Takis Würger: Für Polina +++ HAINDLING – LIVE & LEM +++ Volker Weidermann: Wenn ich eine Wolke wäre +++ Simon Rummel: Der Zauberlehrling +++ Don Cherry, Krzysztof Penderecki: Actions 1977 +++ „Kannst du das Lied verstehn?“ Lieder von Blumen und Bäumen +++ Betsy Jolas: Works for Organ, gespielt von Angela Metzger +++ Muse – Drones +++ Daniel de Visé: Die Blues Brothers
Durch die Blume und mit Träne im Knopfloch
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Takis Würger: Für Polina, Diogenes, Zürich 2025, 304 Seiten, € 26, ISBN 978-3257073355
Es gibt ja diese Bücher, wo man nach dem ersten Drittel schon traurig ist, dass es irgendwann vorbei geht und man das Lesen deshalb etwas hinaus zögert. Das war bei „Für Polina“ der Fall. Auf der sichtbaren Ebene geht es um eine verwunschene Villa im Moor und die Liebesgeschichte zwischen Hannes Prager und Polina, aber eigentlich um die Kraft der Musik. Denn Hannes ist ein Wunderkind und kann mit seinem Klavierspiel und seinen Kompositionen alle zu Tränen rühren und zu mutigen Taten ermuntern, sogar dazu, ihr Leben zu ändern. Und dann wäre da noch der nicht oft beachtete Beruf der Klaviertransporteure. Was Takis Würger aus diesen Elementen macht, ist sagenhaft. Ein wunderbares Buch, das ich oft verschenke.
Ursula Gaisa
2
HAINDLING – LIVE & LEM. Das Fotobuch mit Lebensgeschichten von Jürgen Buchner zugunsten der Kinderkrebshilfe-Ostbayern, 2025, € 35,-, über allmusic.de
Ungefähr 40 Jahre lang hat der hochverdiente bayerische Rock-Intendant Bernd Schweinar, (erst seit Kurzem a.D.) einen ebenso hochverdienten Botschafter bayerischer Weltmusik unter anderem mit der Kamera begleitet. HAINDLING ist im Wesentlichen der Multiinstrumentalist und Komponist Hans-Jürgen Buchner. Es entstand eine wirklich üppige und sehr aussagekräftige Bild-Biografie. Schweinars Blick fürs Wesentliche paart sich mit seinem Text, der eine Ära bayerischer Musikgeschichte mit all den nicht kommerziellem HumpaHumpa verfallenen Musikern kunstvoll dokumentiert. Bitte kaufen – einfach toll!
Theo Geißler
3
Volker Weidermann: Wenn ich eine Wolke wäre, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2025, 240 Seiten, € 23, ISBN 978-3462008630
Der Literaturkritikers Volker Weidermann schreibt über den Deutschland-Besuch der Dichterin Mascha Kaléko, die vor den Nationalsozialisten in die USA geflüchtet war und 1956 erstmals wieder in die alte Heimat reist. Kein reines Musikbuch, aber Kalékos Poesie ist voller Musik, ebenso wie ihre Briefe an den geliebten Ehemann. „Wenn Briefe singen könnten – Maschas Frühlingsbriefe aus Berlin wären ein ganzes Chorkonzert“, so Weidermann. Ein liebevolles Porträt dieser besonderen Frau, gleichzeitig ein Buch, das Exil-Geschichte aus einer besonderen Perspektive erzählt.
Barbara Haack
4
Simon Rummel: Der Zauberlehrling – On Water Orchestra. Impakt Records 038
Sofort wird eine Klangfläche ausgebreitet, die auf Klängen der Glasharmonika beruht, die die meisten der über 30 Musikerinnen und Musiker des Ensembles „On Water Orchestra“ zur Tonerzeugung nutzen. Selten hat mich eine Komposition und ihre Realisation so überrascht wie diese, die über eine halbe Stunde lang funkelt, schimmert, sich in sich selbst verschlingt und so angenehm ziellos einen aus der Zeit herausnimmt. Ein Dauerschweben, -schwimmen, -schlummern …
Martin Hufner
5
Don Cherry, Krzysztof Penderecki: Actions 1977 WERGO/2025 Intuition, 180 gr. Vinyl-LP
Nachdem Krzysztof Penderecki 1967 das Globe Unity Orchestra unter Alexander von Schlippenbach bei den Donaueschinger Musiktagen gehört hatte, beschloss er, für ein derartiges Ensemble zu komponieren. Ihn reizte es, die avancierten Spieltechniken und die Virtuosität der Improvisatoren für eine Komposition zu verwenden. Er schrieb für die Festivalausgabe 1971 das Stück „Actions“ für ein 14-köpfiges Orchester aus europäischen Jazzsolisten: Mangelsdorff, Brötzmann, Schoof, Wheeler oder Benning sind dabei nur einige illustre Mitglieder des New Eternal Rhythm Orchestra. Auf der anderen Seite der 180 gr. Vinyl-LP findet sich ein zweites Stück fürs gleiche Orchester. Der Komponist ist der amerikanische Jazztrompeter Don Cherry. Während Penderecki mit klassischer Partitur arbeitete, wurde bei Cherry nichts aufgezeichnet, nicht einmal die Reihenfolge der Stücke war festgelegt. Dennoch auch hier ein Ergebnis, das über 50 Jahre nach seiner Entstehung frischer klingt, als manches, was seither unter dem kürzlich von Lydia Rilling abgeschafften New Jazz Label in Donaueschingen erklungen ist.
Andreas Kolb
6
„Kannst du das Lied verstehn?“ Lieder von Blumen und Bäumen. Catalina Bertucci, Sopran; Georg Poplutz, Tenor; Tatjana Dravenau, Klavier. Genuin GEN 25936 (CD) Tatjana Dravenau, Lydia Doliva (Hg.): „Kannst du das Lied verstehn?“ Botanische Bildsprache und ihre Vertonungen. Münster, Waxmann Verlag, 2025, Paperback, 236 Seiten, Abb. und Notenbeispiele, € 39,90, ISBN 978-3-8188-0072-7
Wer mit seiner Weihnachtsgabe durch die Blume sprechen möchte, ist mit diesem schön zusammengestellten, erstklassig gesungenen und begleiteten CD-Album genau richtig. 26 Lieder, die meisten davon abseits des Standardrepertoires von Komponist:innen wie Mathilde von Kralik, Benedict Randhartinger, Ingeborg Bronsart oder Ruth Schonthal gehen jenen subtilen Botschaften nach, die im 19. Jahrhundert durch florale Lyrik und botanische Bilder überbracht wurden. Wem der gute Booklet-Text nebst Liedtexten nicht genügt, der kann mit dem flankierenden Buch tiefer in die Materie einsteigen.
Juan Martin Koch
7
Betsy Jolas: Works for Organ, gespielt von Angela Metzger, Orgel, und dem WDR Sinfonieorchester und Leitung von Titus Engel, NEOS 12531
Orgel und Kammerorchester schleudern sich gleißende Cluster, zartes Säuseln und zuckende Kaskaden entgegen. Die Musik wirkt heterogen, chaotisch, anarchisch – anders gesagt: frei, ohne einengende Linearität, Stringenz, Konsequenz. Betsy Jolas wurde 1926 in Paris geboren und studierte am dortigen Conservatoire bei Darius Milhaud und Olivier Messiaen. Die bald hundertjährige französisch-amerikanische Komponistin ist in Frankreich, Großbritannien, den USA und Niederlanden längst bei großen Musikfestivals präsent, im deutschsprachigen Raum aber trotz Einsatz berühmter Dirigenten wie Rattle und Nelsons bislang weitgehend unbekannt. Vielleicht ändern das nun die ausgezeichneten (Erst-)Einspielungen von vier ihrer Werke durch die exzellente Organistin Angela Metzger. Deren präzises, impulsives und gestisch sprechendes Spiel auf der Mühleisen-Orgel in St. Antonius in Düsseldorf-Oberkassel bringt die Farbigkeit, Variabilität und Freiheit dieser Musik kongenial zum Strahlen.
Rainer Nonnenmann
8
Muse – Drones (2015)
Als Fan von Geschenken außerhalb der eigenen musikalischen Bubble empfehle ich heute – nicht neu, aber sehr hörenswert – das Album „Drones“ der britischen Band Muse. Ein Konzeptalbum, in dessen Story der Mensch zunächst innerlich stirbt und sich im Verlauf des Albums zu einer fremdgesteuerten Drohne entwickelt. JFK und ein Drill Sergeant erhalten einen Auftritt, und im letzten Song schafft es die alternativ-, electronic-, country-, hard-Rock-Band trotz ihrer stilistischen Vielfalt durchaus zu überraschen. Es ist vielleicht nicht wirklich ein weihnachtlicher Geschenktipp, aber diese Zeit ist nach dem 26. Dezember schließlich sowieso vorbei. Es sei erwähnt, dass auch die neueren und alten Alben der Band durchaus spannende Inhalte haben und ein erneutes oder erstmaliges Reinhören sich ebenfalls lohnt. CD-Player sind zwar selten geworden in den Wohnzimmern, aber das CD-Cover ist einen Regalplatz sicherlich wert. Außerdem sind die Musikvideos der Band oft zu empfehlen, so auch in diesem Album. Im ersten Song „Dead Inside“ beispielsweise performen Will B. Wingfield und Kathryn McCormick tänzerisch eindrucksvoll und passend zum Inhalt des Songs in einer Choreografie von Tessandra Chavez.
Bernhard Plechinger
9
Daniel de Visé: Die Blues Brothers. Musik, Film, Legende, übersetzt von Hanns Frisch, Reclam, Ditzingen 2025, 543 S., Abb., € 38,00, ISBN 978-3-15-011515-2
Die Geschichte des ungleichen Paars und des mitreißenden Musikfilms, dessen Zeugungsakt ein Late Night-Sketch vor 50 Jahren war, der sich zu der furiosen Musik-Komödie mit Gastauftritten etwa von Aretha Franklin, Ray Charles, James Brown und John Lee Hooker auswuchs – ein äußerst kenntnisreiches Buch mit dem Drive der legendären Verfolgungsjagd des Blues Mobils „im Auftrag des Herrn“.
Michael Wackerbauer
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