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Das Staatstheater Schwerin

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Performance-Künstlerin Holzinger inszeniert einstige Skandal-Oper

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Vor gut 100 Jahren noch ein Skandal, sind blasphemische Anspielungen im Theater heute kaum noch ein Aufreger. Doch bietet die neueste Inszenierung der Performance-Künstlerin Holzinger Gesprächsstoff.

Schwerin - Das Kruzifix als Lustobjekt, ein nackter Frauenkörper als Klöppel einer Kirchenglocke. Die Opernperformance, die Florentina Holzinger derzeit am Mecklenburgischen Staatstheater in Schwerin bildgewaltig, furchtlos und gewohnt freizügig in Szene setzt, dürfte erneut für Diskussionen sorgen. Paul Hindemiths (1895-1963) Kurzoper «Sancta Susanna» war schon bei der Uraufführung 1922 skandalumwittert. Nun kommt sie Ende Mai in Schwerin in einer Neuinterpretation auf die Bühne, ergänzt durch eine ebenfalls von Holzinger in Szene gesetzte Kirchenmesse.

Nach vier Aufführungen in Schwerin wird die mit Spannung erwartete neue Arbeit der mehrfach ausgezeichneten Performance-Künstlerin aus Österreich bei den Wiener Festwochen gezeigt, danach in Berlin. Im Oktober dann eröffnet die Staatsoper Stuttgart die neue Spielzeit damit. Vor gut hundert Jahren war dort die Uraufführung der Hindemith-Oper nach massiven Protesten aus Kirchenkreisen verhindert und nach Frankfurt/Main verlegt worden.

In «Tanz», 2019 in Wien uraufgeführt, brach die vom Feuilleton für ihre spektakulären und zuweilen verstörend wirkenden Inszenierungen gefeierte Choreografin mit den tradierten Vorstellungen vom klassischen Ballett. Mit «Ophelia's Got Talent», 2022 an der Berliner Volksbühne zum ersten Mal gezeigt, holte Holzinger - erneut mit vielen nackten Darstellerinnen - ein Sujet des klassischen Theaters in die Neuzeit der Castingshows. Nun widmet sie sich erstmals der Oper.

««Sancta Susanna» spukte schon lange in meinem Hinterkopf herum. Die Rollen sind nur mit Frauen besetzt. Und ich wusste von Anfang an, dass ein Großteil meines Casts große Freude daran haben würde, diese Nonnen zu verkörpern», erzählt Holzinger in einer Probenpause. Für sie selbst, in frühester Kindheit geprägt auch von christlichen Ritualen, sei es sehr reizvoll, sich nun mit Abstand speziell mit katholischer Symbolik auseinanderzusetzen und dem Verhältnis von Kirche und sexueller Selbstbestimmung auf den Grund zu gehen. «Eine Oper, in der die weibliche Libido an zentraler Stelle steht, ist natürlich schon interessant. Und dann geht es auch um die Unterdrückung von Körperlichkeit im kirchlichen Kontext», sagt Holzinger, die bei ihren Arbeiten Tänzerinnen, Akrobatinnen, Laien und dieses Mal auch Sängerinnen einbezieht.

Hindemiths Einakter «Sancta Susanna» war von vielen seiner Zeitgenossen als zutiefst blasphemisch abgelehnt worden: Verfolgt von religiösen Visionen hört die junge Nonne Susanna in der Klosterkirche das Liebesgeflüster eines Paares im benachbarten Garten. Ihre anwesende Mitschwester Klementia lässt sich von Susannas Vorstellungen anstecken und erzählt, dass sie einst eine andere Nonne überraschte, wie sich diese nackt an den Leib des Gekreuzigten presste und dann zur Strafe lebendig eingemauert wurde. Im Wahn zieht sich auch Susanna aus, umschlingt das Kruzifix und wird dabei von den hinzukommenden Schwestern entdeckt, die sie als Teufelin verfluchen.

«Ein Kloster ist auch aus feministischer Sicht sehr interessant. Ist es ein Ort, in der die weibliche Körperlichkeit in der Askese unterdrückt wird? Oder ist es der Ort, in dem die Frauen in Ruhe gelassen werden, ihre Handlungsmacht ausüben und ihr eigenes Leben führen können?», spannt Holzinger den weiten Bogen der Interpretation. Doch wird allein am Bühnenbild schon deutlich, dass sie die Handlung aus der stillen Abgeschiedenheit eines Nonnenklosters herausholen will. Holzinger lässt ihre internationale Performance-Gruppe mit Rollschuhen auf einer Skaterbahn agieren - und folgt damit nach eigenem Bekunden auch ihrer Leidenschaft für das rasante wie symbolträchtige Auf und Ab in der Halfpipe.

Für das Mecklenburgische Staatstheater sei die bereits vor gut zwei Jahren initiierte Zusammenarbeit mit Holzinger Herausforderung und Glücksfall zugleich, sagt Theaterintendant Hans-Georg Wegner. «Die Inszenierung hat einen stark experimentellen Charakter für einen doch stark durchorganisierten Opernbetrieb. Doch gerade die Kunst lebt doch davon, auszubrechen und die ihr gegebenen Freiheiten zu nutzen. Das bringt uns auch künstlerisch weiter», betont Wegner.

Die von der Kulturstiftung des Bundes unterstützte internationale Kooperation sehe er als großen Gewinn für Schwerin. Sie bringe bundesweit Aufmerksamkeit und knüpfe zudem an die Geschichte des Hauses an: «Schwerin hat eine avantgardistische Tradition in der DDR gehabt. Es war das abgefahrenste Theater in Ostdeutschland mit sehr experimenteller Theatersprache. Und witziger Weise war Christoph Schroth, der als Intendant dafür verantwortlich war, mit einer großen Performance des Schweriner Theaters schon 1985 bei den Wiener Festwochen. Und jetzt kommen wir wieder dahin», sagt Wegner.

Doch begnügt sich Holzinger, die in ihren Inszenierungen selbst nackt mit auf der Bühne steht, nicht mit dem Ausflug in das Opernfach. Sie ergänzt den Einakter «Sancta Susanna» mit einer von ihr konzipierten «feministischen Messe». Diese werde zwar der traditionellen Liturgie folgen, aber mit dort unüblichen Bildern und zum Teil auch ungewohnter Musik kontrastiert. Neben Kirchengesängen und Werken von Bach und Rachmaninow seien neben Metal und Noise auch zeitgenössische Kompositionen zu hören. Das Bühnenbild werde geprägt sein von aufstrebenden Kletterwänden und herabströmenden Wasserfällen.

«Eine Messe bietet viel Spielraum», sagt Holzinger. Die Bibel sehe sie als «Netflix einer vergangenen Zeit». Existenzielle Themen würden dort angesprochen, heute aber oft anders interpretiert als etwa vor hundert Jahren. «Die Rollenbilder dort entsprechen komplett nicht mehr den unsrigen. Aber der Zwiespalt ist das Interessante für mich», beschreibt die 38-Jährige ihre Beweggründe, sich mit kirchlichen Dogmen und der Wirkung von Ritualen auseinanderzusetzen. Vorhaltungen, mit zumeist nackten Akteurinnen auf der Bühne und zuweilen verstörenden Bildern Effekthascherei zu betreiben und Voyeurismus zu bedienen, begegnet Holzinger gelassen: «Das liegt immer im Auge des Betrachters.»

 

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