Dieser Bundeswettbewerb wird in die an Ereignissen nicht eben arme Geschichte von „Jugend musiziert“ eingehen: Waren es neue, Aufsehen erregende Kategorien wie der erste Wettbewerb im wiedervereinigten Deutschland nach dem Mauerfall oder ein erstmals abgesagter Bundeswettbewerb 2020, so ist es 2021 der erste Bundeswettbewerb ohne die quirlige Lebendigkeit von tausenden Teilnehmenden, die nach neun Monaten Vorbereitung ihre „fünfte Jahreszeit“ genießen. Ein Geister-Wettbewerb? Eine Bilanz.
Von mehr als 15.000 Kindern und Jugendlichen hatten sich mehr als 2.200 Nachwuchsmusikerinnen und -musiker für den Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ 2021 in Bremen und Bremerhaven qualifiziert, der in 24 Solo- und Ensemblekategorien ausgeschrieben worden war. Coronabedingt und im Kontext so vieler abgesagter Festivals, Konzertreihen und auch Sport-Großveranstaltungen, das wurde im Laufe der Planungen allen Verantwortlichen deutlich, wäre ein öffentlich durchgeführter Bundeswettbewerb im Mai in Präsenz jedoch nicht zu rechtfertigen gewesen. So wurden alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die die Qualifikation geschafft hatten, aufgefordert, sich mit einem Video am Bundeswettbewerb zu beteiligen.
140 Jurorinnen und Juroren aus dem gesamten Bundesgebiet waren jedoch nach Bremen eingeladen worden und bewerteten unter strengen Hygienevorgaben von 20. bis 26. Mai die mehr als 1.700 Videos.
Auf der einen Seite also Fachleute vor Ort, getestet, mit FFP2-Masken und hinter Spuckschutzwänden, auf der anderen Seite Großbildschirme und Lautsprecheranlagen in 21 Räumlichkeiten, verteilt auf Bremen und Bremerhaven. Ein Experiment, dem alle mit gemischten Gefühlen entgegensahen.
In den landesweiten Wettbewerben „Jugend musiziert“, die ja in diesem besonderen Jahr zum großen Teil mit den Regionalwettbewerben verschmolzen waren, hatten zahlreiche Jurorinnen und Juroren jedoch bereits Erfahrungen mit dem Videoformat gesammelt und berichteten überzeugend, dass die Qualität der aufgenommenen Videos eine untergeordnete Rolle spiele, wenn es darum gehe, Aspekte wie Intonation, Atmung, Phrasierung oder Zusammenspiel zu beurteilen. Das ermutigte die Verantwortlichen auf Bundesebene, und so startete der 58. Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ am 20. Mai mit den ersten Video-Wertungsspielen und wurde für eine breite Öffentlichkeit am 22. Mai erstmals sicht- und erlebbar, als JumuTV mit dem live gestreamten Konzert der Bremer Philharmoniker unter der Leitung von Stefan Klingele und den beiden Solist*innen, der Geigerin Karin Tilch und dem Cellisten Gustav Rivinius auf Sendung ging. Dem Konzertstream voraus gingen unter anderem Videobotschaften des Präsidenten des Deutschen Musikrates, Prof. Martin Maria Krüger und des Kultursenators Dr. Andreas Bovenschulte, der im Namen der Gastgeberstadt Bremen die „Jugend musiziert“ -Community begrüßte.
JumuTV – ein voller Erfolg
Die Plattform war auf youtube eingerichtet worden mit dem erklärten Ziel, den Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ 2021 in seiner ganzen Vielfalt einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen: Mit Beiträgen der Gastgeberstädte, Mitmach-Videos zu Musikergesundheit, Ergebnisbekanntgaben und viel Musik aus den in diesem Jahr ausgeschriebenen Kategorien. Um die Erfolgsmeldung vorweg zu nehmen: Allein an diesem ersten Abend wurde die Seite 2.700 Mal aufgerufen und die hohen Klickzahlen hielten sich über den gesamten Wettbewerbszeitraum. Mit Katharina Herkommer konnte darüber hinaus eine professionelle Moderatorin gewonnen werden, die einfühlsam, empathisch und versiert durch das Programm führte.
Auch die live verlesenen Ergebnisbekanntgaben im Internet sind eine Premiere in der langen Geschichte von „Jugend musiziert“, und die Entscheidung, so zu verfahren waren gleichzeitig der Zeitpunkt, zu dem ein paar bis dahin eherne Grundsätze diskutiert werden mussten: Wie wertschätzend würde eine quasi „weltöffentliche“ Verlesung der Ergebnisse von den Teilnehmer*innen empfunden werden? Wie frühzeitig und umfassend mussten Jury-Gremien eingebunden werden, damit Wettbewerbsbeiträge auch dann schon gesendet werden konnten, wenn die Ergebnisse vielleicht erst im Lauf des Tages bekannt gegeben würden? Welche Ton- und Bild-Qualität würden die Videos überhaupt haben und nicht zuletzt: Würde sich das dynamische Wettbewerbsgeschehen mit dem Programm von JumuTV vereinbaren lassen? Es klappte. Und es verbreitete bundesweit Freude! Das war auch dem Chat zu entnehmen, der sich während der jeweils vierstündigen Streams füllte:
„Ich finde das toll, dass ihr uns trotz Corona ein tolles Jumu bietet! DANKE DANKE DANKE!“, gehörte zum größten Lob für das gesamte Format, aber auch Ergebnisse und Preis-Spiegel einzelner Kategorien wurden kritisch und fachkundig kommentiert: „Ich finde, man kann auch auf ein „sehr gut teilgenommen“ unglaublich stolz sein und sich daran weiter entwickeln“, sagte ein Zuschauer, ein anderer warf ein: „aber man muss auch sagen, wenn es nun mal „Asse“ gibt, dann setzen die natürlich Maßstäbe.“
Auf insgesamt 22 Sendeplätzen wurden die Ergebnisse im Laufe der Wettbewerbstage bekannt gegeben, von den Jury-Vorsitzenden oder Mitgliedern des entsprechenden Jurygremiums selbst verlesen und mit Spannung erwartet von Lehrkräften, Eltern und den Musiker*innen selbst „Ich flipp hier gerade aus 1. Preis!!!!! JAAAAAAAAAA“, kommentierte ein soeben ausgezeichneter Musiker sein Ergebnis und wurde – so wie alle anderen Nachwuchsmusiker*innen auch - von der Moderatorin dazu ermutigt, sein Glück auch im Bild festzuhalten. So versammelten sich im Laufe der Tage auf den Social Media-Kanälen all diese glücksstrahlenden Momente und verliehen dem Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ 2021 eine nachhaltige Wirkung.
Ein vorbildliches Format für 2022ff?
War die Entscheidung, einen Bundeswettbewerb ohne präsente Teilnehmer durchzuführen, also richtig und welche Bilanz zieht der Vorsitzende von „Jugend musiziert“, Prof. Ulrich Rademacher und welche Schlüsse für den Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ 2022?
“Noch nie in der Geschichte unseres Wettbewerbes haben wir gegen so viel Widerstand geübt, musiziert, motiviert, organisiert und gefördert wie in diesem Jahr. Und waren am Ende erfolgreich! Alle gemeinsam haben wir damit ein starkes Lebenszeichen für die Musik und deren Bedeutung in unserem Leben gesetzt. Das tat sehr gut! Wir glauben, dass das, was mit so viel Gegenwind geleistet wurde, uns eine besondere Energie und Resilienz beschert.
Die eingereichten Videos bescherten uns einen Einblick in die Vielfalt der Herkünfte unserer Teilnehmenden: Wir waren oft sehr privat zu Gast in Wohnzimmern, Kinderzimmern, Musikzimmern, Musikschulen, Hochschulen, Kirchen, Musikläden oder Gemeindesälen. Juroren freuten sich über fachlichen Austausch, die Technik funktionierte, auch Handy-Aufnahmen wurden geschätzt, wir hörten sie wie historische Aufnahmen, die ja auch erst bei liebevoll abstrahierendem Hinhören ihren Zauber entfalten.
Nur zur Erinnerung: Auch der Wettbewerb 2020 war ja nicht ganz ausgefallen. Immerhin gab es für 20.000 Teilnehmende Regionalwettbewerbe mit Beratungen, Konzerten und Begegnungen unter Freunden, es gab ein paar Landeswettbewerbe und auf Bundesebene die WESPE. Die nicht stattgefundene „Krönung“ des Wettbewerbsjahres mit einem Bundeswettbewerb hinterließ jedoch große Frustration bei Teilnehmenden, Lehrkräften, Eltern, Förderern und Organisatoren. Ein nochmaliger Ausfall hätte den Verlust von Förderung, Motivation, nachhaltiger Berufsvorbereitung, wertvollen Anschlussmaßnahmen bedeutet. Nein, ein nochmaliger Ausfall war für uns keine Option.
Und 2022? Auch wenn wir wissen, dass der richtige Zauber der Musik sich nur live und in Präsenz vermittelt, von leibhaftigen Menschen in Echtzeit für leibhaftige Menschen zum Klingen gebracht, wissen wir jetzt: Videos und Erinnerungen an unsere Live-Erlebnisse können notfalls einmal den Verlust überbrücken helfen. Wir hoffen ausdrücklich: Nur ein Mal!
Eines ist aber vielleicht eine wirklich neue und zusätzliche Qualität: JumuTV ermöglicht noch mehr JuMu-Familienmitgliedern ein Hineinschnuppern in den Wettbewerb. Wann war es jemals möglich, dass Teilnehmende, Lehrende und Eltern, denen bisher nur die Regional- oder Landesebene vertraut ist, Wertungen aller Kategorien und Altersgruppen eines Bundeswettbewerbes miterleben konnten?“
Die Coronalage erforderte es, dass die beiden teilnehmerstarken Besetzungen „Schlagzeug-Ensemble“ und „Besonderer Besetzungen mit Werken der Klassik, Romantik, Spätromantik und Klassischen Moderne“ der Wettbewerbs-Saison 2021 nicht zur Teilnahme am Bundeswettbewerb eingeladen werden konnten, weil schon die Proben für die Teilnahme am Landeswettbewerb in den allermeisten Bundesländern nicht erlaubt waren. So ist geplant, dass im September Bremen erneut Gastgeberin ist, wenn es vom 9. bis 12. September einen Präsenzwettbewerb für diese beiden Kategorien geben wird. Eine weitere von vielen organisatorischen Herausforderungen, die Projektleiterin Ulrike Lehmann im Auge behalten muss: „Ich bin sehr glücklich, welche Reichweite der Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ 2021 letztendlich entfalten konnte. Die konkreten Planungen dazu setzten ja zu einem Zeitpunkt im Frühjahr ein, als nicht klar war, wie sich die Inzidenzzahlen entwickelt würden. Gemeinsam mit allen Verantwortlichen in der Hansestadt Bremen, Bremerhaven und auch im Landesmusikrat Bremen ist uns unter diesen ungewöhnlichen Umständen ein wunderbarer Bundeswettbewerb gelungen. Uns allen ist jedoch bewusst, wie sehr die Präsentation auf einer Bühne, der Applaus, die Atmosphäre im Konzertsaal von allen Beteiligten vermisst werden. Deshalb ist der Bundeswettbewerb Teil 2 als Präsenzwettbewerb geplant. Dann haben alle Interessierten die Möglichkeit, die Wertungsspiele der Schlagzeug-Ensembles und großen Besetzungen zu besuchen und die phantastischen musikalischen Leistungen live zu erleben.“
“Jugend musiziert” dankt, nein, es verbeugt sich voller Respekt und Dankbarkeit vor allen, die sich diesem ungewöhnlichen Bundeswettbewerb 2021, seinen Herausforderungen, Anstrengungen und Unwägbarkeiten unterzogen haben, den Juror*innen und Juroren, den Gastgeberstädten, die ihre Rolle in JumuTV souverän und formvollendet ausgefüllt haben. Die größte Hochachtung verdienen jedoch diejenigen, denen „Jugend musiziert“ in diesem Jahr keine Bühne bieten konnte: Die jungen Musikerinnen und Musikern, die einen langen Atem bewiesen haben, allen widrigen Bedingungen zum Trotz. Dafür verdienen alle einen Sonderpreis mit Auszeichnung!