Das Thema Kinderschutz spielt naturgemäß in der Musikschularbeit eine wichtige Rolle. Lehrende und Lernende kommen sich im Instrumental- oder Gesangsunterricht sehr nahe. Emotionale Prozesse ebenso wie Körperlichkeit sind wichtige Faktoren beim Musizieren. Von zentraler Bedeutung ist es deshalb, dass sich Lehrkräfte dieser Nähe bewusst sind und eine Sensibilität dafür besitzen, wo genau die Grenzen gezogen werden müssen, damit kein Gefühl des „Übergriffs“ entsteht. Musikschulleiterinnen und -leiter wiederum stehen in der Verantwortung, diese Grenzen nicht nur festzulegen, sondern auch dafür zu sorgen, dass sie eingehalten werden. Der VdM hat drei Begriffe identifiziert und definiert, die in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielen:
Diskriminierung beginnt dort, wo sich Menschen durch das Verhalten eines Gegenübers hinsichtlich ihrer Persönlichkeit oder ihrer äußeren Erscheinung herabgewürdigt fühlen und dadurch bei ihnen Unwohlsein, Minderwertigkeitsgefühle und Verunsicherung ausgelöst werden.
Machtmissbrauch beginnt dort, wo Menschen sich von einer höhergestellten Person aufgrund eines Abhängigkeitsverhältnisses gezwungen fühlen, unangemessenes Verhalten hinzunehmen oder sich selbst in einer bestimmten Weise zu verhalten. Sexuelle Belästigung beginnt dort, wo Menschen Äußerungen, aber auch Blicke und Gesten eines Gegenübers als unangemessen, unangenehm oder bedrängend empfinden und ihre persönlichen Grenzen überschritten werden. Sexuelle Belästigung ist grundsätzlich ein einseitiges, geschlechtsbezogenes Verhalten, das sich verbal, nonverbal oder physisch äußern kann. Es wird als einschüchternd, demütigend und verstörend empfunden und kann zu Stresserleben, Verunsicherung, Ängsten, depressiven Gefühlen oder psychosomatischen Beschwerden führen.
Musikschulen haben also den Auftrag, Konzepte zum Schutz zu entwickeln, die auch Maßnahmen der Prävention sowie Informationen zum Umgang mit Verdachtsfällen enthalten. Zu den Inhalten eines solchen Konzepts gehören die Risikoanalyse, ein Verhaltenskodex und themenbezogene Fortbildungen. Das Thema Partizipation sollte eine Rolle spielen, also die Entscheidung für eine systematische Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an Entscheidungen, die sie betreffen. Solche Beteiligung stärkt die Position der Kinder und Jugendlichen und verringert das Machtgefälle zwischen Erwachsenen und den jungen Menschen. Schließlich sollte es ein geregeltes Beschwerdeverfahren und einen „Notfallplan“ geben.
Die Stuttgarter Musikschule hat ein solches Konzept entwickelt. Eine Handreichung zum Umgang mit sexueller Diskriminierung oder Übergriffen sei von besonderer Wichtigkeit, schreibt Musikschulleiter Friedrich-Koh Dolge im Vorwort. „Eine Kultur des gegenseitigen Respekts und der gegenseitigen Wertschätzung ist der gesunde Nährboden für eine ungehinderte Entwicklung und Entfaltung der Persönlichkeit von Kindern und Jugendlichen auf ihrem Weg des Erwachsenwerdens.“ In einem Vorspann wird auf die entsprechenden Paragrafen im Bundeskinderschutzgesetz hingewiesen, ebenso auf die Besonderheiten im Musikschulalltag, die mit der oben genannten Nähe im Unterricht und der notwendigen Sensibilität zu tun haben. Anschließend geht es um das Hinterfragen der eigenen Rolle durch die Lehrkräfte, um ihr Selbstverständnis und ihr Verhalten. Die Handlungsgrundsätze greifen Themen wie Berührung, Grenzziehung, Kleidung, Sprache und Kultursensibilität auf. Schließlich werden Fragen des Verhaltens und Vorgehens im Verdachtsfall beantwortet.
Auch andere Institutionen haben sich mit dem Thema Kindeswohl und Kinderschutz im Kulturbereich beschäftigt. Die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) hat ein „Leitbild Prävention und Kindeswohl“ entwickelt, die Deutsche Bläserjugend ein umfassendes Praxishandbuch „Verantwortungsvoll für starke Persönlichkeiten“, in welchem Kindeswohl, Kindesschutz und Gefährdung behandelt werden (beide Publikationen können im Internet heruntergeladen werden).
Schon beim Musikschulkongress 2017 hatte ein Themenforum über „Schutzkonzepte und Partizipationsprozesse an Musikschulen“ informiert. Der Zusammenhang zwischen Schutz von Kindern und Jugendlichen und deren Beteiligung an Entscheidungen wurde dort noch einmal sehr deutlich. Referiert hatte hier unter anderem Andreas Fleischmann, Leiter des Jugendkunsthauses Esche in Hamburg, der gemeinsam mit dem Hamburger Konservatorium und der Landesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendkultur eine Broschüre zu Kinderschutzkonzepten erarbeitet hat. Dieses handliche Büchlein enthält unter anderem eine umfangreiche Checkliste zur Risikoeinschätzung für Institutionen, den Vorschlag für eine „Verhaltensampel“ (pädagogisch richtiges Verhalten, pädagogisch kritisches Verhalten, Verhalten, das „nicht geht“) und genaue Infos darüber, was im Verdachtsfall, was im Umgang mit verletzten Kindern und Jugendlichen zu tun ist. Auch die Inhalte der Broschüre sind im Netz abrufbar.