Olaf Praetorius: Südkoreanische Musikstudierende an deutschen Musikhochschulen. Authentizitätsmythos und Eurozentrismus als Herausforderung für Musikinstitutionen Was asiatische Studienbewerber/-innen dazu motiviert, sich an einer deutschen Musikhochschule zu bewerben, ist bei weitem nicht nur hochschulpolitisch brisant. Die These, die Erwartung an eine authentische Begegnung mit „europäischer“ Kunstmusik spiele für die Bewerbungen eine bedeutsame Rolle, findet – auch durch Selbstdarstellungen der Musikhochschulen – große Verbreitung.
Was hat es jedoch mit der Vorstellung auf sich, musikalische Authentizität lasse sich erlernen oder lehren? Wer profitiert von einer Mythisierung kultureller Authentizität und warum ist diese problematisch?
Indem asiatische Musiker/-innen von den internationalen Konzertpodien nicht mehr wegzudenken sind, fordern sie „unsere“ Denkmuster heraus. Angesichts dieses Potentials ist es erstaunlich, dass die Sozialisation asiatischer Musiker/-innen mit „westlicher“ Kunstmusik – ausgenommen bei Komponist/-innen – praktisch unerforscht ist. Seit ungefähr einem halben Jahrhundert prägen zunehmend auch asiatische Studierende das Bild deutscher Musikhochschulen, dennoch konnte meine Arbeit „Musiklehre und -lernen auf der Spur kultureller Authentizität? Südkoreanische Musikstudierende im ,Ursprungsland der Musik‘“ im letzten Jahr als „Pionierarbeit“ mit dem Rave-Forschungspreis des Instituts für Auslandsbeziehungen ausgezeichnet werden. Die Auseinandersetzung mit „nicht-westlichen“ Musiker/-innen, deren musikalische Sozialisation durch „westliche“ Kunstmusik stattfindet, fällt scheinbar durch ein institutionell verankertes Wahrnehmungsraster der dreigegliederten systematischen, historischen und vergleichenden Musikwissenschaft.
Die Ergebnisse der Arbeit sind umso erhellender. Das gesamte Konzept kultureller Authentizität erwies sich als fragwürdiger Motivationsfaktor. Es scheint geeignet, asiatische Studierende als „Andere“ zu sehen, die sich für „unsere“ Musik interessieren. Eine rein westliche Interpretationsweise, die es erlaubt, Konsequenzen für „unsere“ Kulturvorstellungen zu ignorieren. Dabei sind asiatische Musiker/-innen ein deutliches Indiz dafür, dass verbreitete Reflexionen über die Besonderheiten „abendländischer“ Kunstmusik den musikalischen Realitäten des 21. Jahrhunderts längst nicht mehr gerecht werden. Wer die weltweite Popularität „westlicher“ Kunstmusik vor allem in der hohen Entwicklung „europäischer“ Kunstmusik begründet sieht, relativiert die Bedeutung globaler politischer und wirtschaftlicher Machtverhältnisse und deren historische Entwicklungen. Der Umgang deutscher Musikinstitutionen mit der Musik „Anderer“ ist deshalb gegenwärtig äußerst widersprüchlich.
Auf der einen Seite wird die Relevanz der Öffnung gegenüber neueren Kulturtheorien, wie dem Konzept von Transkulturalität, auch von Institutionen, wie dem Deutschen Musikrat, betont. Auslöser hierfür ist die spät reifende Erkenntnis, dass im „Zuwanderungsland“ Deutschland von einer homogenen Musikkultur keine Rede sein kann und die Institutionen der Vielfältigkeit der Musik in Deutschland bisher kaum gerecht werden. Im Gegensatz dazu erscheint die weltweite Verbreitung „europäischer“ Kunstmusik und die daraus resultierende Internationalität der Studienbewerber/-innen zu völlig konträren Interpretationen zu verleiten.
Die „Kulturnation“ Deutschland ist stolz, der Welt mit der Musik die Sprache geschenkt zu haben, die heute weltweit der Verständigung zwischen den „verschiedenen Völkern und Kulturen“ dienen soll. In kaum einer (musik-)politischen Rede zur Bedeutung der Musik für den interkulturellen Dialog fehlen einschlägige Zitate aus dem 19. Jahrhundert, die die verbindende Kraft der (westlichen klassischen) Musik beschwören. Die sich dahinter verbergenden anachronistischen Kulturvorstellungen werden kaum hinterfragt und erhalten geradezu eine Renaissance. Dieses Beharren auf selbstüberhöhenden Kulturanschauungen ist nicht nur auf den Einfluss konservativer Vertreter/-innen des öffentlichen Musiklebens zurückzuführen, die die bildungsbürgerliche Kanonsisierung musikalischer Bildung durch gegenwärtige Entwicklungen gefährdet sehen und die Kenntnis des „Eigenen“ zur Vorraussetzung kulturellen Dialogs erheben.
Der Anspruch, Musik deutschsprachiger Komponist/-innen lasse sich nirgends so authentisch erfahren, wie an dem Ort ihrer Entstehung, ist vor allem auch als Etablierung und Patentierung einer (außen-)politisch und musikinstitutionell immer bedeutsameren Marke „Made in Germany“ zu betrachten. Gerade im Hinblick auf asiatische MusikerInnen mit schmerzhaften Nebenwirkungen: der Förderung resistenter Stereotype bis hin zu rassistischen Vorurteilen.
Die komplexen historischen Entwicklungen, die dazu führten, dass westliche Kunstmusik gerade in Ost-asien große Verbreitung finden konnte, werden hingegen kaum untersucht. Für Südkorea beispielsweise, bedeutete die in den 1880er-Jahren (von den westlichen Nationen erzwungene) wirtschaftliche Öffnung die erste institutionelle Konfrontation mit „westlicher“ Musik, die über amerikanische MissionarInne Einzug in Kirchen und Missionsschulen erhielt. Die bedeutend spätere Popularisierung „westlicher“ Kunstmusik seit den 1950er-Jahren baute darauf auf und spiegelt Kulturtransfer-Leistungen innerhalb der koreanischen Gesellschaft wider. „Koreanische“ Werte wurden nicht einfach aufgegeben zugunsten einer als höherwertig empfundenen „westlichen“ Kultur. Die „westliche“ Musik erwies sich vielmehr als ideales transformationsfähiges Medium zur Transportation „koreanischer“ Werte und Normen. Die Bezeichnung „westliche“ Musik darf deshalb nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine koreanische Klavierschülerin auch beim Üben einer Mozart-Sonate ihre „eigene“, „koreanische“ Musik spielt.
Es gibt viele Gründe, weshalb Südkoreaner/-innen sich für den deutschen Studienstandort interessieren. Dazu zählen neben der Anerkennung der hohen Qualität deutscher Musikhochschulen zahlreiche bestehende soziale Kontakte. Die Spur kultureller Authentizität zu „unterstellen“, entstammt einem eurozentristischen Kulturverständnis, denn die Leistungen koreanischen Kulturtransfers werden so zu defizitären Missinterpretationen der wahren authentischen Substanz umgedeutet. Wenn Kulturtransfer aber diese negative Konotation erfährt, schließt das eine gleichberechtigte Anteilnahme asiatischer Musiker/-innen am Umgang mit „westlicher“ Musik dauerhaft aus.
Unzählige kulturelle Projekte nutzen Musik erfolgreich als Medium kulturellen Austauschs. Um diesem Anspruch jedoch in der Breite des Musiklebens nicht zuwider zu handeln, sind Musikinstitutionen herausgefordert, sich den Problematiken eurozentristischer Kulturbilder radikal zu öffnen. Die Situation asiatischer Musikstudierender ist ein eindrückliches Beispiel dafür, wie unverantwortlich mit Vorstellungen von Kultur oder kultureller Authentizität umgegangen wird. Niemals hat es asiatischen Musiker/-innen daran gemangelt.
Buch-Tipp
Die Examensarbeit von Olaf Praetorius ist unter dem Titel: „Musiklehre und -lernen auf der Spur kultureller Authentizität? Südkoreanische Musikstudierende an deutschen Musikhochschulen“ im „vdm Verlag Dr. Müller“ veröffentlicht. ISBN: 3639216911, € 49,-