Wer Literatur liest oder schreibt, will im Allgemeinen etwas verstehen; Aspekte der Welt, die man ohne einen Roman oder ein Gedicht so nicht erfahren hätte, tun sich auf. Das ist so, weil sie im Schreiben des Romans oder Gedichtes entdeckt wurden. Das Gespräch zwischen Manfred Trojahn und Günter Figal wird an der Frage orientiert sein, ob es sich bei der Musik ebenso verhält.
Zwar lassen musikalische Strukturen sich bis ins Einzelne analysieren; eine Komposition kann im Hinblick auf ihre formale Stimmigkeit und Originalität kritisch erörtert werden. Aber das Verstehen scheint so sehr an das Erfassen von Bedeutungen gebunden zu sein, dass die Musik sich ihm in ihrer Bedeutungslosigkeit entzieht. Die Musik bezieht sich nach der in der modernen Kunstphilosophie vorherrschenden Auffassung nicht auf die artikulierte Welt, sondern sie steht für das Fließende, Eruptive, Ereignishafte des Lebens. Die Annahme, dass Musik nicht verstanden werden könne, lässt sich aber vielleicht auf ein zu enges Verständnis des Verstehens zurückführen. So gesehen, könnte die Frage nach dem Verstehen von Musik zur Selbstklärung der Musik beitragen, und die Musik wäre ein Prüfstein für die am Begriff des Verstehens orientierte Philosophie. (Günter Figal)
Musik
Manfred Trojahn: „Chant d’insomnie III“ aus „lettera amorosa“ (2007) und IV. Streichquartett (2009), gespielt vom Henschel Quartett
Kulturelle Dialoge - Musik verstehen
Manfred Trojahn, Komponist, im Gespräch mit Günter Figal, Philosoph
Hans-Joachim Wagner, Moderation
12. November 2009, 19 Uhr
Pariser Platz, Plenarsaal in der Akademie der Künste, Pariser Platz 4, 10117 Berlin