Die seit 2001 in der Basilika von St. Gereon – der ältesten Kirche Kölns – stattfindenden Orgelfesttage genießen inzwischen zu Recht einen Ruf, der weit über die Grenzen Kölns hinaus reicht: Hier konzertieren jedes Jahr in stimmungsvollem, vom Schein zahlreicher Kerzen geprägtem Ambiente Organisten von internationaler Reputation und präsentieren dem Publikum Programme unterschiedlichster Couleur.
Ein in dieser Hinsicht besonders interessantes und mit Spannung erwartetes Konzert spielte am Sonntag, den 12. November 2017, der britische Konzertorganist und Pianist Wayne Marshall, der dem Kölner Publikum seit der Spielzeit 2014/15 als Chefdirigent des WDR–Funkhausorchesters bekannt ist und sich für sein Kölner Orgeldebüt ein sehr anspruchsvolles Programm zusammengestellt hatte, dessen Eckpfeiler zwei eigene Improvisationen bildeten.
Bereits in der ersten Improvisation „Intrada“ zeigte er sich als Meister dieser Kunst und zog den Zuhörer durch sein farbenreiches, harmonisch facettenreiches Spiel in seinen Bann; obwohl recht unspektakulär und monothematisch angelegt, erweckte diese relativ kurze Intrada mit ihren unruhig vagierenden Harmonien und lydischen Anklängen die Lust auf mehr.
Im zweiten Stück, Präludium und Fuge in D-Dur (Hallelujah) von Franz Schmidt (1874–1939) schien diese angedeutete Vitalität zum ersten Male zu explodieren: Die kurzen melodischen Anläufe zwischen den majestätischen Akkorden in dem Präludium spielte Marshall in atemberaubendem Tempo und mit traumwandlerischer Sicherheit. Der souveräne Fluss seines Spiels vermochte es auch, die manchmal etwas schräg und deplatziert wirkenden alterierten Harmonien in der Fuge zu einem logischen Ganzen zu verschmelzen.
Das nun folgende Werk Präludium und Fuge C-Dur BWV 547 von J.S. Bach (1685–1750) kam recht flott und den tänzerischen Charakter betonend daher; durch das Tempo in Verbindung mit der brillanten Registrierung lag hier der Fokus der Interpretation auf dem strahlenden, lebensbejahenden Glanz von Bachs Musik, vor vielleicht etwas zu kurz gekommener Ausleuchtung polyphoner Strukturen und chromatischer Tiefendimension.
Als nächstes folgte eine Komposition Franz Liszts (1811–1886), zwar in völlig anderer Zeit anzusiedeln, aber sich doch direkt auf Bach beziehend: Präludium und Fuge über B–A–C–H, jene berühmte musikalische Hommage an den Thomaskantor, in der das thematische Material aus den Buchstaben seines Namens entwickelt wird. Die sich hieraus ergebenden chromatischen Abwärtsschritte waren für Liszt eine optimale Vorlage für ein Werk, in dem er die ganze Palette seiner dramatischen und virtuosen Kompositionsmittel verwenden konnte. Marshall wählte hier teilweise abenteuerlich schnelle Tempi, die er aber absolut souverän servierte. Bemerkenswert waren hier seine Artikulationskunst und Virtuosität sowie seine raffinierten Registrierungen in den mysteriösen Abschnitten.
Den bombastischen, plagal angelegten Schluss kann man nur als eine Glorifizierung Bachs verstehen, in der sich der Triumph seines Genies spiegelt: Ein strahlendes, fast schon übermächtiges Licht, widergespiegelt in einem berauschenden Klang, den der Organist zu fast schon unerträglicher Länge ausdehnte.
Als Ruhepunkt in der Konzertdramaturgie fungierte das nächste Stück: Ave Maria von Enrico Bossi (1861–1925), in dem man sich eine etwas feinsinnigere lyrische Registrierung und intensivere Andacht gewünscht hätte, bevor es im nächsten Programmpunkt wieder mit einer kolossalen Komposition Franz Schmidts weiterging: Variationen und Fuge über ein eigenes Thema (Königsfanfaren aus der Oper Fredigundis). In diesem groß angelegten Werk zeigte Wayne Marshall wieder seine überragende Virtuosität und Vitalität in den ekstatischen und stürmischen Passagen, man hörte ihm den Genuss beim Spielen an. Hier überzeugte er eigentlich mehr als das Werk an sich, das in seiner Länge und manchmal etwas schwülstigen Harmonisierung dann doch überladen und schwer verdaulich wirkte.
Vollends überzeugend und beglückend war dann das letzte Stück des Konzertes: eine Improvisation Marshalls über Themen von Beethoven (aus der fünften Sinfonie und dem Rondo des Violinkonzertes). Kein Zweifel, beim Improvisieren ist er ganz in seinem Element und nimmt den Zuhörer mit in eine Welt, in der es viele wunderbare Dinge zu entdecken gibt – altbekannt Geglaubtes erscheint in völlig neuem Gewande. So entlockte er der Orgel Klangfarben, die man meinte, noch nie gehört zu haben und den Themen Beethovens Erscheinungsformen, die wie eine Neuschöpfung wirkten. Auch der Humor kam nicht zu kurz, kleine Sekunden und Jazz-Einsprengsel setzte er dezent aber wirkungsvoll. Nach abwechslungsreicher Reise durch verschiedenste Tonarten (u.a. lydische Verfremdungen), Tempi und Harmonisierungen fand Marshall mit klangmächtigen, teils auch mit Alterationen gewürzten Schlussakkorden einen grandiosen Abschluss seiner Improvisation.
Das Publikum dankte Wayne Marshall dieses außergewöhnliche, energiegeladene Konzert mit langem, begeistertem Applaus und Standing Ovations.
18. Orgelfesttage 2018
Basilika St. Gereon, Köln – Sonntag, 11. November 2018, 17 Uhr: Prof. Ireneusz Wyrwa,
Warschau – Sonntag, 18. November 2018, 17 Uhr: Philippe Lefebvre,
Notre Dame, Paris – Sonntag, 25. November 2018, 17 Uhr: Tobias Skuban, München