zeitgenössische Vokalwerke gleichschalten, angenehm enthält. (Wergo)
Auch Ying Wang zählt zu der Generation von Komponistinnen, die mit den Energien elektronischer Pop- und Rockmusik bestens sozialisiert sind. Ihr opulent bestücktes „528Hz 8va“ (2021/22) ist eine Demonstration der Befreiung nach den Zumutungen der Pandemie, die das SWR Symphonieorchester in einen entfesselten Klangrausch hineintreibt. Aber so ungebrochen hedonistisch wie die Komponistin es mit Aussagen wie „universelle Liebessignale an die Welt senden“ selbst befeuert hat, ist das ganz und gar nicht. Oft entwickeln die nervösen Klangmassierungen ausgesprochen bedrohliche Züge und wenn am Ende stampfende Rhythmen mit Abba im Gepäck vorwärts marschieren, scheint sich Charles Ives im Techno-Keller wiederzufinden.

Ying Wang zählt zu der Generation von Komponistinnen, die mit den Energien elektronischer Pop- und Rockmusik bestens sozialisiert sind.
Jetzt schon legendär: Sebastian Berwecks Vintage-„Kadenz“ auf dem historischen Minimoog. Auch „Schmutz“ für Violine und Orchester (2019) inszeniert ein explosives Geschehen, wo die Solostimme sich auf einem Terrain permanenter Reizüberflutung versucht expressiv zu behaupten. Sie findet in der reißenden E-Gitarre einen Verbündeten (Brian Mays „We will rock you“-Solo inklusive). Am bitteren Ende aber vermitteln sprachlos knisternde Megafone finale Sprachlosigkeit. Wer ein Streichquartett komponiert, scheint nicht an der Gattungstradition vorbeizukommen: In „Copyleft“ (2021) kommen Beethoven, Bártok, Debussy, Schnittke und viele andere mit vagen Andeutungen oder flüchtigen Zitaten in den Streichquartett-Häcksler, der von kantigen Rhythmen und schroffer Gestik angetrieben wird. (Kairos)
Der arg früh verstorbene Fausto Romitelli (1963–2004) war einer der Pioniere der E-Gitarre in der Neuen Musik („Trash TV Trance“). Auch „An Index of Metals“ (2003) weist ihr – nomen est omen – eine tragende Rolle in der Entfesselung klanglicher Energien zu. Das metallische Multimedia für Sopran, Ensemble, Elektronik und Projektion funktioniert auch ohne die Bilder von Paolo Pachini und Leonardo Romoli, die suggestiv zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit schwanken, erstaunlich gut. Ekstatische Gesänge über Texte von Kenka Lekovich („Hellucinations“), eingebettet in eine schmutzig hybride Klang-Szenerie, werden von knisternd-pulsierenden Techno-Intermezzi eingerahmt. Das alles beginnt mit einem unheilvoll auf- und abwogenden Akkord, den Romitelli aus Pink Floyds „Shine on you Crazy Diamond“ geborgt hat und endet in einem Noise-Tsunami, wie man ihn lange nicht gehört hat. Leider handelt es sich bei Romitellis morbid-halluzinatorischer „Video-Oper“ um sein kompositorisches Vermächtnis. Nicht auszudenken, was der noch alles gemacht hätte… (Kairos)
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