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Gründungsleiterin des Deutschen Musikinformationszentrums seit 1997: Margot Wallscheid. Foto: privat
Gründungsleiterin des Deutschen Musikinformationszentrums seit 1997: Margot Wallscheid. Foto: privat
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Informationsplattform des deutschen Musiklebens

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Schlag nach beim MIZ – Margot Wallscheid im nmz-Gespräch über das Musikinformationszentrum
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Das Musikinformationszentrum MIZ (www.miz.org) erfasst und dokumentiert unter dem Dach des Deutschen Musikrats Strukturen und Entwicklungen der Musikkultur in Deutschland. Margot Wallscheid führte das Zentrum seit seiner Gründung im Jahr 1997 und trat nun auf eigenen Wunsch in den vorgezogenen Ruhestand. Wallscheid kam nach ihrem Studium der Musikwissenschaft, Musikpädagogik, Germanistik und Erziehungswissenschaften in Freiburg im Breisgau und Bonn im Jahr 1983 zum Deutschen Musikrat. 1997 wurde sie Gründungsleiterin des Deutschen Musikinformationszentrums.

Gefördert wird das MIZ durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, die Kulturstiftung der Länder, die Stadt Bonn sowie von privater Seite durch die GEMA und die GVL. Am 21. März gab es in der Oper Bonn eine Abschiedsfeier für Margot Wallscheid mit dem Präsidenten des Musikrats, dem Generalsekretär, den beiden Geschäftsführern der Projektgesellschaft des DMR, der Leiterin der Kunst- und Kulturförderung bei der BKM und Vertretern der weiteren Geldgeber, dem Vorsitzenden und Mitgliedern des Beirats MIZ sowie zahlreichen Gästen.

neue musikzeitung: Frau Wallscheid, dass eine Projektleiterin derart verabschiedet wird, ist außergewöhnlich. Warum wird das MIZ in Ihrer Person im Musikrat so geschätzt?

Margot Wallscheid: Das liegt sicher auch daran, dass das MIZ eine zentrale Stellung innerhalb des Deutschen Musikrates einnimmt. Es hat aufgrund seines breiten Themenspektrums eine große Schnittmenge an gemeinsamen Themen sowohl mit dem politischen Arm des DMR in Berlin als auch mit den anderen Projekten der Projektgesellschaft in Bonn. Damit kann das MIZ in ganz besonderer Weise als Verbindungselement, als Brücke zwischen den beiden organisatorischen Komponenten des DMR fungieren. Ein zweiter Grund ist vielleicht, dass ich nun 33 Jahre für den DMR gearbeitet habe und den Verband noch aus einer Zeit kenne, in der Politik und Projekte unter einem Dach waren. Ich habe damals neben der Redaktionsleitung des Musik-Almanachs auch die Geschäftsführung verschiedener Arbeitsgemeinschaften und Kommissionen des DMR wahrgenommen. Das hat mich sehr geprägt und viele Kontakte geschaffen und ist wohl auch einer der Hintergründe für diese Form der Verabschiedung, über die ich mich sehr gefreut habe.

nmz: Wie wird man MIZ-Leiterin – Leiterin von etwas, das es vorher noch nicht gab?

Wallscheid: Vom Musikrat bin ich eingestellt worden, um mit dem Musik-Almanach erstmals ein umfassendes Nachschlagewerk zum Musikleben aufzubauen. Sehr bald nach dem Erscheinen der ersten Ausgabe 1986 wurde jedoch deutlich, dass eine Buchpublikation der Erfassung und Dokumentation des Musiklebens zu enge Grenzen setzen würde. Hinzu kam, dass es bereits seit den 70er-Jahren von verschiedenen Seiten Forderungen gab, ein Informationszentrum zum Musikleben zu schaffen. Die konzeptionellen Ansätze, die in diesem Zusammenhang diskutiert wurden, reichten von einer stark an der zeitgenössischen Musik orientierten Ausrichtung über den Aufbau eines musikkulturellen Daten- und Informationssystems bis zur Dokumentation des Musiklebens in seiner ganzen Breite und Vielfalt. Und dann gab es auch die Musikinformationszentren in anderen Ländern, die damals schon eine große Wirksamkeit entfaltet hatten. Der DMR hat Ideen aus diesen Diskussionen aufgegriffen und sich in den 90er-Jahren intensiv für den Aufbau eines Musikinformationszentrums eingesetzt, das er dann – zunächst in einer Pilotphase – aus Mitteln des Bonn-Berlin-Ausgleichs und privater Förderer auch realisieren konnte.

nmz: Gab es ein Vorbild?

Wallscheid: Es gab kein direktes Vorbild. Die anderen nationalen Musikinformationszentren hatten sehr eigenständige Prägungen, die vor allem auf den konkreten Informations- und auch Förderbedarf in ihren Ländern reagierten. Man konnte daher die Konzepte der anderen Länder nicht kopieren. In der Gründungsphase des MIZ haben wir zunächst den Musik-Almanach für die Darstellung und die fortlaufende Aktualisierung im Internet aufbereitet. Danach haben wir Jahr für Jahr neue Informationsbereiche eröffnet: etwa die Themenportale, das musikstatistische Datenprogramm, die Serie an Fachbeiträgen, Termindatenbanken oder den Musikatlas mit topographischen Darstellungen des Musiklebens.

Strukturwandel mit Folgen

nmz: Was muss, was soll das MIZ in Zukunft leisten?

Wallscheid: Das MIZ war in den vergangenen 20 Jahren mit einem massiven Strukturwandel des Musiklebens konfrontiert, der sich vom musikalischen Bildungs- und Ausbildungssys-tem über die Orchester-, Theater- und Festivallandschaft bis zu den Medien und der Musikwirtschaft erstreckte und mit weitreichenden inhaltlich-konzeptionellen Neuorientierungen verbunden war. Die Dokumentation dieses Wandels, der sich ja auf verschiedenen Ebenen auch aktuell weiter fortsetzt, die Bereitstellung von Daten und Fakten für die kulturpolitische Diskussion und die Analyse der Entwicklungen wird sicherlich auch weiterhin eine Aufgabe des MIZ sein, ebenso wie die breit angelegte Information über das Musikleben auf der Basis des bestehenden Informationsangebots. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Konzepten für die weitere Entwicklung des MIZ, die vom Aufbau einer Informationsplattform zu interkulturellen Aspekten des Musiklebens über die Herausgabe einer Buchpublikation zum Musikleben nach dem Vorbild von „Musical Life in Germany“ bis zum Aufbau eines Informationsangebots mit berufspraktischen Informationen für Musikschaffende und andere Musikberufe reichen.

Neue Themenportale

nmz: Welche weiteren Herausforderungen kommen in naher Zukunft auf’s MIZ zu?

Wallscheid: Aktuell sind wir dabei, mit Unterstützung der BKM ein neues Themenportal aufzubauen, das sich der Kirchenmusik und der Musik anderer Religionen in Deutschland widmet. Rechtzeitig zum Reformationsjubiläum möchten wir damit in besonderer Weise auf die Kirchenmusik als einen der großen, historisch bedeutenden und wirkmächtigen Bereiche des Musiklebens aufmerksam machen. Gleichzeitig werden wir mit diesem Themenportal den Einstieg in die Neukonzeption unserer Internetplattform eröffnen, ein Thema, das das MIZ wohl noch eine ganze Weile beschäftigen wird.

nmz: Wie navigiert man  auf www.miz.org erfolgreich? Da muss doch regelmäßig die Architektur angepasst und erneuert werden?

Wallscheid: Ja, solche Anpassungen haben wir in den vergangenen Jahren auch immer wieder vorgenommen. Nun brauchen wir aber eine konzeptionelle und IT-technische General­überholung der Plattform, auch um die neuen Inhalte, die wir in den letzten Jahren entwickelt haben, prominent und leicht auffindbar platzieren zu können.

nmz: Welche Stellung hat das MIZ innerhalb des Musikrats? Sie sind schließlich ein Teil der ProjektgGmbH.

Wallscheid: Ja, wir sind eine Einrichtung der Projektgesellschaft des DMR mit Schnittstellen sowohl zu den anderen Projekten als auch zur musikpolitischen Arbeit des DMR. Neben dem Austausch mit den Projekten haben deshalb musikpolitische Themen für unsere Arbeit eine große Bedeutung. So haben wir im vergangenen Jahr gemeinsam mit dem Generalsekretariat des DMR ein Informationsangebot zu Musikprojekten mit Flüchtlingen aufgebaut, im gleichen Jahr haben wir auf der Basis neuerer Untersuchungen erstmals valide Daten zum Laienmusizieren bereitgestellt, das mit seinen insgesamt mindestens 14 Millionen Musizierenden das Fundament unseres Musiklebens bildet. Auch der verstärkte Ausbau unseres musikstatistischen Informationsangebots und anderer Informationsbereiche in den letzten Jahren ist diesem Ansatz geschuldet. Für die politische Argumentation eines Dachverbands, aber auch für andere Organisationen und natürlich für die Politik selbst sind verlässliche Daten heute unverzichtbarer denn je.

nmz: Wie hält man so eine Datensammlung heutzutage à jour?

Wallscheid: Wir bekommen die Informationen auf verschiedenen Wegen: zum einen über das Netzwerk des DMR, über das MIZ-Netz mit seinen tausenden von Kulturinstitutionen und Einrichtungen, bei denen wir regelmäßig auch systematische Erhebungen durchführen, und durch die Direkteingabe von Institutionen in unsere Datenbanken. Darüber hinaus werten wir eine Vielzahl von Quellen aus: Fachliteratur und Zeitschriften, statistische Datensammlungen, empirische Studien und Untersuchungen, wir beauftragen Autoren, führen Expertengespräche und vieles mehr.

nmz: Wird das Team in Zukunft weiter ausgebaut?

Wallscheid: Das jetzige erfahrene und hochqualifizierte Team wird das MIZ weiterführen, für die Übernahme neuer Aufgaben werden wir jedoch Verstärkung brauchen.

nmz: Wie weit wissen Sie Bescheid über ihre Nutzer? Wie hat sich ihre Zielgruppe verändert zwischen 1998 und 2016?

Wallscheid: Wir führen regelmäßige Auswertungen der individuellen Informations- und Beratungsanfragen durch, die uns Tag für Tag erreichen. Danach wurde das MIZ im Jahr 2015 zu etwa gleichen Anteilen von Musikern, Musikliebhabern und Amateuren, Wissenschaftlern und Kulturinstitutionen genutzt, jeweils etwa zehn Prozent der Anfragen kamen von den Medien und aus der Wirtschaft. Die Zielgruppe selbst hat sich nicht verändert, das MIZ wendet sich nach wie vor an alle am Musikleben Interessierten, an Fachkreise, Kulturinstitutionen und kulturpolitische Gremien ebenso wie an die musikinteressierte Öffentlichkeit. 

Musical Life in Germany

nmz: Um das MIZ zu nutzen, muss man kein Mitglied werden und nichts bezahlen?

Wallscheid: Nein, das Angebot ist kos­tenfrei. Da wo wir selbst nicht weiterhelfen können, vermitteln wir Ansprechpartner, Fachinstitutionen, Experten.

nmz: Noch einmal zur Zukunft: Wenn wir an Epochen denken, was für eine Epoche steht uns denn vielleicht jetzt bevor?

Wallscheid: Stärker als den Epochencharakter sehe ich eigentlich die Kontinuität in der Entwicklung des MIZ, was sicher auch in der systematischen Aufbauarbeit begründet liegt, die wir seit der Gründung des Zentrums geleis­tet haben. Und auch für die Zukunft gibt es eine Reihe neuer, spannender Projekte. Welche Schwerpunkte und Prioritäten dabei gesetzt werden sollten, das würde ich gerne offen lassen und hier meinem Nachfolger nicht vorgreifen wollen. 

nmz: Gibt es die Idee, das MIZ mehrsprachig zu machen?

Wallscheid: Ja, die Idee gibt es schon lange. Wir haben auch ein englischsprachiges Angebot auf unserer Website: unsere Buchpublikation „Musical Life in Germany“ gibt es komplett auch online, mit allen Fachbeiträgen, Tabellen, Graphiken und topographischen Darstellungen. Auch andere Informationsseiten haben wir in Teilen übersetzt, aber das gesamte Angebot werden wir wahrscheinlich nie übersetzen können, dazu ist es einfach zu umfangreich und von einer zu hohen Aktualisierungsrate geprägt.

Das Gespräch führte Andreas Kolb

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