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Orgelmusik aus Dessau: eine CD-Rezension

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Vor uns liegt eine CD, die komplett in Dessau verortet ist – ein Kleinod mit Werken von Komponisten, deren Schaffen direkt oder indirekt mit der Region und Stadt Dessau in Verbindung steht. Der Organist Stefan Nusser hat sich im Zusammenhang mit dem 800-jährigen Stadtjubiläum 2012 mit Komponisten der Region befasst. Dabei entstand die Idee, einige der Werke für Orgel zusammenfassend einzuspielen. Dies geschah Ende des Jahres 2015 in der St. Peter und Paul Kirche in Dessau. Die katholische Propsteikirche St. Peter und Paul in Dessau wurde in den Jahren 1854-1858 nach Plänen des Kölner Dombaumeisters Vincenz Statz erbaut. In der Kirche befindet sich seit 1961 eine Orgel der Potsdamer Orgelbaufirma Alexander Schuke.

Es ist das Op. 295 dieser Orgelbauwerkstatt. Das Instrument hat Schleifladen und eine rein mechanische Spiel- und Registertraktur. Auf zwei Manualen und Pedal erklingen 23 Register. Das Vorgängerinstrument war Opfer der Bombenangriffe auf Dessau im Jahr 1945 geworden.

Stefan Nusser wirkt seit 2011 als Kirchenmusiker in der Pfarrei St. Peter und Paul. Weiterhin hat er einen Lehrauftrag für künstlerisches und liturgisches Orgelspiel an der Evangelischen Hochschule für Kirchenmusik Halle/Saale inne und ist als freier Sachverständiger bei Orgelbauten und -restaurierungen tätig.

Ende August wurde die CD in den Gemeinderäumen der Peter und Paul Kirche einem interessierten Publikum vorgestellt. Wir finden bekannte Namen von Komponisten, wie Kurt Weill und Paul Dessau, die man allerdings nicht primär mit Orgelmusik in Verbindung bringt und auch solche, wie Lyonel Feininger, von dem man oft überhaupt nicht weiss, dass er überhaupt komponierte. Weiter liest man Namen wie Richard Bartmuß, Ernst Krenek, Kurt Grahl, Herman Berlinski, Holm Vogel, Herbert Zimpel und Markus Frank Hollingshaus. Zur CD gehört ein ausführliches Booklet, das über die Komponisten und die eingespielten Werke informiert.

Die Werke sind charakterlich sehr unterschiedlich. Beim Anhören der CD als Ganzes ragen einzelne Leuchttürme heraus, die neben unaufregenden Werken stehen. Insgesamt würde man sich ein wenig mehr Abwechslung in den Klangfarben wünschen, aber möglicherweise geben das Instrument und der Raum nicht mehr her. Auch muss man natürlich zu Gute halten, dass einzelne Werke, wie z.B. Titel aus „Eternal Road/Weg der Verheissung“ nicht primär für Orgel entstanden sind. Die Stücke aus Kurt Weills eben genannten Oratorium bearbeitete der Interpret Stefan Nusser selber für Orgel.

Dramaturgisch ist das Ganze sehr gut und stimmig aufgebaut und auch an der Interpretation der zum Teil sehr virtuosen und schwer spielbaren Werke gibt es nichts zu bemängeln. Es war eine Mammutaufgabe, die sich Stefan Nusser selber gestellt hat. Eine interessante Idee und Herangehensweise bei der Auswahl der Kompositionen, die auch späteren Generationen bei der Aufarbeitung regionaler Musikgeschichte sehr hilfreich werden kann. Dazu tragen auch die ausführlichen Texte im Booklet bei.

Den Eingang bildet die dritte Sonate für Orgel von Richard Bartmuß, der zu den vergessenen, aber nicht unbedeutenden Persönlichkeiten der Kaiserzeit gehört. Er wirkte an der ehemaligen Schlosskirche St. Marien in Dessau. Bartmuß machte sich zusammen mit anderen Reformern um die Neuordnung des evangelischen Gottesdienstes verdient, den er um neue musikalische Formen bereicherte. Er gehörte auf dem Gebiet der protestantischen Kirchenmusik zu den meistaufgeführten Komponisten seiner Zeit.

Etwas aus dem Rahmen fällt ein einzelnes Chorstück zwischen den Orgelwerken von Kurt Grahl: „Simon Petrus dort am Ufer“. Es ist ein Chorsatz, dessen Texte auf Bibelstellen aus den Briefen des Petrus und des Paulus basieren. Er ist Teil einer kleinen Kantate für Chor, Orgel und Klarinette, die 2013 entstand und die folgende Widmung trägt: „Herrn Dr. Stefan Nusser und dem Chor der Propsteigemeinde St. Peter und Paul, Dessau“. Von daher ergibt sich ein direkter Bezug zur Gemeinde. Lyonel Feininger hat niemals den Anspruch erhoben, als Komponist in Erscheinung zu treten. Seine Werke, ausnahmslos Fugen, verfolgten lediglich den Zweck, seine Arbeit als Maler zu vervollkommnen. So gehört diese Komposition zu den unaufgeregteren ruhigen Stücken der CD.

Ein weiterer Leuchtturm ist „The Burning Bush“ von Herman Berlinski. Diese Komposition fand Eingang in die CD aufgrund ihrer Thematik. Der Tabernakel der Kirche St. Peter und Paul assoziiert in seiner Gestaltung einen brennenden Dornenbusch und daher kam diese Verbindung zustande. Das Motto ist aus dem zweiten Buch Mose, 3,2: „Er sah, der Dornbusch brennt im Feuer, doch der Dornbusch bleibt unverzehrt.“ (Übersetzung Buber-Rosenzweig) Es ist das erste nennenswerte jüdische Werk für Konzertorgel und enthält rhapsodische und chromatische Elemente. „The Burning Bush“ hat anstatt eines Leitmotivs eine rhythmische Zeile, die auf dem Rhythmus der hebräischen Sprache basiert, in der Gott sich Moses offenbart: „Aeheyé Asher Aeheyéh“ – „Ich werde dasein, als der ich dasein werde“ (2. Mose 3,14; Übersetzung: Buber-Rosenzweig). Diese rhythmische Zeile ist in den unteren Stimmen ständig präsent, entweder im Pedal oder in der linken Hand. Darüber erstrecken sich virtuose, lange, wahrhaft feurige Sechzehntelketten.

Ein witziger Schluss ist die Toccata „Der Haifisch“ des jungen Komponisten Frank Markus Hollingshaus. Wie der Leser richtig vermutet gibt es eine Verbindung zu Mackie Messer – ein zwinkernder Seitenblick auf die „Dreigroschenoper“. Die Musik ist fantasievoll, formenreich, leicht verständlich und eng am jeweiligen Sujet entlang komponiert. In der Toccata schleicht sich der Haifisch langsam an – aufsteigende Achtelbewegung, um dann mit vollen Sechzehntel-Akkorden im 7/8-Takt zuzuschlagen. Dazu erklingt im Bass eine den Mackie Messer-Song von Brecht/ Weill assoziierende Melodielinie. Die Toccata ist ein virtuoser, vollgriffiger kräftiger Abschluss einer Suite und hier der CD.

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