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Leipziger Ballettdirektor Mario Schröder: Die Welt im Tanz umarmen. Foto: Oper Leipzig
Leipziger Ballettdirektor Mario Schröder: Die Welt im Tanz umarmen. Foto: Oper Leipzig
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Leipziger Ballettdirektor Mario Schröder: Die Welt im Tanz umarmen

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Leipzig - Ein Choreograph aus Finsterwalde prägt seit fast zehn Jahren das Ballett in Leipzig. Er spricht über das Politische im Tanz, seine Erfahrungen bei der Friedlichen Revolution in Leipzig und über die Zusammenstellung seiner Inszenierungen.

«Ich will neues Publikum für Ballett begeistern, ihnen zeigen, dass es mehr ist als Strumpfhosen und Spitzenröckchen.» Mario Schröder, Direktor und Chefchoreograph des Leipziger Balletts, verbindet bei «Tanz in den Häusern der Stadt» Bewegung mit Architektur an besonderen Leipziger Orten und verwandelt diese zu Spielstätten. Seine Inszenierungen füllen auch den Großen Saal in der Oper regelmäßig.

Die Ballett-Aufführungen waren im Vorjahr zu 82 Prozent ausgelastet. 2012 waren es etwa 68 Prozent. Am Sonntag (8. September) startet das Ballett in eine neue Spielzeit. Im Februar steht die Premiere des zweiteiligen Ballettabends mit dem Titel «Lamento» von Mario Schröder auf dem Programm. Darin soll es auch um «Blühende Landschaften» und das Verhältnis der Tänzer zur Geschichte Leipzigs gehen.

Schröder, der von 1983 bis 1999 auch unter der Leitung von Uwe Scholz Erster Tanzsolist in Leipzig war, kam zur Spielzeit 2010/2011 nach Stationen in Berlin, Würzburg und Kiel wieder nach Leipzig - als Ballettdirektor und Chefchoreograph. «Da hat sich ein Kreis geschlossen, es war für mich wie ein nach Hause kommen», erinnert sich der 54-Jährige, der in Finsterwalde aufgewachsen ist.

Jason Beechey, Rektor der Palucca Hochschule für Tanz in Dresden, schätzt die Arbeit des ehemaligen Schülers: «Seit Mario Schröder das Leipziger Ballett übernommen hat, haben wir ein immenses Wachstum beim Umfang des Repertoires gesehen», sagt er. Schröder brachte als Ballettdirektor und Chefchoreograph in Leipzig bislang 24 große Bühnenwerke zur Uraufführung. Darunter «Mörderballaden» mit Musik von Nick Cave, «Rachmaninow», «Carmina Burana» und «Pax 2013» mit Musik von Udo Zimmermann und Johann Sebastian Bach. «Die Zusammenstellung war beinahe schicksalhaft. Mir ist ein Stapel CDs umgefallen, da landete Udo Zimmermanns CD auf Bach-Liedern», erzählt Schröder.

Andere Ideen trage er jahrelang mit sich herum, wartet auf den Moment, um sie choreographisch umzusetzen. «Manche Stücke müssen reifen, manche kommen auch nie auf die Bühne, da kommt der Moment einfach nie.» Die jungen Tänzer schätzten Schröders Stücke wegen der Mischung: Sie seien zugleich klassisch als auch zeitgenössisch, so Beechey. Das mache sie spannend für die jungen Tänzer.

Für Schröder kann Tanz auch politisch sein. «Wir können zwischenmenschliche Zustände ansprechen, die Gesellschaft beeinflussen. Mit einer poetischen Erzählstruktur lassen sich so wichtige Fragen stellen», erklärt er. Mit zehn Jahren begann er zu tanzen, eher zufällig nahm der Finsterwalder damals an einem Vortanzen an der Palucca-Hochschule in Dresden teil und wurde genommen. Seine Mutter bestärkte ihn, regte seinen freien Geist an. Das Fieber breitete sich in der Familie aus: Silvana Schröder, die jüngere Schwester von Mario, tanzte mit ihm gemeinsam beim Leipziger Ballett. Seit 2011 ist sie Ballettdirektorin und Chefchoreographin bei Theater&Philharmonie Thüringen.

Mario Schröder beendete mit 36 Jahren seine Karriere als Balletttänzer. Auch er wandte sich der Choreographie zu. «Ganz aufhören geht nicht», sagt er. «Selbst wenn ich am Schreibtisch arbeite, tanze ich innerlich.»

Und auch das Interesse für Politik blieb: Die Friedliche Revolution prägt Schröder bis heute. Als einer von zwei Leipziger Balletttänzern nahm er schon an den ersten Demonstrationen an der Nikolaikirche teil. «Das war total verrückt, eben noch wurden Leute von der Straße weg verhaftet und dann sollte man auf der Bühne tanzen.» Schröder war es in der DDR verboten, ins Ausland zu reisen. «Ich wäre aber auch nicht geflohen, ich war glücklich, wo ich war und hatte hier Familie und Freunde», sagt er. Seine Stasi-Akte hat er bis heute nicht eingesehen. «Das ist Vergangenheit», hat er für sich beschlossen. Und er schätzt die Gegenwart: Durch die Friedliche Revolution kam eine Exotik in den Tanz in Ostdeutschland, plötzlich performten Brasilianer in Leipzig. Auch die Art, über Tanz zu sprechen habe sich verändert. Mehr als 40 Tänzer aus 23 Nationen gehören dem Leipziger Ballett heute an.

«Da musst du aufpassen, dass die Welt mehr umarmt wird», korrigiert Schröder die südkoreanische Tänzerin Anna Jo bei einer Probe. Sie soll winken, «mit dem Bein atmen», «die Sehnsucht nach außen setzen und wieder zurückholen». Schröder liebt Metaphern, seine Stücke erzählen Geschichten. «Ich überfrachte die Choreographien manchmal gerne, dann gibt es viele Ebenen, jeder sieht darin etwas anderes», erklärt er. Bewegung bedeutet für Schröder Suche nach der eigenen Identität. Und mittlerweile gehört zu Leipzigs Identität deswegen auch der Tanz, in den Häusern der Stadt oder im zentralen Opernhaus.

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