Das Bayerische Staatsorchester wird in Kaschmir spielen - und dort auf überwiegend ungeübte Ohren treffen. Denn in Indien hat westliche klassische Musik, ganz anders als in China, keine Tradition.
Neu Delhi/Peking (dpa) - In einem Land voller Sitar-Spieler, Urdu-Poeten und Volksmusiksänger in Dutzenden Sprachen hat die westliche klassische Musik einen schweren Stand. Indien hat mehr als 1,2 Milliarden Einwohner, aber nur ein einziges professionelles Symphonieorchester - das auch noch überwiegend aus Ausländern besteht. «Es gibt für diese Form der Musik keine Tradition, weder in der Ausbildung noch in der Aufführung», sagt Robin Mallick, Programmleiter Südasien des Goethe-Instituts.
Mitten hinein in diese Welt, in der Orchestermusik etwas Exotisches ist, reist an diesem Samstag (7.9.) das Bayerische Staatsorchester. Unter der Leitung des Inders Zubin Mehta (77) werden die Musiker in Kaschmir für ein Publikum aufspielen, das teilweise Beethovens 5. Symphonie zum ersten Mal hören dürfte.
Zu Beginn des Konzerts werde das Orchester mit lokalen Musikern die Klänge der Region darbieten, sagte Mehta im dpa-Interview. «Es ist eine sehr volkstümliche, sehr rhythmische Musik und, wie alles in Indien, ohne Harmonie, einstimmig.»
Tatsächlich könnte die klassische indische Musik - keine Harmonik, keine wechselnden Akkorde, kleine Ensembles - und die Orchestermusik des Westens kaum konträrer sein, stellt Mallick fest. Nur wenige Künstler wie der kürzlich gestorbene Ravi Shankar hätten die beiden Welten zusammengebracht. Sonst aber pflege die Bevölkerung ihr traditionelles Erbe. «Indische Musik und Tanz ändern sich nicht, sie sollen in statischer Form konserviert werden und klingen wie vor 300 Jahren», sagt er.
Westliche Instrumente lernen junge Inder zumeist nur dank einiger Initiativen von Privatpersonen, Musikschulen gibt es nicht. «Einzelunterricht reicht aber nicht, um irgendwann in einem Orchester spielen zu können. Denn da musiziert ja eine Gruppe zusammen», sagt Sonia Khan, Managerin des India National Youth Orchestra. Deswegen sei unter der Leitung von Vijay Upadhyaya ein Jugendorchester aufgebaut worden, das sich jährlich für etwa zwei Wochen trifft. «Einfach ist das oft nicht, denn Blasinstrumente fehlen uns völlig und viele Musiker können keine Noten lesen, sie spielen nach Gehör.»
In ganz Indien gibt es nur einen Konzertsaal nach internationalem Standard. Und wer in der Hauptstadt Neu Delhi seinen Flügel stimmen lassen will, muss einen Experten aus Mumbai einfliegen lassen. Das ist in China ganz anders - dort hat fast jede Provinz ein eigenes Orchester, allein in Peking gibt es acht. Tickets für klassische Musikkonzerte sind oft schon nach wenigen Minuten ausverkauft. «Das ist wie beim Fußball», schwärmt der Musikprofessor Wang Jianxin vom Musikkonservatorium im ostchinesischen Tianjin.
«Menschen in China haben sehr weite Interessen und saugen alle Formen von Kultur förmlich in sich auf», erklärt Wang. Viele Menschen hörten begeistert klassische Musik aus dem Westen, auch wenn es insgesamt noch mehr Liebhaber von traditioneller chinesischer Musik gebe. Bekannte Musiker wie der renommierte Pianist Lang Lang hätten entscheidend zum Erfolg von klassischer Musik beigetragen. «Es ist aber nicht verwunderlich, dass das Level von Symphonieorchestern aus dem Westen noch höher liegt», sagt Professor Wang. Deshalb gingen viele Menschen doch lieber zu einem Konzert von Profis aus dem Westen als zu einer Vorstellung eines chinesischen Symphonieorchesters.
Doreen Fiedler und Stephan Scheuer