Die zeitgenössische „E“-Musik hat es nicht leicht hierzulande, bedient sie doch eine Nische, aus der vermutlich absehbar keine Massenkultur wird. Dagmar Sikorski, Musikverlegerin, beobachtet die Szene seit vielen Jahren sehr genau und erkennt gegenwärtig eine rückläufige Entwicklung, die die Neue Musik in allen ihren Facetten und Verbreitungswegen betrifft. Barbara Haack sprach mit ihr für die nmz über ihre Sorgen und Einschätzungen.
neue musikzeitung: Im Kultur- und Musikleben wird zurzeit die bange Frage gestellt, ob und wann die Wirtschaftskrise dort ankommen wird. Frau Sikorski, Sie sind nicht nur Verlegerin, unter anderem von zeitgenössischer Musik, sondern auch Vorsitzende des Musikverlegerverbandes und Präsidiumsmitglied des Deutschen Musikrats. Wie steht es in Krisenzeiten um die öffentliche Förderung der Neuen Musik?
Dagmar Sikorski: Nun – es gibt genauso viele Konzerte wie bisher, genauso viele (oder genauso wenig) klassische Musik im Radio. Aber die Zusammensetzung der Programme hat sich geändert. Es gibt eindeutig weniger zeitgenössische Musik, mehr bekanntes Repertoire.
nmz: Worauf führen Sie das zurück?
Sikorski: Jeder, der heute ein Programm für sein Orchester zusammenstellt, möchte nachweisen, dass gerade sein Orchester auch wirklich gebraucht wird. Er orientiert sich daher mehr am Markt. Bekannte Programme verkaufen sich bekanntlich besser. Der Kulturauftrag, also das, was die öffentliche Förderung auch zeitgenössischer Musik rechtfertigt, wird immer mehr zurückgedrängt.
nmz: Wenn wir über den „Markt“ sprechen: Es hat ja durchaus Zeiten gegeben, in denen auch zeitgenössische Musik „marktgängig“ war. Gibt es denn heute noch Komponisten in der „E-Musik“, die echte Hits schreiben?
Sikorski: Natürlich gibt es das. Aber die Leistung vieler Komponisten wird üblicherweise erst nach deren Tod anerkannt und gewürdigt, so wie es zum Beispiel bei Schostakowitsch, Prokofieff oder Mahler der Fall war. Früher haben allerdings die Komponisten, die gleichzeitig auch Musiker waren, ihre eigenen Werke und die ihrer zeitgenössischen Kollegen aufgeführt. So wagemutig ist heute ein Dirigent, der gleichzeitig Komponist ist, nicht mehr.
Doch Sie haben insofern Recht: Eine Zeit lang wurde zeitgenössische Musik am Markt vorbei komponiert. Die Komponisten waren vielleicht weiter als das Publikum und haben vergessen, ihre Zuhörer mitzunehmen.
nmz: Sehen Sie da eine Wende? Denken Komponisten darüber nach, wie der Markt größer wird?
Sikorski: Sobald ein Komponist versucht, gängig zu komponieren, wird er gleich von der Presse abgestraft.
nmz: Wenn die Situation für eine öffentliche Förderung der Neuen Musik nicht besonders günstig ist, sieht es beim Thema Sponsoring vermutlich nicht anders aus. Welche ist überhaupt die Motivation, in einen solchen nicht eben öffentlichkeitswirksamen Bereich zu investieren?
Sikorski: Bisher wurden gerade bei Festivals – und dort findet Sponsoring ja zum großen Teil statt – die Sponsoren durch Auftragswerke eingebunden. Dadurch konnten sie einen Event kreieren, bei dem sich der Komponist den Gästen präsentiert und die Werke in Einführungsgesprächen erläutert werden.
nmz: Ist bei den privaten Geldgebern auch ein Rückgang der Förderung von zeitgenössischer Musik zu beobachten?
Sikorski: Ich sehe überhaupt einen Wandel beim Thema Sponsoring. Firmen, die bisher Musik gefördert haben, ziehen sich massiv zurück. Das liegt natürlich auch daran, dass sie weniger Geld haben. Sie ziehen sich aber auch aus dem Sponsoring zurück, weil sie sich immer eng an dem Tatbestand der Vorteilsgewährung entlang hangeln. Die Umsetzung der Compliance Richtlinien und der Corporate Governance zeigt ihre Wirkung: Bei den Salzburger Festspielen zum Beispiel sind in diesem Jahr die Kartenbestellungen von Firmen um 15 Prozent zurückgegangen. Das liegt vor allem am österreichischen Anti-Korruptionsgesetz.
nmz: Die Gesetzgebung zur Besteuerung von Sponsorenleistungen und Kundengeschenken ist aber – zumindest in Deutschland – nicht neu.
Sikorski: Aber die Tatsache, dass dies auch immer mehr unseren Bereich tangiert, ist neu. Natürlich mussten sich Sponsoren schon bisher mit Steuerfragen beschäftigen. Wenn zum Beispiel die Firma Sikorski einen Kunden zu einem Konzert einlädt, wird dieses Ticket aus unversteuerten Einkommen finanziert und muss daher versteuert werden, entweder durch den Kunden oder aber durch die Firma. Wenn es um einen Mandatsträger oder den Inhaber eines öffentlichen Amtes geht, darf ich den vermutlich nicht einladen, weil ich mich sonst der Bestechung schuldig mache. Ich habe mit einer Mandatsträgerin in unserem Haus schon die Diskussion geführt, ob ich ihr eine Tasse Kaffee anbieten darf …
Die Gesetze sind nicht neu, aber sie wurden bisher weniger streng ausgelegt. Große Festivals wie zum Beispiel das Schleswig-Holstein-Musikfestival sind doch nur möglich geworden durch das immense Sponsoring großer Firmen. Ich glaube nicht, dass so etwas heute noch möglich wäre.
nmz: Was tun Lobbyverbände wie der Musikverlegerverband oder der Deutsche Musikrat für die Verbesserung solcher Bedingungen?
Sikorski: Im Deutschen Musikrat wird dieses Thema zurückgedrängt, weil es einfach zu wenige interessiert. Für die großen Laienverbände hat es weniger Bedeutung. Um im Deutschen Musik-rat etwas bewegen zu können, müssen Sie nicht nur das Präsidium auf Ihrer Seite haben, sondern auch die Mehrzahl der Menschen, die dort vertreten sind. Ich versuche, das Thema dort einzubringen, indem ich immer wieder darauf hinweise, dass ohne Komponisten alle anderen Musikberufe gar nicht möglich wären.
Im Deutschen Musikverlegerverband arbeiten wir – auch in Gesprächen mit anderen Verbänden wie zum Beispiel der DOV – sehr intensiv an diesen Fragen.
nmz: Die letzte Bastion für die Verbreitung zeitgenössischer Musik ist eigentlich der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk. Auch dort ist aber – wenn auch bei den einzelnen Sendeanstalten sehr unterschiedlich ausgeprägt – die Tendenz zum Mainstream zu beobachten.
Sikorski: Das Problem ist, dass jeder Intendant sagt: Der Hörer zappt heute schnell weg, wenn ihm etwas nicht gefällt. Deshalb kommen wir zu diesen aufbereiteten Häppchen-Programmen. Lediglich die Rundfunkorchester spielen in ihren Konzerten meistens noch ein Werk der zeitgenössischen Musik. Aber wenn die Mitschnitte für die Sendungen auf 55 Minuten gekürzt werden müssen, fällt meistens das zeitgenössische Stück weg und wird nicht gesendet.
nmz: Da gibt es eine zum Teil sehr heftig geführte Diskussion zwischen den Verlagen und den Rundfunksendern. Die Sender behaupten, die Materialgebühren, die die Verlage verlangen, seien viel zu hoch.
Sikorski: Wenn Sie die Materialgebühren für zeitgenössische Werke aller deutschen Rundfunksender zusammenaddieren, kommen Sie auf nicht viel mehr als das Weihnachtsgeld der Intendanten. Wenn man bedenkt, wie viel die Rundfunkanstalten bezahlen, um ein Fußballspiel senden zu können, dann sollte dieses Thema, bei dem es immerhin um Kunst und Kultur geht, keine Rolle spielen. Eigentlich muss sich hier jede Diskussion erübrigen.
nmz: Wir leben im digitalen Zeitalter. Sehen Sie eine Gefahr für die Verlage durch Angebote im Internet?
Sikorski: Gerade wenn es um zeitgenössische Musik geht, muss der Konsument die Möglichkeit haben, sich die Noten anzusehen. Früher war dies im Musikalienhandel möglich, aber dort ist zeitgenössische Musik heute nicht immer vorrätig. Also sollte es im Internet das Angebot geben, Testseiten zu sehen. Ich bin allerdings nicht der Meinung, dass man alles immer gleich zum Download anbieten sollte, vor allem nicht das gängige Weltrepertoire, das die guten Händler vorrätig haben beziehungsweise über den Großhandel sehr schnell bestellen können. Aber beim weltweiten Vertrieb zeitgenössischer Musik sollte man schon über bezahlte Downloads nachdenken. Gegen die Gefahr der illegalen Downloads müssen wir allerdings angehen.
nmz: Sie sind auch Mitglied des GEMA-Aufsichtsrates. Die GEMA kommt in der Öffentlichkeit zurzeit nicht allzu gut weg. Die Petition, von der im Moment alle sprechen, zeigt das, wenn sie auch sicher problematisch ist …
Sikorski: … ja, vor allem, weil hier nicht nur Äpfel mit Birnen, sondern auch noch mit Karotten verglichen werden.
nmz: Es ist zu vermuten, dass viele Menschen hier unterschrieben haben, denen es nicht um die eigentliche Frage der Petition, nämlich die Tarife für Kleinveranstalter, geht, sondern darum, ihrem generellen Unmut über die Arbeit der GEMA Ausdruck zu verleihen. Wenn das aber so ist, sollte doch die GEMA darüber nachdenken, ob sich nicht etwas ändern muss.
Sikorski: Das muss und tut die GEMA ohnehin derzeit, aber es muss auch entsprechend kommuniziert werden – und hier gibt es sicherlich Nachholbedarf. Jedenfalls profitieren wir in der E-Musik vom Solidargedanken der GEMA.
nmz: Noch …
Sikorski: Wenn das zu Fall kommt, dann wird der Ausschüttungsbetrag im nächsten Jahr katastrophal niedrig sein. Zurzeit wird die E-Musik noch auf der Grundlage des Kulturauftrages von der GEMA gefördert.
nmz: Sehen Sie diese Art der Verteilung zwischen U und E angesichts der Diskussionen innerhalb der GEMA und der Besetzung der Gremien für die kommenden Jahre gesichert?
Sikorski: Im Augenblick sehe ich sie gesichert, weil sie ja Bestandteil des Verteilungsplanes ist. Wenn natürlich betroffene Mitglieder die Politik nicht mitbestimmen, weil sie nicht an der Mitgliederversammlung teilnehmen, dann kann man nicht viel machen. Der Souverän ist die Mitgliederversammlung, und die beschließt. Bei der Petition zu den GEMA-Themen geht es ja auch um erhöhte Tarife für Konzerte. Die Erhöhung betrifft aber nur große Veranstalter. Dass eine Großveranstaltung zurzeit um die zwei Prozent des Wertes einer verkauften Karte zahlt, der kleine Club aber mehr, zeigt, dass hier Handlungsbedarf besteht.
nmz: Das heißt aber doch, dass die Forderung der kleinen Veranstalter berechtigt ist, wenn sie gegenüber den großen so ungleich behandelt werden.
Sikorski: Welche Forderung? Die Tarife für die Kleinveranstalter werden doch gar nicht erhöht, außerdem gibt es für diesen Bereich immer noch Sozialtarife. Die Autoren müssen bei jeder Auswertung ihres Schaffens angemessen beteiligt sein. Zwei Prozent bei Großveranstaltungen stellen keine angemessene Beteiligung dar.
In der Kritik steht ja auch die Regelung, dass nur die ordentlichen Mitglieder bei der GEMA mitbestimmen können. Ordentliches Mitglied kann jeder schon bei einem relativ geringen Jahres-Aufkommen werden. Das Aufkommen aller außerordentlichen Mitglieder liegt bei acht Prozent des Gesamtaufkommens der GEMA. Diese Mehrheit, die nicht ihren Lebensunterhalt mit dem Komponieren von Musik bestreitet, darf nicht die hauptberuflichen Komponisten majorisieren.
Es tut weh, dass die Errungenschaften der GEMA, der Kultur- und Solidargedanke oder die Alterssicherung, jetzt von allen in Frage gestellt werden. Auch die EU tut das Ihrige dazu. Und es tut weh, dass die GEMA dadurch in ein schlechtes Licht gerät. Die Konzertveranstalter haben im Übrigen dieses Vorurteil richtig bedient, durch immer neue Pressemitteilungen zum gleichen Thema. Die Autoren sind dagegen eine inhomogene Masse, die leider nur sehr schwer zu einer gemeinsamen Aktion zu mobilisieren ist.
nmz: Aber die Kritik an der GEMA kommt auch aus den eigenen Reihen.
Sikorski: Das liegt auch daran, dass immer die aufschreien, die weniger bekommen. Die, die von der GEMA profitieren, melden sich leider zu selten zu Wort. Deshalb finde ich den Autorenpreis der GEMA so wichtig. Es ist unerlässlich, dass auch die Autoren mal sagen: Es ist gut, dass es die GEMA gibt.