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Wir müssen den Politikern sagen was sie wollen sollen

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Zu den Tagungen von DTKV, Vdm, GDM, zur Musikmesse und einer Demonstration von Musikschul-Lehrkräften
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In diesem Jahr gaben sich die Protagonisten der Musikbranche bei einem Marathon an Großveranstaltungen von Mitte April bis Anfang Mai quasi die Klinke in die Hand.

Den Beginn machte die Musikmesse/prolight+sound als weltweit größtes Event seiner Art in Frankfurt/Main. Erstmals präsentierte sich der DTKV hier am Verbände-Gemeinschaftsstand von ConBrio-Verlag/nmz. Am gleichen Ort folgte nur eine Woche später die Bundesdelegiertenversammlung des DTKV, dem größten spartenübergreifenden Berufsverband aller Musikberufe. Und ebenfalls am gleichen Ort veranstaltete um den 1. Mai-Feiertag der Gesamtverband Deutscher Musikfachgeschäfte (GDM) einen Branchentreff nebst seiner Mitgliederversammlung. Am verlängerten Wochenende zuvor fand der Kongress des Verbandes deutscher Musikschulen (VdM) in Bamberg statt, wo die VdM-Mitgliederversammlung am Vortag das DTKV-Mitglied Prof. Ulrich Rademacher zum neuen Bundesvorsitzenden gewählt hat. Und am 23. April erlebte die Bundeshauptstadt Berlin mit mehr als Tausend Teilnehmern die größte Demonstration von Musikschul-Lehrkräften, die es je in Deutschland gegeben hat. Das Zitat des neu gewählten VdM-Bundesvorsitzenden: „Wir müssen den Politikern sagen, was sie wollen sollen“, zog sich wie ein Leitmotiv durch alle fünf genannten Großveranstaltungen.

Der DTKV hatte bereits bei seiner Bundesdelegiertenversammlung (BuDV) 2011 in Essen mit den Forderungen, Kultur als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern, sowie (entgegen anderslautender Bestrebungen der Kultusministerkonferenz, KMK) Musik als eigenständiges Schulfach zu erhalten, zwei wichtige musikpolitische Grundsatzbeschlüsse gefasst. Ebenfalls auf Antrag des DTKV-Landesverbandes Brandenburg folgten in diesem Jahr bei der BuDV vom 20. April zwei weitere für die Musikpolitik bedeutende Grundsatz-Positionierungen: Der DTKV fordert die Abschaffung des Kooperationsverbots, und der DTKV fordert, das System der Bildungsgutscheine als zweite Säule der Bildungsfinanzierung weiter auszubauen.

Nachdem einzelne Änderungsanträge des Präsidiums seitens des Antragstellers überwiegend übernommen worden waren sowie nach Diskussion einzelner Formulierungen im Plenum, erfolgte die Verabschiedung jeweils ohne Gegenstimme. Somit verfügt der DTKV nach „Essen" und „Frankfurt/Main" nunmehr über eine klare programmatische Beschlusslage sowie ein klares musikpolitisches Profil.

Der DTKV sagt den Politikern:
• Kultur ins Grundgesetz
• Kooperationsverbot abschaffen
• Bildungsgutscheine ausbauen
• Musik als Schulfach erhalten

Nun gilt es – ganz im Sinne des o.g. Zitats von Prof. Ulrich Rademacher – diese Beschlusslage so wirksam auf dem politischen Parkett zu vertreten, dass sie sich letztendlich in der realen Politik niederschlägt, sowohl im Bund als auch in den Ländern, Städten und Gemeinden.

Das Was ist somit beschlossen, das Wie ist bekanntermaßen der schwierigere Teil. Natürlich wird der DTKV die Kanäle seiner in jüngerer Zeit deutlich optimierten Presse- und Medienarbeit ebenso nutzen wie seine exzellenten Verbindungen in den Dachverbänden Deutscher Musikrat (DMR) und Deutscher Kulturrat (DKR). Dass DTKV-Mitglied Christian Höppner in Personalunion das Amt des DMR-Generalsekretärs sowie des DKR-Präsidenten bekleidet, dürfte einen reibungslosen Transport der vom DTKV beschlossenen musikpolitischen Inhalte in diese Dachverbände garantieren. Doch die wesentliche politische Lobbyarbeit hat dort statt zu finden, wo die Politik gemacht wird: im Deutschen Bundestag.

Auch bei den Tagungen von VdM und GDM wurde der Lobby-Arbeit großes Gewicht beigemessen. Dass der VdM sowie die Musikindustrie- und Handels-verbände die Klaviatur der politischen Lobbyarbeit im Bundestag durchaus professionell spielen, ist bekannt. So werden die vom VdM in Berlin durchgeführten „Parlamentarischen Abende" dem bekannten VdM-Erfolg des Jahres 2012 wohl kaum zum Nachteil gereicht haben. Der nächste „Parlamentarische Abend" von Musikindustrie und -handel wird am 6. Dezember 2013 unter Federführung des Dachverbands Musikwirtschaft und Veranstaltungstechnik (DVMV) sowie des Bundesverbands der deutschen Musikinstrumenten-Hersteller (BDMH) und in Zusammenarbeit mit GDM, SOMM und anderen stattfinden.

Wie eng die einzelnen Sparten der Musikbranche miteinander verwoben und von einander abhängig sind, zeigt sich an den sich gegenseitig bedingenden Interessenlagen: Der deutschen Musikinstrumenten-Industrie, den Vertrieben, Musikverlagen, dem Fachhandel und nicht zuletzt der Musikmesse wird es nur dann gut gehen, wenn eine starke Binnennachfrage nach Musikinstrumenten, Noten und Zubehör existiert. Diese Nachfrage kann nur durch Musik machende Menschen generiert werden. Menschen machen jedoch nur dann Musik, wenn sie auf qualifizierten Musik- und Instrumentalunterricht in Schule, öffentlichen und privaten Musikschulen sowie bei freien Musikpädagogen zurückgreifen können. Bleibt der Beruf des Instrumentalpädagogen wirtschaftlich derart unattraktiv, wie er sich derzeit darstellt, so wird ein Angebot an Instrumentalunterricht künftig immer weniger zur Verfügung stehen, da kaum noch jemand bereit sein wird, einen derart unterbezahlten Beruf zu ergreifen. Der Musikbranche als Ganzer wird es also nur so gut gehen können, wie es jeder ihrer einzelnen Sparten gelingt, eine erfolgreiche, wirksame Lobbyarbeit zu betreiben.

Der GDM hat dies schon lange erkannt und gestaltete seinen diesjährigen Kongress zum nunmehr fünften Mal in Folge als „Branchentreff" diverser Sparten. Neben den Mitgliedern (Musik-Fachhandel) waren jeweils hochkarätige Vertreter der Musikinstrumenten-Industrie, der Vertriebe, der Verleger, der Musikmesse und des Musikunterrichts vertreten, so etwa der BDMH durch Gerhard A. Meinl, die Musikmesse durch Cordelia von Gymnich, der Bund Deutscher Klavierbauer (BDK) durch Ulrich Sauter, die Society Of Music Merchants (SOMM) durch Daniel Knöll, der Buy Local e.V. durch Michael Riethmüller oder der Bundesverband Deutscher Privatmusikschulen (bdpm) durch Mario Müller, um nur einige zu nennen.

Alarmierende Zahlen unterstrichen den dringenden gemeinsamen Handlungsbedarf der Branche: Wurde im Jahr 2008 noch in 25,6 Prozent der Haushalte aktiv Musik ausgeübt, so geschieht dies aktuell nur noch in 17,7 Prozent der Haushalte, womit die Zahl der aktiv Musik machenden in Deutschland auf nur noch 14,5 Millionen gesunken ist. Kein Wunder also, dass der Gesamtumsatz im Musikinstrumentenbereich in 2012 gegenüber dem Vorjahr nochmals um 0,5 Prozent auf nur noch 919 Mio. Euro zurückgegangen ist (Saiteninstrumente -9,6 Prozent, Blasinstrumente -5,9 Prozent, Schlaginstrumente -5,9 Prozent, während Tasteninstrumente mit +2,1 Prozent leicht zulegten). Selbst die Anzahl der Aussteller bei der Musikmesse sank um 5,4 Prozent.

GDM fordert Gemeinschaftsprojekt

Die Antwort auf diese Entwicklung gab GDM-Vizepräsident Dieter Gehner: In einer aufrüttelnden Präsentation forderte er ein Gemeinschaftsprojekt der die Musik-Branche vertretenden Verbände. Ziel sei, durch geeignete Maßnahmen den Negativtrend zunächst zu stoppen, dann umzukehren. 87,4 Prozent der Deutschen hörten regelmäßig Musik, 37,8 Prozent besuchten Konzerte und 35,9 Prozent interessierten sich grundsätzlich für Musikinstrumente: dieses Potenzial gelte es, gezielt anzusprechen. Eine solche Ansprache funktioniere nur in einem von allen Sparten gemeinsam geschulterten Gemeinschaftsprojekt, so Gehner.

Der dramatische Rückgang aktiver Musikausübung muss nicht nur den GDM als Händler-Verband und den DTKV als Verband der Instrumentalpädagogen erschrecken, sondern insbesondere auch die Politik, welche mit Instrumentalisierungsprogrammen, wie etwa JeKi die Zunahme aktiver Musikausübung zwar anstrebt jedoch offensichtlich nicht erreicht. Die Abschaffung des Kooperationsverbots nebst deutlicher Weiterentwicklung des Bildungsgutscheins – und insbesondere auf dieser Basis der Aufbau einer nachhaltigen Bundesfinanzierung von Musikbildung! – ist der geeignete bundespolitische Weg, den einzuschlagen die Politik nun aufgerufen ist. In einem solchen Rahmen würde das vom GDM angestrebte Gemeinschaftsprojekt Wirksamkeit entfalten können. So ließe sich die Anzahl der Musik machenden Deutschen allmählich wieder erhöhen.

Schlüsselverantwortung des VdM

In dieser Gemengelage kommt dem Verband deutscher Musikschulen (VdM) eine Schlüsselverantwortung zu. Seine enorme Stärke und Quantität stellte er mit seinem grandiosen VdM-Kongress in Bamberg zum wiederholten Male eindrucksvoll unter Beweis: In weit über 900 VdM-Musikschulen werden von 38.000 hochqualifizierten Lehrkräften mehr als eine Million Musikschülerinnen und -schüler an etwa 4.000 Standorten unterrichtet. Vom 26. bis 28. April fanden über 1.500 Kongress-Besucher den Weg nach Bamberg und bildeten sich bei mehr als 70 Plenumsvorträgen, Panels, Workshops sowie Diskussionsforen zu aktuellen musikpädagogischen und bildungspolitischen Themen fort. Zwei hervorragende Musik-Programme wurden auf die Bühne der Kongress- und Konzerthalle Bamberg gebracht. Der großzügige Messe-Teil wurde von 80 Vertretern aus Industrie, Handel, Institutionen und Verbänden bespielt.

Bei einem der Haupt-Vorträge entlarvte Prof. Dr. Rainer Dollase, Universität Bielefeld, unter dem Thema „PISA war gestern" die Fehlinterpretationen der PISA-Studie und setzte Ergebnisse internationaler empirischer Unterrichtsforschung in Bezug zur Optimierung der Musikschularbeit. Somit kam nun auch die breitere Musikschul-Öffentlichkeit in den Genuss dieser äußerst hilfreichen Informationen, die Dollase bereits bei der Hauptarbeitstagung des VdM in engerem Kreis dargelegt hatte (siehe Artikel: „Lösungen für problemschaffende Problemlösung" dieses Autors, nmz 6/12 Seite 14, sowie www.nmz.de).

Zur Wirkungspraxis des bereits beim letzten VdM-Kongress 2011 in Mainz vorgestellten KGSt-Gutachtens Musikschule, (siehe Artikel: „Musikschule ist Bildungsaufgabe" dieses Autors, nmz 6/11 Seite 11, sowie www.nmz.de) wurde von VdM-Bundesgeschäftsführer Matthias Pannes und Burkhard Fleckenstein referiert. Die Diskussion ergab, dass das KGSt-Gutachten in Fachkreisen höchstes Ansehen genießt und gerne als profunde Argumentations-untermauerung gegenüber Politik und Verwaltung genutzt wird; denn was die KGSt sagt, werde geglaubt und akzeptiert; leider habe das KGSt-Gutachten jedoch keine zwingende Durchsetzungskraft, zumal wenig konkrete Kennzahlen vorgegeben seien.

Prof. Dr. Eckart Liebau, Universität Erlangen, beleuchtete die Geschichte der Musikerziehung und spannte den Bogen von im Jahre 1962 in einem offenen Brief an das Kultusministerium gestellten Forderungen zu heute, wo eben diese Forderungen immer noch höchste Aktualität genössen. Er betonte, es bedürfe des Schaffens politischer Bedingungen, um Raum für Musikpädagogik zu bekommen. Er meinte, einen leichten Rückenwind erkennen zu können: so seien Programme wie zum Beispiel „Kultur macht stark" auf einen allmählich greifenden Bewusstseinswandel zurückzuführen.

Beim Thema „Sonntagsreden und Montagshandeln in der Kulturpolitik" legte unter Moderation des neu gewählten VdM-Bundesvorsitzenden Prof. Ulrich Rademacher dessen ehemaliger Schweizer Amtskollege Hector Herzig in einer beeindruckenden Präsentation dar, wie er es geschafft hat, in der Schweiz eine Volksabstimmung herbeizuführen durch welche Musikförderung im Grundgesetz festgeschrieben wurde. Dieser Vortrag kann als Best-Practice-Beispiel dienen, wie – eingepasst in deutsche Rahmenbedingungen – ein Weg, Kultur als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern, gegangen werden könnte. Bei dem Kongress, der unter dem Motto „Faszination Musikschule!" stand, wurde in ungezählten Gesprächen am Rande des offiziellen Programms die Frage thematisiert, wie künftig „Faszination Musikschule" gelebt werden soll, wenn Lehrkräfte zunehmend nicht fasziniert sondern resigiert sind: resigniert ob ihrer miserablen Bezahlung, ob der permanenten Zunahme an prekärer Beschäftigung, resigniert ob der sie konkret erwartenden Altersarmut mit Rentenbezügen unterhalb der Grundsicherung, ob des Fehlens von Mutterschutz, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder Arbeitslosenversicherung, resigniert ob der dramatischen Abnahme an Wertschätzung ihres Berufes, für den sie einst ein schwieriges und teures Hochschulstudium absolviert haben und für den sie sich permanent auf eigene Kosten fortbilden – zum Beispiel hier auf dem VdM-Kongress. Zwar wurde sehr genau registriert, dass der Staatssekretär im Bundesbildungsministerium, Lutz Stroppe, eben diese zunehmende Prekarisierung in seiner Rede zur Kongress-Eröffnung geißelte und insbesondere dem Musikschul-Schlusslicht Land Berlin ob dessen 92 Prozent als „freie Mitarbeiter" prekär beschäftigter Musikschullehrkräfte eine schallende Ohrfeige verpasste, doch steht auch hier das Montagshandeln im Anschluss an die Sonntagsrede noch aus: Was wird das Bundesbildungsministerium tun? Was kann es im derzeit (noch) streng föderalistisch organisierten Bildungswesen tun? Auf die Antworten von Ministerium und Bundesregierung sind alle gespannt!

Beim GdM-Branchentreff wurde seitens des bdpm-Vertreters der Bösewicht, welcher die Schuld am akademischen Musikschul-Prekariat trage, klar benannt: die öffentlichen Träger welche in ihrer Kommune zwar Musikschulen wollten, nicht jedoch eine angemessene Bezahlung der Lehrkräfte. Hinzu komme, dass durch Subventionierung der Unterrichtsgebühren der Markt derart zerstört worden sei, dass private Musikschulen nur unwesentlich höhere Gebühren erzielen könnten, was mangels Fördergelder zwingend zu einer nochmals verschlechterten Bezahlung der Lehrkräfte an Privatmusikschulen führe.

Hier steht der VdM in seiner Eigenschaft als Fachverband in der Verantwortung, auf die Musikschulträger so einzuwirken, dass die dramatischen Fehlentwicklungen korrigiert werden. Zusätzlich zur unakzeptablen Ausbeutung der Lehrkräfte steht sonst mittelfristig sogar die Fachlichkeit der Musikschulen auf dem Spiel: Faszination kann nicht von Resignierten vermittelt werden! Lenkt sie nicht ein, so zerstört die öffentliche Hand das Fundament, auf welchem die kommunale Musikschule ruht. Aufgabe des VdM als Fachverband ist es, im engen Schulter-schluss mit weiteren Fachverbänden daran mitzuwiken, dieses Fundament wieder tragfähig zu machen.

Gelänge dies nicht, so wäre die bundesweit bisher größte Musikschul-Demonstration, zu der sich am 23. April 2013 in Berlin mehr als 1.000 Musikschul-Lehrkräfte, -Leiter, -Schüler und -Eltern sowie Oppositions-Politiker vor dem Konzerthaus-am-Gendarmenmarkt versammelt haben, nur ein winzig kleiner Auftakt zu einer immer weiter zunehmenden Protestwelle gewesen.

Vor der „Faszination Musikschule!" bedarf es einer „Achtung für Musikschule!" seitens der Musikschulträger – also der öffentlichen Hand. Das gilt es der Politik zu vermitteln.

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