Berlin - Immer wieder wird die Geschichte der Arctic Monkeys rausgeholt und auf andere Bands angewendet. Fast scheint es schon zum guten Ton zu gehören, Newcomer mit dem Satz "Die Band wurde über das Internet bekannt" einzuführen. Experten halten das Netz und seine Möglichkeiten derweil nicht automatisch für den Schlüssel zum Erfolg, sondern sehen die Hürden für neue Künstler dadurch auch höher gelegt.
Das Problem sei nun "der Kampf um die Aufmerksamkeit". Der Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes Musikindustrie, Dieter Gorny, sagt im dapd-Interview: "Es gibt sehr gute Talente, nur die Menschen, die sie kaufen sollen, sind schlichtweg überfordert wegen der Vielfalt der musikalischen Möglichkeiten." Noch nie habe es so viele verschiedene Möglichkeiten gegeben, an Musik zu kommen. "Und es war damit noch nie so schwierig, auf Neues hinzuweisen."
Daher setze die Musikindustrie inzwischen darauf, Künstler zunächst über Live-Aktivitäten aufzubauen und erst dann, wenn eine Fangemeinschaft da sei, mit Aufnahmen in den Markt zu gehen. Früher habe es die Faustformel gegeben, dass auf einen erfolgreichen Newcomer zehn Flops kämen. "Das ist heute nicht anders", sagt Gorny.
Castingshows sind keine Nachwuchsförderung
Castingshows sieht der Experte für die Nachwuchsförderung nicht als hilfreich an. "Castingshows sind großartige Formen der Samstagabendunterhaltung mit dem Emotionsträger Musik, aber es ist Fernsehen", sagt er. "Alles, was da passiert, funktioniert nach der Dramaturgie einer Fernsehshow, die möglichst hohe Quoten erzielen soll." Dies habe nichts mit der Entwicklung von Künstlern zu tun.
Kaum eine Band habe zudem durch eigene und ausschließliche Selbstvermarktung im Netz nachhaltig Karriere gemacht. "Das ist nur eine Handvoll", betont Gorny. Selbstvermarktung bedeute auch ein finanzielles Risiko, da der Investitionspartner Label fehle.
"Wir leben zwar in einer Zeit, in der es technisch möglich ist, billig und auf relativ hohem Niveau Kultur zu produzieren. Aber am Ende steht dann noch nicht ein rundum stimmiges künstlerisches Produkt, das sich vermarkten lässt, und das auch nachgefragt wird", sagt Gorny.
Heute herrsche oft die Meinung: "Professionelle Kultur brauchen wir eigentlich nicht mehr." Die derzeit größte Gefahr für den Kulturbereich sei jedoch die Entprofessionalisierung zugunsten der "Laienkultur". "Wenn wir verhindern wollen, dass professionelle kulturelle Vielfalt verloren geht, dann müssen wir uns engagieren - auch über die öffentliche Hand", fordert Gorny.
Labels nehmen weniger unbekannte Bands unter Vertrag
Der Geschäftsführer der Popakademie Baden-Württemberg, Hubert Wandjo, sagt: "Als Newcomer ist die Do-it-yourself-Komponente in Sachen Vermarktung immens groß geworden." Neue Künstler würden von den Plattenfirmen heute im Vergleich zu früher "erst sehr viel später abgeholt". Er betont: "Es gibt Labels, die nehmen nur noch Künstler unter Vertrag, die schon durch die Kinderkrankheiten sind." Dann sei das finanzielle Risiko für die Plattenfirma nicht so groß.
Ganz wichtig sei es für junge Bands, sich zunächst als Livekünstler zu etablieren, also regelmäßig zu touren, betont auch Wandjo. Auch das Aufbauen und Pflegen sowie das Einbinden einer sogenannten Fanbase in die Finanzierung, Musikproduktion und Kommunikation sei ein hilfreicher Baustein.
Auch Wandjo beobachtet einen zunehmenden Kampf um Wahrnehmung: Zwar werde das Produzieren und Präsentieren von Musik im Zeitalter des Internets immer einfacher und günstiger, sagt er. Im Gegenzug sei es für Newcomer aber deutlich schwieriger geworden, die für einen größeren Erfolg notwendige Aufmerksamkeit zu erlangen. "Kein Konsument hat Zeit, sich durch das rasant gestiegene Musikangebot durchzuklicken", sagt Wandjo.