Peng! Gleich zur Eröffnung knallt das Orchester wuchtige Schläge in den Sendesaal. Der Apparat stampft wie ein wütender Troll, gerät dann aber auf Glatteis und aus dem Tritt. Die Akzente zerfallen zu wackelnder Polyrhythmik, die Akkorde zerfließen zu wachsweichen Glissandi. Miguel Urquizos „Der Abgrund der Erinnerung“ eröffnete hochenergetisch das Konzert der jüngsten Orchesterwerkstatt des WDR Sinfonieorchesters.
Drangeblieben 2024/03
Die vom Landesmusikrat NRW initiierte Veranstaltung zur Förderung junger Komponistinnen und Komponisten fand erstmalig 2009 und 2012 mit dem Gürzenich Orchester unter Leitung des damaligen GMD Markus Stenz statt. Weil das städtische Orchester die geprobten Stücke jedoch nicht öffentlich aufführen wollte, übernahm 2013 das WDR Sinfonieorchester. Nach weiteren Akademien 2015 und 2018 mit Abschlusskonzerten im Konzertsaal der Hochschule für Musik und Tanz Köln war die Veranstaltung nun erstmalig Teil in der renommierten WDR-Reihe „Musik der Zeit“ inklusive Live-Übertragung.
Zunächst nur landesweit ausgeschrieben, gab es diesmal 31 internationale Bewerbungen. Ausgewählt wurden Stücke von sechs Komponierenden im Alter von Mitte zwanzig bis Anfang dreißig aus Polen, Frankreich, Südkorea, Deutschland und gleich zwei aus Mexiko. Die Jury bildeten WDR-Solocellist Oren Shevlin, WDR-Redakteur Patrick Hahn, Komponistin Brigitta Muntendorf, Flötist André Sebald und der Schweizer Dirigent Baldur Brönnimann. Da letzterer krankheitsbedingt absagte, übernahm kurzfristig Johannes Kalitzke.
Der 1959 in Köln geborene Dirigent und Komponist sah die wichtigste Lektion der Arbeitsphase in der Erkenntnis des Unterschieds von Idee und Wirklichkeit, vorgestelltem und erreichtem Klang. Zwei Tage lang feilte man gemeinsam an Notation, Spielbarkeit, Aufführungspraxis, Instrumentation und dynamischer Feinabstimmung der sechs Stücke. Alle zeugten von hohem handwerklichem Können und orchestraler Fantasie. Der mit reichlich Schlagwerk groß besetzte Apparat blühte, funkelte, hämmerte und brauste aus allen Registern. Dennoch klang er meist wie zuvor schon gehört.
Als Entsprechung zu lichtdurchfluteter Glasmalerei entfaltete Soyoung Kim in „Foramen“ ein Crescendo an Stärken, Farben, Bewegungen. Žaneta Rydzewska gestaltete „Frost“ als eisige Landschaft mit klirrenden Flageoletts, kaltem Rauschen, sirrenden Mehrklängen und über dunklen Bass-Eisflächen verwehten Streicher-Flocken. Der 1998 in Witten geborene Marc L. Vogler ließ in „Monotono“ denselben Zentralton nicht eintönig, sondern höchst vielseitig unterschiedliche Rhythmen, Farben und Kräfte entfalten, von leisem Singen zu ekstatischem Trommeln und Rasen.
Die Auswahlwerke zeigten vor allem Klangfarbenvielfalt und dezente Programmatik. Keine Rolle spielten Material- und Formexperimente sowie alternative Umgangsweisen mit dem großen Kollektiv jenseits der Autoritäten Partitur und Dirigent. Ein Orchester kann aber noch ganz anders und viel mehr. Das muss nur erdacht und gemacht werden. Das WDR Sinfonieorchester sollte seine Werkstatt daher unbedingt regelmäßiger durchführen. Also: drangeblieben!
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