Am 21. März 2018 stellte der Europäische Musikrat (EMC) die European Agenda for Music vor. Die Initiatoren waren der Europäische Musikrat, die International Association of Music Information Centres und der Zusammenschluss der europäischen Musik-Export-Büros. Die ersten Vorüberlegungen für eine Europäische Musikagenda gehen bereits auf das Jahr 2013 zurück. Andreas Kolb unterhielt sich mit der Generalsekretärin des EMC, Ruth Jakobi, über die Agenda.
neue musikzeitung: Warum eine European Agenda for Music?
Ruth Jakobi: Die genannten drei großen internationalen Verbände wollten proaktiv ihre eigene Agenda formulieren und nicht nur dem nacharbeiten, was von Brüssel an Vorgaben oder an Ausschreibungen kommt. Es war ein sehr breit angelegter Konsultationsprozess, bei dem das Hauptziel war, möglichst viele verschiedene Interessenvertreter aus ganz Europa und auch über die Grenzen der EU hinaus zusammenzubringen, um gemeinsam Themen zu diskutieren, die für den Musiksektor relevant sind. Dass es uns trotz unterschiedlichster Interessenlagen gelungen ist, uns auf ein Thesenpapier zu einigen, verbuchen wir als Erfolg.
nmz: Die Agenda hat das Potenzial, Baustein einer europäischen Kultur- & Musikkulturpolitik zu werden. Wem nützt die Agenda?
Jakobi: Sie haben ein wichtiges Stichwort geliefert, nämlich Europäische Kulturpolitik. Es gibt ja schon die vor ein paar Jahren verabschiedete European Agenda for Culture. Diese wurde gerade neu diskutiert und am 22. Mai in der Neuauflage vorgestellt. Im Gesamtkontext und auch im Kontext mit den Budgetverhandlungen für das nächste mehrjährige Rahmenprogramm der EU, die jetzt gerade laufen, ist uns von der EU-Kommission bestätigt worden, dass unsere European Agenda for Music dabei ein hilfreicher Baustein ist.
nmz: Denkt man an EU-Kulturpolitik, denkt man an Fördergelder und „Antragskunst“. Sind solche Fragen in der Agenda behandelt oder ist es eher ein Papier, das übergeordnet Ziele formuliert?
Jakobi: Es werden übergeordnete Ziele formuliert. Es gibt keine konkrete Hilfestellung, wie man seinen Antrag möglichst geschickt formuliert. Allerdings gehen in der EU-Kulturpolitik der Erstellung der Förderprogramme stets politische Fragestellungen und strategische Ausrichtung voraus. In der breiten Öffentlichkeit kommen dann nur noch die Förderprogramme an, es tritt in den Hintergrund, dass diesen eine Kulturpolitik zu Grunde liegt. Im Rahmen der Neugestaltung der Förderprogramme für Kultur wird diskutiert, eine eigene Förderlinie für Musik einzurichten. Auch dafür ist die European Agenda for Music ein hilfreiches Dokument, weil man zeigen kann, dass wir unsere Maßnahmen und Ziele gemeinsam formulieren und uns gemeinsam für eine solche Förderlinie aussprechen können.
nmz: Was ist die Förderlinie Musik?
Jakobi: Das ist die Initiative „Music Moves Europe“, die im Moment auch schon als Pilotprojekt läuft – für 2018 ist eine Pilotmaßnahme vom EU-Parlament bewilligt worden. Musikakteure waren dabei sehr aktiv, um die Parlamentarier davon zu überzeugen, einen sinnvollen finanziellen Rahmen zu beschließen. Die Förderlinie soll dann hoffentlich ab 2020 in Kraft treten. Die Vorschläge werden von der EU-Kommission erarbeitet, wir haben aber die Möglichkeit, dazu Stellung zu nehmen und im Rahmen der Pilotprojekte aktiv an der Gestaltung mitzuwirken.
nmz: Sie sprechen von mehr als 100 Akteuren, die an der European Agenda for Music mitgewirkt haben. Ist das richtig?
Jakobi: Zum einen sind da die Organisationen, die jetzt als Supporter dabei sind. Zum anderen die über 70 Experten, die bei der Textarbeit und -gestaltung mitgearbeitet haben sowie die Online-Konsultationen, die der gesamten Öffentlichkeit zugänglich waren. Die Experten tagten in verschiedenen – zunächst themenspezifischen – Arbeitsgruppen. Es gab zum Beispiel das Thema Produktion oder das Thema Musikerziehung. Wir haben uns jedoch im Laufe der Textanalyse dazu entschieden, die Agenda nicht anhand dieser Themen aufzubauen, weil wir sehr viele Querschnitte gesehen haben. So wurde das Thema „Mobilität“ in jeder Arbeitsgruppe diskutiert, ebenso das Thema „Vielfalt“. Daher entschieden wir uns für die jetzt bestehenden Schlüsselthemen.
nmz: Vielleicht können wir zu den Schlüsselthemen etwas ins Detail gehen? Sie nennen sie Key Themes.
Jakobi: Key Themes sind für uns horizontale Themen, die in jedem einzelnen Musikbereich vertreten sind. Etwa das Thema Education & Access to Music ist für Profimusiker, für Laienmusiker und auch für den ganzen sozialen Bereich als Grundrecht wichtig. Ebenso ist es mit dem Thema Technologie, das auch für alle Bereiche relevant ist. Die Digitale Revolution treibt uns alle, die wir etwas mit Musik zu tun haben, um. Das Thema Mobilität ist ebenfalls übergreifend: Wir erachten es für den Erfahrungsaustausch, und damit auch für die Fort- und Weiterbildung in allen Bereichen musikalischen Schaffens für sehr wichtig.
nmz: Ich habe mir noch das Schlüsselthema „Recognition“ notiert.
Jakobi: Dabei geht es um Anerkennung. Zum einen ganz konkret um monetäre Anerkennung, also darum, dass künstlerische Arbeit mit Geldleis-tungen anerkannt wird. Es geht aber auch um Anerkennung etwa von ehrenamtlichem Engagement, oder der Anerkennung des Laienmusiksektors allgemein als ein ganz wesentlicher Bestandteil des Musiksektors, der eine essentielle Grundlage für den Zugang zur Musik bietet.
nmz: Sie erheben auch Daten und erstellen eine Datenplattform – ich stelle es mir wie ein Musikinformationszentrum (MIZ) auf europäischer Ebene vor. Wie sieht das konkret aus?
Jakobi: Sie spielen auf das Music Observatory an. Diese Idee wird in der Tat vom internationalen Zusammenschluss der MIZe, also der International Association of Music Information Centres, und auch von den Musik-Export-Büros gerade diskutiert. Es gibt noch keine konkreten Vorschläge oder Vorhaben, aber die EU-Kommission hat in diesen Tagen im Rahmen der „Music Moves Europe“-Pilotprojekte einen Aufruf für eine Machbarkeitsstudie für ein solches European Music Observatory veröffentlicht. Der EMC wird sich bewerben, an dieser Studie mitzuwirken.
nmz: Steht denn bei der Agenda eher die Musikwirtschaft im Vordergrund oder spielt auch Kulturelle Bildung eine Rolle?
Jakobi: Definitiv! Das Thema Bildung war und ist ein sehr relevantes. Deswegen ist es auch eines der Key Themes. Das Bestreben des Europäischen Musikrats war es insbesondere, das Zusammenspiel zwischen all den verschiedenen Stakeholdern zu ermöglichen. Es ist einer unserer größten Erfolge, dass wir tatsächlich eine Horizonterweiterung erreichen konnten und jetzt zum Beispiel Offene Briefe im Hinblick auf neue Förderprogramme von Organisationen miteinander verfasst und unterschrieben werden, die vorher entweder nichts voneinander wussten oder nicht miteinander gearbeitet haben.
nmz: Die Bildungssysteme und auch das Musikleben sind in Europa sehr divers. Was bedeutet das für die Agenda?
Jakobi: Unterschiede gibt es definitiv. Auch das wurde diskutiert und es geht in unserem Kapitel „Vielfalt“ tatsächlich auch um institutionelle Unterschiede. Eine Forderung, auf die sich alle ziemlich schnell einigen konnten, ist, dass Musikunterricht flächendeckend und obligatorisch zumindest in der Grundschule angeboten werden sollte. Wobei auch diskutiert wurde, dass es das in ein paar Ländern schon gebe, und dass unsere Forderungen nicht unter der aktuellen Realität liegen sollten. Dennoch finde ich eine solche Grundforderung wichtig, denn man muss sehen, dass Entwicklungen teilweise rückläufig sind, beziehungsweise dass auch dort, wo Musik in den allgemeinen Lehrplänen festgeschrieben ist, der Unterricht trotzdem oft nicht oder nicht in der gewünschten Qualität stattfindet. Unser Konzept ist, dass die einen von den anderen lernen können, dass jedes Land, und jeder Teilbereich des Musiksektors etwas hat, wovon die Anderen profitieren .
nmz: Es gibt eine Rubrik auf Ihrer Agenda, die heißt „get involved“. Wie kann ich als Verband, als Künstler, als Region, als Stadt mitmachen?
Jakobi: Eingeladen mitzumachen sind tatsächlich alle, die irgendetwas mit Musik zu tun haben. Jeder kann für sich entscheiden, welche Themen für ihn relevant sind. Man kann auf der eigenen lokalen, regionalen oder nationalen Ebene überlegen: „Hilft mir das, um meinen Stadtrat zu überzeugen, dass mein kleines Gemeindefestival bezuschusst werden soll? Hilft mir das in meiner Kommune, um zu entscheiden ob die Musikschule mit dem städtischen Orchester kooperiert?“
Bisher ist die Agenda ein Thesenpapier, ein politisches Dokument, es gibt noch keinen Aktionsplan. Den gilt es nun zu entwickeln. Das ist die nächste große Herausforderung, die der Europäische Musikrat in keiner Weise ganz alleine gestalten kann und will. Wir sind daher sehr offen und dankbar dafür, dass Verbände und Organisationen ihre Mithilfe anbieten.