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Die neue musikzeitung stiftetete den Sonderpreis in der Kategorie „Jumu open“. nmz-Herausgeber Theo Geißler überreichte die Urkunden an Ronja Ramisch, Akkordeon, Julius Schepansky, Akkordeon, und Denis Makram, Klavier. Fotos: S. Effenhauser
Die neue musikzeitung stiftetete den Sonderpreis in der Kategorie „Jumu open“. nmz-Herausgeber Theo Geißler überreichte die Urkunden an Ronja Ramisch, Akkordeon, Julius Schepansky, Akkordeon, und Denis Makram, Klavier. Fotos: S. Effenhauser
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Vom schlechten Gewissen zum lustvollen Wettstreit

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Das zehnte Wettbewerbsfestival WESPE zu Gast in Regensburg: Ulrich Rademacher im Gespräch mit Theo Geißler
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Im zehnten Jahr des Musikwettbewerbs WESPE, an dem sich ausschließlich Bundespreisträgerinnen und -preisträger von „Jugend musiziert“ beteiligen können, beeindruckten die Musikerinnen und Musiker mit originellen und virtuos vorgetragenen Interpretationen. 38 Musikbeiträge wurden ausgezeichnet, 14 davon waren im Abschlusskonzert im voll besetzten Neuhaussaal in Regensburg zu hören. Die elf Preisstifter hatten Sonderpreise im Wert von insgesamt 29.000 Euro ausgelobt. Eine erste Zwischenbilanz der Wettbewerbsdekade zogen direkt nach den Wertungen nmz-Herausgeber Theo Geißler und der Jugend musiziert-Vorsitzende Ulrich Rademacher im Gespräch.

neue musikzeitung: Wenn Sie auf zehn Jahre WESPE zurückblicken, wie fällt Ihre Bilanz aus?

Ulrich Rademacher: Zunächst fällt es mir schwer zu glauben, dass es schon zehn Jahre sind. Am Anfang wurde uns  so etwas wie ein „schlechtes Gewissen“ unterstellt in der Richtung, dass „Jugend musiziert“ die Neue Musik zu wenig wahrnehmen, nicht fördern oder gar verleugnen würde. Wir wollten  schlichtweg den alten „Zwang“, etwas Zeitgenössisches im Wettbewerbsprogramm präsentieren zu müssen, ersetzen durch Anreize, sich mit neuer und neuester Musik zu beschäftigen. Mit der WESPE, dem Wettbewerb der Sonderpreise, wollte „Jugend musiziert“ Dinge auf den Weg bringen, die im normalen Unterricht vielleicht zu kurz kommen. Künstlerische Aspekte, die ein genaueres Hinsehen, mehr Eigeninitiative und weniger Abhängigkeit von den lehrenden Personen bedürfen. Das ist in zehn Jahren gut gewachsen: Es werden heute mit großer Lust und keinem Hauch von Pflichtgefühl neueste Kompositionen gespielt, Werke von Komponistinnen, der klassischen Moderne, selbst komponierte Stücke. Alles Dinge, die sonst vielleicht im Wettbewerb, wo es in erster Linie darauf ankommt, möglichst brillant vor der Jury dazustehen, vielleicht zu kurz kommen würden

nmz: Die WESPE ist thematisch sehr breit aufgestellt: von verfemter Musik, Werken von Komponistinnen, Eigenkompositionen bis hin zu Werken, die speziell für „Jugend musiziert“ geschrieben worden sind. Warum dieses breite Spektrum?

Rademacher: Alle, die hier auftreten, spielen ganz selbstverständlich auf einem sehr hohen künstlerischen Niveau, denn es sind alles Bundespreisträger. Es sind aber keine Bundespreisträger, die sich auf ihren Lorbeeren ausruhen, sondern junge Künstler, die diesen Preis als Impuls für neue Ini­tiativen sehen. Wir hatten 2017 eine musikgeschichtliche Spanne von fast 1.000 Jahren, die von Hildegard von Bingen bis zu Stücken reichte, bei denen die Tinte noch nass ist. Es geht bei der WESPE nicht nur um neue Musik, sondern um Musik, die es schwer hat ans Licht zu kommen, die es – noch – schwer hat bei den Interpreten Gehör zu finden.

nmz: Hat sie es dann auch schwer ans Publikum zu kommen?

Rademacher: Wenn diese Musik von so überzeugten und überzeugenden Musikern dargeboten wird, hat sie es nicht schwer ans Publikum zu kommen. Das kann ich aus meiner Erfahrung als Juror sagen, aber auch aus Gesprächen mit anderen Juroren. Es gibt kaum einen Wettbewerb, bei dem so viel Spannung, so viel Abwechslung und so viel innere Beteiligung spürbar sind – übrigens auch bei den Juroren. Weil eigentlich jede Darbietung nicht „nur“ ein Wettbewerbsbeitrag ist, sondern oft einer Geburt gleicht.

nmz: Gibt es Planungen, das Spektrum des Wettbewerbs zu konzentrieren oder auf der anderen Seite sogar zu erweitern? Ich denke an Jazz, Rock und  popmusikalische Elemente.

Rademacher: Die Frage ist, ob das bei der WESPE angebracht wäre… Diese Stilrichtungen haben für „Jugend musiziert“ eine hohe Relevanz, soweit sie nicht kommerziell sind. Für Jazz, Rock und Pop müssen Jugendliche eigentlich nicht motiviert werden – ob diese Stilrichtungen daher in die WESPE gehen, bleibt abzuwarten. Aber wir haben zwei neue Kategorien bei der WESPE: „Jumu open“, wo wir mit den Jugendlichen zusammen auf der Suche nach der Zukunft der Musik sind. Weil wir glauben, es kann nicht angehen, dass wir Alten den Jungen sagen, wo die Zukunft ist. Die Zielrichtung wurde verstanden, das hat der Wettbewerb  2017 gezeigt. Zudem haben wir dieses Jahr eine ganz neue Kategorie eingeführt, die eigentlich eine ganz alte Kunst ist, die aber zu verschwinden drohte: die Orgelimprovisation. Wir dürfen uns als Musikausbildende nicht darauf beschränken, Kinder zum Nachspielen geschriebener Musik zu erziehen. Das Improvisieren, Komponieren und Interpretieren und dann auch Rezipieren und Reflektieren sind eine Sache.

nmz: Jumu open, das klingt nach „Du kannst machen, was du willst“. Wie waren die Ergebnisse dieses Jahr?

Rademacher: Es gab einen verfremdeten Popsong – sehr interessant, was die Vermischung von Midi- Klängen mit akustischen Klängen angeht. Es gab weiter eine Mischung von Text und Akkordeonmusik: Julius Schepansky bot ein sehr konzentriertes, sehr anrührendes Stück Musik, das Jury und Publikum tief beeindruckt hat, auch weil es sich um die Geschichte eines in der Nazizeit mit Berufsverbot belegten Komponisten handelte. Der Text wurde hier nicht nur inhaltlich, sondern auch klanglich verarbeitet und die Musik ließ Elemente aus dem Werk eben dieses Komponisten anklingen.

Dann haben wir etwas ganz Abgefahrenes gehört. Stellen Sie sich vor, die Interpretin kommt mit einem Akkordeon und einem Staubsauger auf die Bühne, nimmt Platz und wirft den Staubsauger an. Die Interpretin mischt sich dann mit dem Akkordeon zart in dieses Alltagsgeräusch ein. Man denkt, hier bilden musique concrète, Improvisation, Gesang, Szenisches und Notiertes eine ganz neue Kunstform. Ronja Ramisch bot so eine weitere überraschende Variante von „Jumu open“.

nmz: Wie waren die Erfahrungen mit der neuen Kategorie Orgelimprovisationen?

Rademacher: Sehr positiv. Wir konnten vier Preise verteilen. Der Wettbewerb fand in der evangelischen Neupfarrkirche statt und wurde auch von der EKD gesponsert. Wir hoffen darauf, dass der Preis bald auch ökumenisch verliehen werden kann. Leider gab es im Regensburger Neuhaussaal, wo die Schlusspräsentation stattfand, keine Orgel. Das wollen wir nächstes Jahr bei der WESPE in Lübeck verbessern.

nmz: Die WESPE liegt terminlich weit entfernt vom Bundeswettbewerb. Wäre es nicht sinnvoller, das etwas enger aneinanderzubinden?

Rademacher: Die Wettbewerbs-Elemente, aus denen die WESPE entstanden ist, waren früher Teil des Bundeswettbewerbs und wurden am letzten Tag ausgespielt, zum Beispiel die Sonderwertung zeitgenössische Musik oder auch der Klassikpreis. Wir haben das damals geändert, weil wir dachten, die Teilnehmer sind noch so gepolt auf „Abliefern“ des vom Lehrer eingeübten Stückes und außerdem auch zu „spannungsentladen“. Wir wollten, dass die Jugendlichen nicht eine zweite Auflage Bundeswettbewerb spielen, sondern etwas wirklich Neues. Die Sommerferien bieten sich als ideale Zeit an, Abstand zu gewinnen.

nmz: Mit in die WESPE aufgenommen wurde auch der seit 1989 existierende WDR3 Klassikpreis der Stadt Münster. Welches Ziel verfolgt Jugend musiziert mit diesem Preis?

Rademacher: Der Klassikpreis gehört ganz eng zur WESPE: Es geht um die Entdeckung und Wiederentdeckung der Werke von Mozart, Beethoven, Haydn und Zeitgenossen. Im Mittelpunkt steht ganz das Werk, sein Gehalt und seine Architektur, und nicht nur die wirkungsvollen, virtuosen Sätze wie so oft  im Wettbewerbsbetrieb.

nmz: Spüren Sie an den Musikschulen, vielleicht sogar an den allgemein bildenden Schulen einen befreienden Einfluss, den die WESPE auf den Musikunterricht ausübt?

Rademacher: Das wäre sehr zu wünschen. Ich wünsche mir aber noch mehr Beachtung von Seiten der Musikschulpädagogen, der freien Musikpädagogen und der Schulmusiker. Doch dafür sind zehn Jahre vielleicht noch eine zu kurze Zeit.

nmz: Das neue Wettbewerbsformat  gehört doch in Rundfunk und Fernsehen – die Potenz dazu hat es auf jeden Fall – an vielen Stellen ist es doch auch optisch attraktiv. Was tun?

Rademacher: Wir haben bei vielen Beiträgen nicht nur gehört, sondern auch gesehen. Es gehört zu meinen neuen Aufgaben als neuer Vorsitzender von „Jugend musiziert“, diesen Aspekt des Wettbewerbs besonders öffentlich zu machen. Das hätte sicher auch im Fernsehen einen guten Eindruck machen können – und einen animierenden Charakter gehabt. Denn nicht fremdgesteuerte, animierte und kreative Jugendliche sind eine wahre Freude.

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