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Alles anders als früher, nur das Honorar nicht

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Die Ansprüche an Musikschullehrer steigen, gewürdigt wird das in keiner Form
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Das Berufsbild des Musikschullehrers hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Vorbei sind die Zeiten, als der Musikschullehrer gegen Mittag das Musikschulgebäude betrat, seinen auf den Unterricht abgestimmten und entsprechend ausgestatteten Raum aufsuchte, alle halbe oder Dreiviertelstunde die Tür öffnete und einen Schüler empfing, der schlimmstenfalls nicht geübt hatte.

Früher fand der Unterricht in der Regel nach Schulschluss (also ab mittags) im Musikschulgebäude statt. Heute betritt der Musikschullehrer, sofern er in einer Kooperation mit einer allgemeinbildenden Schule arbeitet, oft schon am Vormittag einen Klassenraum mit einer halben oder ganzen Schulklasse darin. Für den Nachmittagsunterricht oder auch für eine Kooperation mit einer anderen allgemeinbildenden Schule fährt er dann an einen anderen Unterrichtsort. Vielleicht betritt er aber auch erst viel später keinen Raum im Musikschulgebäude mehr, sondern ebenfalls einen Klassenraum in einer allgemeinbildenden Schule, um dort seinen Nachmittagsunterricht zu erteilen. 

Den Unterricht direkt nach dem Unterricht der allgemeinbildenden Schule zu beginnen, heißt oft, dass der Raum nicht gesäubert worden ist, wenn er denn überhaupt frei ist und nicht von Lehrern der Schule zufällig besetzt („Suchen Sie sich doch einfach einen anderen Raum, ich führe hier heute Elterngespräche!“). Oft müssen Tische und Stühle geräumt werden, selten ist die Ausstattung so, wie die Musikschullehrkraft sie eigentlich für ihren Unterricht benötigt. Zugang zu Kopierer, Telefon und Kaffeemaschine? Schwierig bis unmöglich. Und dann kommt nicht alle halbe oder Dreiviertelstunde ein Schüler, der schlimmstenfalls nicht geübt hat, sondern bestenfalls kommt ein Schüler, der nicht geübt hat. 

Meistens kommen aber mittlerweile statt einzelner Schüler Gruppen zum Instrumentalunterricht. Das kann beglückend sein, wenn die Schüler Spaß daran haben, miteinander zu musizieren. Sie können von Anfang an Dinge lernen, die man nur gemeinsam lernen kann, zum Beispiel Intonation oder Zusammenspiel. Aber es ist für den Musikschullehrer auch eine viel größere Herausforderung, mehrere Kinder mit unterschiedlichem Leistungsstand und unterschiedlich schneller Auffassungsgabe am Ende der Stunde mit einem befriedigenden Lernergebnis nach Hause zu schicken. Es erfordert ein Vielfaches an Vorbereitungszeit und eine viel größere Konzentration während des Unterrichts, denn neben der Vermittlung von Fachwissen muss ja gleich noch die soziale Komponente („Wie verhalte ich mich in einer Gruppe?“) mit unterrichtet werden. Die Lärmbelastung steigt. Der Einsatz der Sprechstimme wird anstrengender, weil zunehmend mit erhobener Stimme gesprochen werden muss. 

Aber vor allem kommen immer öfter Schüler, die gar nicht in der Lage sind, den Unterricht aufzunehmen. Da sind die, die nach einem langen Schultag einfach nur müde sind oder noch Hausaufgaben machen müssen oder sich so über ihren Lehrer/Sitznachbarn … geärgert haben, dass sie gar nicht imstande sind, sich auf den Unterricht zu konzentrieren. Das sind die mit den kleinen Problemen. Dann sind da die mit den etwas größeren Problemen: die, die Schwierigkeiten haben, sich zu konzentrieren und für die es allein schon eine Leistung darstellt, überhaupt pünktlich zum Unterricht zu kommen, die aber weder geübt noch ihre Noten dabei haben. Und schließlich sind da die mit wirklich großen Problemen zu Hause, die sie mit in den Unterricht bringen. 

Thema Lehrergesundheit

Wie wirken sich derart veränderte Bedingungen auf die Musikschullehrer, auf ihre Berufszufriedenheit und ihren Gesundheitszustand aus? Zum Thema „Lehrergesundheit“ wurden in den letzten Jahren zahlreiche Studien erarbeitet. Hintergrund ist weniger die staatliche Sorge um die Lehrer, vielmehr sind es die immensen Kosten, die durch krankheitsbedingte Ausfälle und vorzeitige Pensionierungen der  Lehrer entstehen. Allein das Land Berlin kostete im Jahr 2010 die eintausend dauerkranken Lehrer 65 Millionen Euro. 

Leuphana-Studie

Auch die Leuphana-Universität Lüneburg hat in Zusammenarbeit mit der DAK im Oktober 2011 eine Studie zum Thema Lehrergesundheit (Lehrer an allgemeinbildenden Schulen) veröffentlicht. Eine Studie zur Gesundheit von Musikschullehrern gibt es hingegen noch nicht. Für die Leuphana-Studie wurden 1.204 Lehrer an 29 Schulen in 7 Bundesländern befragt. Untersucht wurde der gefühlte Gesundheitszustand der Lehrkräfte, die Belastungen, denen sie ausgesetzt sind, der Umgang mit diesen Belastungen, Verbesserungsmöglichkeiten im Umgang mit belastenden Faktoren sowie die Frage, ob die befragten Lehrkräfte glauben, bis zu ihrer Pensionierung arbeiten zu können.

Als besonders belastend empfinden Lehrer Zeitdruck und fehlende Erholungspausen im Unterrichtstag, Lärm sowie zu große Leistungsunterschiede der Schüler. Weiterhin werden die stimmliche Belastung und die geringe Lernbereitschaft der Schüler als große Belastung empfunden. 

Viele Lehrer finden es schwierig, nach der Arbeit abzuschalten. Sie beschäftigen sich gedanklich weiterhin mit Problemen in der Schule. Grund hierfür könnte die Tatsache sein, dass die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts normalerweise zu Hause stattfindet, somit Beruf und Freizeit/Privatleben nicht klar getrennt sind. Auch die entlastenden Faktoren werden untersucht: Hier wird zum Beispiel Unterstützung im Kollegium genannt oder Zusammenarbeit im Unterricht sowie Rückmeldung über die geleistete Arbeit durch die Schulleitung. Erwähnt, aber nicht näher untersucht werden als entlastende Faktoren eine gute finanzielle Versorgung sowie eine hohe Wohnqualität. Trotzdem glauben nur 41 Prozent der befragten Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen, bis zur Pensionierung arbeiten zu können.

Die Arbeit des Musikschullehrers nähert sich immer mehr der eines Lehrers an einer allgemeinbildenden Schule an, nicht zuletzt durch die zahlreicher werdenden Kooperationen zwischen Musikschulen und Schulen. Insofern ist Vieles aus der Leuphana-Studie übertragbar. In manchen Punkten aber sind die psychischen Belastungen für den Musikschullehrer deutlich höher: Oft ist er an Unterrichtsstandorten allein, das heißt, ohne die Möglichkeit des kollegialen Austauschs. Manchmal muss er im Lauf des Unterrichtstages den Standort wechseln. Er bringt nicht nur sein eigenes Instrument mit in den Unterricht; er nutzt vor allem auch sein privates Telefon zur Unterrichtsorganisation, was bedeutet, dass auch die Eltern seiner Schüler ihn zu Hause anrufen und somit die Trennung von Beruf und Privatleben weiter erschwert wird. Viele Dinge erledigt er inzwischen, ohne wirklich dafür ausgebildet zu sein, zum Beispiel Großgruppen zu unterrichten oder sich mit verhaltensauffälligen Kindern auseinanderzusetzen, in Projekten wie „JeKi“ im Tandem zu unterrichten oder gleich den ausfallenden Musikunterricht der allgemeinbildenden Schule zu übernehmen. Nicht selten wird der Musikschullehrer von seiner Schulleitung ermahnt, sich doch bitte kundenfreundlich zu verhalten. Mit anderen Worten: Er soll sich an den Bedürfnissen der Schüler und ihrer Eltern orientieren, um keine zahlenden Kunden zu verprellen – was gleichzeitig heißt, den Anspruch an die eigene Arbeit zurückzuschrauben, gegebenenfalls bis an die Grenze der Selbstverleugnung. 

Das trägt nicht zur Erhaltung der seelischen Gesundheit bei, ebenso wenig die im Vergleich zu Lehrern an allgemeinbildenden Schulen deutlich schlechtere Bezahlung. Wenn überhaupt festangestellt und nach TvöD/TvL bezahlt, wird er nach E9 eingruppiert. Aber mittlerweile sind die wenigsten Musikschullehrer festangestellt. Da gibt es Haustarifverträge oder, noch schlimmer, Honorarverträge und im Bereich der Tarifbeschäftigten fast ausschließlich Teilzeitstellen, die selten mehr als das knappe Überleben sichern. Diese Vergütung und der Status der Musikschullehrkräfte entsprechen in keiner Form mehr den gestiegenen Anforderungen. Die Eingruppierung im öffentlichen Dienst bemisst sich nach der Schwere der Aufgabe und der übertragenen Verantwortung. Das heißt, hier fehlt ganz klar etwas!

Denn auch das sagt die Leuphana-Studie deutlich: „Die Gesundheit der Lehrkräfte ist nicht nur eine Bedingung für das persönliche Wohlbefinden, sie ist auch eine wichtige Voraussetzung für die Umsetzung des Erziehungs- und Bildungsauftrages.“ Die immer prekärer werdende Situation wird sich zusätzlich zu den alltäglichen Arbeitsbelastungen auf den Gesundheitszustand der Betroffenen auswirken. Hinzu kommt, dass die wenigsten Musikschullehrer über eine ausreichende Altersvorsorge verfügen, schon gar nicht im Fall einer krankheitsbedingten Frühverrentung. Das heißt, berufsunfähige Musikschullehrer verursachen nicht nur Kosten im öffentlichen Gesundheitssystem, sondern fallen direkt in die Grundsicherung im Alter. Im Klartext: Für das, was der Arbeitgeber heute einspart, wird morgen die öffentliche Daseinsvorsorge aufkommen müssen!

Die Lehrergesundheit sollte unseren Arbeitgebern, also den Kommunen sowie Ländern wie Hamburg und Berlin, also auch für unseren Berufsstand einiges wert sein, nicht zuletzt, weil eine ausreichende finanzielle Versorgung, die Möglichkeit, sich auf die Vorbereitung des Unterrichts konzentrieren zu können und nicht darüber nachdenken zu müssen, wie die Miete bezahlt wird, direkt zur Verbesserung der Unterrichtsqualität beitragen. Daher fordern wir: 

Eine erste Maßnahme zur Gesunderhaltung von Musikschullehrern wäre gleicher Lohn für vergleichbare Arbeit, also Festanstellungen und eine deutlich höhere Eingruppierung für Musikschullehrkräfte!

Aufklärung nötig

Ein weiterer Wunsch geht an die Schulleitungen von Musikschulen: Wir wünschen uns dringend Schulleitungen, die nicht nur der Erhöhung des Kostendeckungsgrads oder dem nächsten „Kunden“ hinterherlaufen, sondern sich auch an die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers/Dienststellenleiters erinnern. Denn auch das zeigt die Leuphana-Studie deutlich auf: Das Schulklima, die Anerkennung der Arbeit durch die eigene Schulleitung und die Möglichkeit des Austauschs mit Kollegen sind wichtige Punkte im Bezug auf die Lehrergesundheit.

Dass sich die psychische und physische Gesundheit immens auf die Leistungsfähigkeit von Beschäftigten auswirken, hat die Wirtschaft schon vor Jahren erkannt und reagiert zunehmend mit entsprechenden Maßnahmen zur Gesundheitserhaltung. Der Staat tut hingegen bislang wenig für diejenigen Lehrer, die in seinem Auftrag Bildungs- und Erziehungsleistungen unter immer schwierigeren Bedingungen erbringen sollen. Hier Verbesserungen durchzusetzen wird nur mit einem entsprechenden politischen Engagement der Betroffenen zu erreichen sein. Allerdings: Viele „Entscheidungsträger“, darunter auch solche, deren Kinder selbstverständlich die lokale Musikschule besuchen, wissen nicht einmal, unter welchen Bedingungen Musikschullehrer arbeiten und welche Konsequenzen das für die jeweilige Lehrkraft hat. Klären wir sie auf! 

1 Quelle: Törne, L. (2010): Bildungssenator: Dauerkranke Lehrer kosten 65 Millionen Euro. Berliner Tagesspiegel vom 23. September 2010

 

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