Bernd Sibler, ehemaliger bayerischer Staatsminister, ist seit November 2024 Präsident des Bayerischen Musikrats. Anfang Juni stellte Sibler in München im Rahmen einer Pressekonferenz seine ambitionierte Roadmap vor, verschwieg aber auch nicht, mit welchen Schwierigkeiten die Musikausbildung in Bayern konfrontiert ist. Susanne Fließ sprach mit dem exzellent vernetzten Politiker über Musikausbildung, Sinn- und Sing-Strukturen.

Bernd Sibler. Foto: S. Schmolka
Kräfte bündeln, nicht Verbandsegoismen bedienen
neue musikzeitung: Lieber Herr Sibler, Gratulation zu den ersten 200 Tagen im Amt des Musikratspräsidenten
Bernd Sibler: Vielen Dank! Ich habe einen sehr geordneten Verband vorgefunden. Der Verband ist mit Karin Rawe, der Generalsekretärin, und dem Geschäftsführer Andreas Horber sehr gut aufgestellt, die Geschäftsstelle ist hervorragend organisiert. Ich spüre einerseits eine große Offenheit, aber auch Erleichterung darüber, dass mit mir nun wieder jemand im Amt ist, der die Ministerien von innen kennt. Eine erste Ehrung können wir auch schon vermelden: Thomas Goppel wurde mit dem „Goldenen Wirbel“ ausgezeichnet.
nmz: Können Sie in diesen 200 Tagen schon erste Erfolge vermelden?
Sibler: Zunächst ist einmal festzustellen, dass der Verband in den Ministerien wahrgenommen wird. Das hat mich angenehm überrascht, weil das beileibe nicht bei allen Verbänden der Fall ist, und ich spreche hier aus Erfahrung. Unsere Gespräche gingen weit über den üblichen freundlichen Austausch hinaus. Es war echte Sympathie dabei, auch eine hohe Wertschätzung für die Arbeit des Verbandes. Er wird als langjähriger, fairer Partner wahrgenommen. Man hat dem BMR ja von Seiten des Kunstministeriums vor ein paar Jahren die Abwicklung der Zuschüsse übertragen, ähnlich wie das auch beim Landessportverband der Fall ist. Das ist ein Vertrauensvotum. Im Sozialministerium haben wir mit Ulrike Scharf gesprochen zu den Themen Kindertagesstätten, Kinderhorte und dem Ganztagsanspruch, der ab 2027 kommen wird. Im Kunstministerium fand ein Gespräch mit Markus Blume statt, anschließend mit Kultusministerin Anna Stolz. Für mich waren das Heimspiele, weil ich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgrund meiner Vorgeschichte noch gut kenne. Man merkt schon, dass die Musik mit einem sehr positiven Stellenwert in Bayern belegt ist. Das löst zwar noch keine Probleme, aber es sind zumindest gute Voraussetzungen.
Politik vertraut
Bayerischem Musikrat
Beim Thema Ganztagsschule in der Grundschule und die Rolle der Musik konnte Ulrike Scharf bereits Vollzug melden, dass die Angebote der Kinder- und Jugendarbeit in die Gestaltung des Ganztagsunterrichts mit aufgenommen werden können. Diese Angebote werden mit angerechnet, so dass die Kinder sie dann bereits ab der ersten Klasse nutzen können.
nmz: Wie ist Ihre Kandidatur eigentlich überhaupt zustande gekommen?
Sibler: Um hier nochmals den „Goldenen Wirbel“-Preisträger Thomas Goppel zu zitieren: Er nannte mich seinen „Dauernachfolger“. Tatsächlich war er an vielen Punkten immer wieder mein Vorgänger und Vorbild. Ich denke, dass es jedem Berufspolitiker guttut, ein großes Ehrenamt zu bekleiden und bei mir als ehemaligem Kunstminister liegt es nahe, sich im Bereich der Musik zu engagieren. Ich kenne die Strukturen bereits, der Zugang zu den Ministerien ist selbstverständlich, ich bin bayernweit sehr gut vernetzt, zusammen mit dem Netzwerk, das Karin Rawe und Andreas Horber aufgebaut haben, ergänzt sich das sehr gut.
nmz: Ihr Vorgänger Helmut Kaltenhauser sagte damals im Interview in dieser Zeitung: „Für solch ein Amt braucht es einen langen Atem.“ Er hatte das Amt nach nur einem Jahr von Marcel Huber übernommen. Nach seinen zwei Jahren als Präsident haben Sie nun Kaltenhausers Nachfolge angetreten. Wie lang wird Ihr Atem sein?
Sibler: Kurz nachdem ich aus dem Ministerium ausgeschieden war, ist man von Seiten des Musikrats bereits an mich herangetreten und hat mir die Präsidentschaft im BMR angetragen. Eine Kampfabstimmung gegen Kaltenhauser kam für mich nicht infrage, aber als er das Amt aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste, kam ich wieder ins Spiel. Marcel Huber hat das Amt damals ebenfalls aus gesundheitlichen Gründen niedergelegt, so sind diese kurzen Intervalle zu erklären. Ich beabsichtige durchaus, das Amt des Präsidenten nun lange und bei guter Gesundheit zu bekleiden. Mein Vorteil ist, dass ich nicht weit entfernt von München lebe, so dass ich viele Gespräche, die die Musikratsarbeit betreffen, in die Landtagswoche eingliedern kann, weil ich ohnehin vor Ort bin.
nmz: Sie haben ja ein Lehramtsstudium für Deutsch und Geschichte absolviert und haben auch als Lehrer gearbeitet.
Sibler: Das stimmt, allerdings nicht allzu lange, denn es gab in meinen frühen Lehrerjahren die einmalige Möglichkeit, erfolgversprechend für den Landtag zu kandidieren. Aber vor dem Hintergrund meiner Ausbildung habe ich dann vermehrt Kulturpolitik gemacht, was meiner Partei gut zu Gesicht steht.
nmz: Bringen Sie denn eigene musikalische Erfahrungen oder Ausbildungen mit?
Sibler: Ich bin ein klassisches Arbeiterkind und der Erste aus der Familie, der ein abgeschlossenes Studium hat. Meine musikalische Schulbildung, die in den 80er-Jahren stattfand, habe ich über Schallplatten erworben, die mir unser Musiklehrer mit den Worten ausgeliehen hat „Das ist gut, hör das mal an.“ Meine Lieblingsmusik ist noch immer DvoĆáks „Aus der neuen Welt“ und aus der Kindheit erinnere ich mich an „Peter und der Wolf“. In meinem Heimatort steht in unmittelbarer Nachbarschaft zur Grundschule eine ziemlich nagelneue Musikschule. Seit 1996 war ich dort Stadtrat und habe dafür gesorgt, dass eine ganze Reihe von Projekten realisiert werden konnte, um alle Kinder, gerade aus bildungsfernen Schichten, zu erreichen.
nmz: Nach drei kurz aufeinanderfolgenden Wechseln an der Spitze des Bayerischen Musikrates ist es ja sicherlich wichtig, ein gut funktionierendes Backoffice vorzufinden.
Sibler: Mit dem Geschäftsführer Andreas Horber besteht schon seit dem Corona-Lockdown ein regelmäßiger vertrauensvoller Kontakt, er ermahnte die Landesregierung damals beständig, Veranstaltungen und Konzerte wieder zuzulassen. Aber auch die übrigen Mitarbeiter sind professionell und kompetent. Der Haushalt ist gut strukturiert, den hatte ich mir natürlich als erstes angeschaut.
nmz: Als ehemaliger Staatsminister in zwei Ministerien kennen Sie die Wege und Personen gut, um die Anliegen des Bayerischen Musikrates platzieren zu können. Wie werden Sie wahrgenommen, wenn der BMR eine andere Position vertritt als die Staatsregierung, Stichwort: Konzerthaus München?
Konzerthausbau ist Staatsaufgabe
Sibler: Ich bin gewählt, um der Musik Gehör zu verschaffen, ich repräsentiere in diesem Amt nicht die CSU. Wenn Sie sich die Genese des Themas Konzerthaus anschauen, dann war der ehemalige Staatsminister ein massiver Befürworter, obwohl das Thema in meiner Partei damals schon kontrovers diskutiert wurde. Ich habe kein Problem damit, unbequeme Positionen zu vertreten, aber ich habe ein relativ gutes Gespür dafür, wann ein guter Zeitpunkt ist, Themen zu platzieren. Nach meiner Einschätzung sind wir mit der verkleinerten Variante auf einem guten Weg. Aber ich stimme Ihnen zu, es bleibt ein schwieriges Thema, weil das Geld natürlich nirgends mehr locker sitzt. In Hamburg wird der Unternehmer Klaus-Michael Kühne den Bau einer neuen Oper bezahlen. Hier haben wir politische Parteien, die sagen, ein Konzerthausbau ist Staatsaufgabe, da hat ein Mäzen nichts zu suchen.
nmz: Nach Corona hatte der damalige Musikrats-Präsident einen besorgniserregenden Schwund bei den Laienchören konstatiert. Wie ist die aktuelle Lage?
Sibler: Wir können erleichtert feststellen, dass es wieder aufwärts geht. Den Trend spüren wir deutlich, auch mit Unterstützung der Musikschulen, die ihre Zielgruppen ständig erweitert haben: Hier kommt das Thema „Seniorenarbeit“ ins Spiel. Menschen werden immer älter, bei guter Gesundheit, und suchen nach Sinnstrukturen. Aus Sinn-Strukturen werden nun Sing-Strukturen. Ich hoffe, dass sich dieser positive Trend fortsetzt.
Amateurmusik im Kommen
nmz: Der Bayerische Musikrat hat damals eine Initiative gestartet: #MachMusik. Welchen Anteil hat die an der leichten Erholung in diesem Bereich?
Sibler: Sie war ein Baustein in einer konzertierten Aktion mit Laienmusikverbänden, dem Verband Bayerischer Sing- und Musikschulen, dem Deutschen Tonkünstlerverband. Nach Corona haben wir das Thema nochmal in den Mittelpunkt gestellt, auch um der Vereinsamung entgegenzuwirken. Wenn ich noch einmal kurz in die Ministerrolle schlüpfen darf, haben wir damals ministeriumsseitig auch die Zuschüsse für all diese Maßnahmen ein gutes Stück erhöhen können. Das hat eine große Anziehungskraft entwickelt. Wichtig ist, dass die Strukturen gelegt wurden, an die wir nun anknüpfen können. Denn ein System nur auf Idealismus aufzubauen, funktioniert auf Dauer nicht.
nmz: In der Pressekonferenz am 3. Juni haben Sie Ihre Sorge über den geringer werdenden Musikunterricht aufgrund veränderter Stundentafeln geäußert. Worum geht es da?
Sibler: Betroffen sind Grundschulen. Nach der letzten PISA-Studie war die Ernüchterung sehr groß, dass sich in Deutsch und Mathe keine Verbesserungen abzeichnen. Daraufhin hat die Staatsregierung eine Stunde Deutsch und eine Stunde Mathematik mehr festgelegt. Dafür musste man an anderer Stelle zwei Stunden streichen. Seitdem ist das Fach Musik fakultativ gestellt. Die neuesten Rückmeldungen von Verbänden und Musikpädagogen sind allerdings beunruhigend: Der Musikunterricht geht um 40 bis 50 Prozent zurück. Unter dem Aspekt „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ ist das ein problematischer Befund. Diese Zwischenbilanz haben wir in gutem Ton mit Ministerin Anna Stolz angesprochen. Auf unsere Kernforderung wird sie mit einer offiziellen Evaluation reagieren. Das ist auch aus Sicht des BMR ein Erfolg, denn Politik lebt vom Ergebnis und nicht vom Adressieren.
Kooperationen für mehr Musik
nmz: Es wurde auch davon gesprochen, dass Schulen und Anbieter aus dem Musikbereich miteinander vernetzt werden sollen. Wer sind denn die Anbieter?
Sibler: Für den ländlichen Raum wird das vermutlich leichter sein als im städtischen Bereich. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass zum Beispiel eine Jugendblaskapelle an Grundschulen ein kleines Mitmach-Projekt anbieten kann. Ab 2027 gibt es den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an der Grundschule. Die Kinder werden also mehr Zeit in der Schule verbringen. Schon jetzt ermuntern wir unsere Verbände dazu, insbesondere den Verband Bayerischer Sing- und Musikschulen, in die Schulen zu gehen. Unsere Ideen dazu haben wir auch Florian Hermann in der Staatskanzlei vorgestellt und viel Offenheit gespürt. Mir geht es darum, Kräfte zu bündeln, anstatt Verbandsegoismen zu bedienen. Das Ziel sind positive Ergebnisse für die Musik, für die Kinder und Jugendlichen. Dafür suche ich gute strategische Allianzen. Der Bayerische Landessportverband ist einer der geborenen Partner dafür.
nmz: Nehmen Sie auch die Ausbildung an den Musikhochschulen in den Blick?
Sibler: Sie sind wichtige Partner und über das Präsidium des BMR stehen wir in regem Austausch miteinander. Auffällig ist die hohe Abbrecherquote beim Lehramt für Realschulen und Gymnasien, während die Studieneinstiegszahlen recht gut sind. Diesen Effekt beobachte ich schon seit einiger Zeit, wir müssen uns das noch einmal genauer anschauen, aber ich habe den Verdacht, dass die neuralgische Stelle der Einstieg ins Referendariat ist.
nmz: Welches Leitmotiv wird Ihre Amtszeit bestimmen?
Sibler: Sicherlich wird es der Musikunterricht in der Grundschule sein und damit in Verbindung die Frage des Ganztagsunterrichts und wie in diesem Umfeld die Musik gut stattfinden kann. Als Orte der Lehrerfortbildung werden die Bayerischen Musikakademien in Marktoberdorf, in Hammelburg und Alteglofsheim eine wichtige Rolle spielen. Eine der nächsten Sitzungen des BMR wird in unserer Musikakademie Marktoberdorf stattfinden.
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