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Forscher: Strauss gab der europäischen Musikwelt neue Richtung

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Dresden/München - Die Musikwelt feiert den 150. Geburtstag von Richard Strauss. Das Jubiläum wird auch zum Anlass für eine differenzierte Sicht auf Leben und Werk des Komponisten genommen. Nun endet das Strauss-Jahr. Der Münchner Strauss-Forscher Stephan Kohler hält ihn für den maßgeblichen Impulsgeber der Musikwelt an der Schwelle zum 20. Jahrhundert. In einem Interview der DPA plädiert der Experte für eine Trennung zwischen Werk und Person und spricht über die musikgeschichtlichen Leistungen des Komponisten.

Interview: Jörg Schurig, dpa

Frage: Was fasziniert Sie an Richard Strauss?

Antwort: Sein Werk. Über die Person Strauss selbst gibt es sehr unterschiedliche Meinungen. Nicht alle Handlungsweisen in seinem Leben können mir gefallen, beispielsweise sein Zick-Zack-Spiel in politischen Angelegenheiten. Als jemand, der Jahrgang 1951 ist, habe ich mich aber nie berufen gefühlt, über einen solchen Menschen zu Gericht zu sitzen. Es ist gut, wenn man bei Strauss zwischen Werk und Person trennt. Was in seinem Leben schuldhaft gewesen sein mag, ist ja nicht Bestandteil seines Werkes. Ähnlich wie bei Richard Wagner, dessen Antisemitismus man in seinem Werk ja auch nicht greifen kann.

Frage: Aber was ist das Faszinierende an der Musik?

Antwort: Er hat an der Schwelle zur Moderne das Potenzial der Spätromantik bis zum Gehtnichtmehr ausgereizt und trotzdem immer wieder neue, unerwartete Lösungen gefunden. Als der junge Bela Bartok das erste Mal den «Zarathustra» hörte, hat er gesagt: Diese Musik ist etwas völlig Neues, sie trifft uns wie ein Blitzschlag. Strauss ist anders als alle anderen Spätromantiker. Er ist ein Signal in eine neue Richtung. Ähnlich hat sich Claude Debussy geäußert. Er schätzte an Strauss am meisten, dass er die deutsche Musik aus der Sackgasse des Wagnerismus herausgeführt hat.

Frage: Welche Facetten sehen Sie noch in seinem Werk?

Antwort: Strauss hat immer wieder gesagt, dass für ihn die weibliche Psyche ein unerschöpflicher Gegenstand ist und dass er ein besonderes Talent habe, sich in die Möglichkeiten der weiblichen Stimme hineinzufühlen. Das kann man gut am «Rosenkavalier» nachvollziehen, wo im Terzett drei Frauenstimmen singen und es trotzdem nicht eintönig wird. Er hat die drei Stimmen als verschiedene Stimmtypen angelegt und in der Mischung dann etwas ganz Großartiges erreicht. Er hätte wohl am liebsten, was die Männer angeht, nur Hosenrollen komponiert. Tenöre hielt er für schauspielerisch unbegabte, dumme Tölpel.

Frage: Wie lässt sich seine Musik mit Attributen beschreiben?

Antwort: Sie ist in der ersten Hälfte seines Leben avantgardistisch. Dann ist sie retrospektiv, aber nicht nostalgisch. Strauss versuchte keine billige Anmache an die Musik des 19. Jahrhunderts. Den Spätwerken von der «Schweigsamen Frau» über «Daphne» bis zu «Capriccio» - merkt man an, dass sie zwar einen liebenden Blick zurück in die Vergangenheit schicken, aber durch die ganze Modernität hindurchgegangen sind. Diese Musik ist nicht eskapistisch, man merkt unglaubliche Facetten und oft eine ironische Doppelbödigkeit.

Frage: Wird seine Rolle als Dirigent unterschätzt?

Antwort: Er hat zwei Opern von Humperdinck uraufgeführt, Mahler bei der Uraufführung seiner 2. und 4. Sinfonie unterstützt. Als Dirigent setzte er sich für Zeitgenossen ein. Auf seiner ersten Südamerika- Reise mit den Wiener Philharmonikern 1924 hatte er ungefähr 50 verschiedene Werke von europäischen Zeitgenossen auf dem Programm. Er hat dort sogar Pfitzner und Bruckner aufgeführt, die er eigentlich nicht leiden konnte. Doch die Südamerikaner sollten hören, was in Europa damals komponiert wurde. Da hat Strauss persönliche Vorlieben zurückgesteckt und sich zum Anwalt seiner Kollegen gemacht.

Frage: Strauss hat viel Wert auf die Libretti gelegt. Ein weiteres Markenzeichen?

Antwort: Die Beziehung zu Hugo von Hofmannsthal war nicht störungsfrei. Die haben sich ganz schön aneinander gerieben. Durch Reibung gibt es normalerweise Reibungsverluste. Aber in diesem Fall hat sie dazu geführt, dass Funken sprühten. Die Libretti wurden dadurch besser, aber auch die Musik. Jeder hat dem anderen auf seinem Gebiet geholfen. Strauss hatte eine tolle dramaturgische Spürnase. Und Hofmannsthal legte seinem Hang zum deftigen Instrumentieren Zügel an. Das Verhältnis kann man mit Mozart und seinem Librettisten da Ponte oder mit Verdi und Boito auf eine Stufe stellen.

ZUR PERSON: Stephan Kohler war 1982-1997 Direktor des Richard-Strauss- Instituts München und wissenschaftlicher Berater der Semperoper in allen Strauss-Fragen. Seither ist er Musikdramaturg in der Direktion der Münchner Philharmoniker und leitet das Strauss Archiv München. Als Stiftungsrat der Hugo-von-Hofmannsthal-Stiftung ist er für den Nachlass des Dichters verantwortlich, als Strauss-Forscher hat er zahlreiche Erstveröffentlichungen seiner Werke realisiert. 

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