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documenta-nachrichten – Arroganz | Dialog | Diskurs

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Kasseler OB: Roths Pläne Ausdruck „kaum zu überbietender Arroganz“ – Roth setzt auf „konstruktiven Dialog“ für Änderungen bei documenta – documenta: Kuratorenkollektiv Ruangrupa betont Dialogbereitschaft – Nach documenta-Eklat: Podium zum öffentlichen Diskurs

Kasseler OB: Roths Pläne Ausdruck „kaum zu überbietender Arroganz“

Kassel (dpa) – Der Kasseler Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) hat im Streit um die documenta Rückendeckung seiner Amtsvorgänger bekommen. Geselle, der Aufsichtsratsvorsitzender der documenta ist, hatte in einem Brief an Kulturstaatsministerin Claudia Roth mit einem Alleingang bei der Finanzierung der documenta gedroht. Damit reagierte er auf Roths Forderung nach strukturellen Reformen angesichts des Antisemitismus-Eklats auf der Schau.

In einer gemeinsamen Erklärung lehnen Geselle und die drei ehemaligen Oberbürgermeister von Kassel, Hans Eichel, Wolfram Bremeier und Bertram Hilgen, den Fünf-Punkte-Plan Roths „als Angriff auf die documenta“ entschieden ab. Im Kern gehe es der Beauftragten um mehr Einfluss des Bundes auf die Entscheidungen der documenta-GmbH.

Begründet werde dies unter anderem damit, „dass die vor allem lokale Verantwortlichkeit der documenta in einem Missverhältnis zu deren Bedeutung ... steht.“

Mit anderen Worten bedeute dies, dass Kassel zu provinziell sei und künftig „durch das klügere, weltgewandte Berlin an die Hand genommen werden“ müsse, hieß es in der Erklärung. „Diese Haltung ist Ausdruck kaum zu überbietender Arroganz und übersieht, dass sich die documenta in ihrer über 60-jährigen Geschichte in „lokaler Verantwortlichkeit“ zu dem entwickelt hat, was sie heute ist – und das ohne oder nur mit sehr bescheidener finanzieller Unterstützung durch den Bund.“

„Die in dem Fünf-Punkte-Plan offen ausgesprochene Drohung: Ohne mehr Einfluss kein Geld! muss uns nicht schrecken“, heißt es weiter. Die documenta könne im Zweifel auch ohne die bescheidenen Bundesmittel finanziert werden. Kassel sei darauf nicht angewiesen. „Sollte die Beauftragte auf diesem Junktim bestehen, muss die Stadt sie auffordern, die finanzielle Unterstützung umgehend und vollständig einzustellen – und künftig in öffentlicher Funktion zur documenta zu schweigen.“

Roth setzt auf „konstruktiven Dialog“ für Änderungen bei documenta

Berlin/Kassel (dpa) – Nach dem Antisemitismus-Eklat bei der documenta in Kassel hält Kulturstaatsministerin Claudia Roth an strukturellen Änderungen der Kunstausstellung fest. Es sollte „im Interesse der Stadt Kassel sein, gemeinsam mit dem Land Hessen wie auch dem Bund darüber nachzudenken, wie mittels einer grundlegenden Strukturreform die documenta so neu aufgestellt werden kann, dass sich ein solches Desaster nicht wiederholt und die documenta ihrer Bedeutung einer der weltweit wichtigsten Ausstellungen für zeitgenössische Kunst wieder gerecht werden kann“, sagte die Grünen-Politikerin am Mittwoch in Berlin.

Zuvor war sie für ihre Vorschläge von Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle kritisiert worden. Der Stadt sei es finanziell möglich, die Verantwortung auch ohne Bundesmittel zu tragen, schrieb der SPD-Politiker an Roth. Der Brief liegt der Deutschen Presse-Agentur vor.

Roth nahm das Schreiben mit „einigem Erstaunen und auch etwas Befremden“ zur Kenntnis. „Nach meiner Auffassung sollte das zentrale Anliegen des verantwortlichen Aufsichtsratsvorsitzenden gegenwärtig sein, aufzuklären, wie es zur Aufstellung eines eindeutig antisemitischen Kunstwerkes bei dieser documenta kommen konnte und nun zweifelsfrei sicherzustellen, dass keine weiteren antisemitischen Kunstwerke dort vorhanden sind sowie für die nötigen personellen Konsequenzen für diesen inakzeptablen Vorgang zu sorgen“, sagte die Kulturstaatsministerin.

Dafür sei „zwingend eine stärkere Mitwirkungsmöglichkeit der Bundesebene notwendig“. Die gegenwärtigen Strukturen hätten die notwendige kuratorische und Vermittlungsarbeit nicht geleistet.

Den Vorwurf der „staatlichen Zensur“, den Geselle im Brief aufwarf, wies Roth zurück. „Das hat doch mit Zensur nichts zu tun. Das so hohe Gut der Kunstfreiheit, das ich als Kulturstaatsministerin immer verteidigen werde, hat, wie ich immer gesagt habe, seine Grenzen beim Schutz der Menschenwürde, bei Antisemitismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit“, betonte Roth in ihrer Stellungnahme.

Sie zeigte sich erstaunt, wenn das Stadtoberhaupt die documenta weitgehend im Alleingang organisieren wolle. „Mit dem Land Hessen, das meine Auffassung teilt, dass wir jetzt eine Strukturreform der documenta brauchen, bin ich bereits in einem konstruktiven Dialog“, sagte Roth. „Ich hoffe sehr, dass auch mit der Stadt Kassel jetzt ein konstruktiver Dialog möglich sein wird. Von meiner Seite stehe ich dazu gerne bereit.“

documenta: Kuratorenkollektiv Ruangrupa betont Dialogbereitschaft

Kassel (dpa) – Bei einer Podiumsdiskussion zur Aufarbeitung des Antisemitismus-Skandals um die documenta fifteen hat das Kuratorenkollektiv Ruangrupa erneut seine Dialogbereitschaft betont.

„Wir sind hier, um zu lernen und um zuzuhören“, sagte der Sprecher des indonesischen Kollektivs, Ade Darmawan, am Mittwoch in einer Wortmeldung zu Beginn der Debatte. Er hoffe, die Veranstaltung sei ein Ausgangspunkt für Diskussionen. „Wir sind hier“, betonte Darmawan, der die Debatte als Zuhörer verfolgte.

Die Bildungsstätte Anne Frank und die Trägergemeinschaft documenta gGmbH hatten gemeinsam zu dem Podium zum Thema „Antisemitismus in der Kunst“ eingeladen, an dem unter anderen der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, und Hortensia Völckers, künstlerische Direktorin und Vorstandsmitglied der Kulturstiftung des Bundes, teilnahmen. 

Die Veranstaltung soll Auftakt der öffentlichen Debatte über den Skandal sein, der die documenta fifteen überschattet. Ein als antisemitisch eingestuftes Kunstwerk des indonesischen Kollektivs Taring Padi war nur wenige Tage nach dem Start der Schau abgebaut worden. Schon Monate zuvor hatte es Antisemitismus-Vorwürfe gegen Ruangrupa gegeben.

Hessens Kunstministerin Angela Dorn betonte in ihrem Grußwort, das Podium könne nur der erste Schritt in der Aufarbeitung des Eklats sein. Die Grünen-Politikerin bekräftigte erneut die Notwendigkeit einer strukturellen Reform der documenta, wie sie Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) gefordert hatte.

Roth will als Konsequenz aus den Vorkommnissen mehr Einfluss der Bundesregierung. Sie droht, andernfalls den Geldhahn zuzudrehen. Der Aufsichtsratsvorsitzende der documenta, Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD), lehnt Roths Forderungen vehement ab. Er drohte einen Alleingang der Stadt Kassel als Gesellschafter an. Der Stadt sei es finanziell und auch ideell möglich, die Verantwortung für die documenta ohne Beteiligung Berlins zu tragen, hieß es in einem Brief an Roth, der der dpa vorliegt.

Nach documenta-Eklat: Podium zum öffentlichen Diskurs

In der Antisemitismus-Debatte um die documenta fifteen in Kassel soll nun der öffentliche Diskurs zur Aufarbeitung des Eklats beginnen.

Kassel (dpa) – Der Antisemitismus-Eklat auf der documenta fifteen in Kassel schlägt seit Beginn der Schau Mitte Juni hohe mediale Wellen.

An diesem Mittwoch nun soll der öffentliche Diskurs eingeläutet werden: Die Bildungsstätte Anne Frank und die Trägergemeinschaft documenta gGmbH laden gemeinsam zu einer Podiumsdiskussion zum Thema „Antisemitismus in der Kunst“ ein.

Teilnehmer sind laut Ankündigung unter anderen der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, der wissenschaftliche Direktor der Bildungsabteilung des Zentralrats der Juden in Deutschland, Doron Kiesel, und Hortensia Völckers, künstlerische Direktorin und Vorstandsmitglied der Kulturstiftung des Bundes.

Hessens Kunstministerin Angela Dorn (Grüne) wird demnach ein Grußwort halten.

Die Veranstaltung soll Auftakt der Aufarbeitung des Skandals sein, der die documenta fifteen überschattet. Ein als antisemitisch eingestuftes Kunstwerk des indonesischen Kollektivs Taring Padi war nur wenige Tage nach dem Start der Schau Mitte Juni abgebaut worden.

Schon seit Jahresbeginn hatte es Antisemitismus-Vorwürfe gegen das kuratierende Kollektiv Ruangrupa aus Indonesien gegeben.

Das Podium solle einen Beitrag leisten für eine Auseinandersetzung mit Antisemitismus, speziell auch in Bezug auf den Staat Israel, in Kunst und Kultur und auf der documenta fifteen, teilte eine Sprecherin Mendels mit. Im Mittelpunkt stünden dabei die Fragen: Wie konnte es zum aktuellen Antisemitismus-Vorfall kommen? Was braucht es jetzt, damit die polarisierte Situation nicht noch weiter eskaliert? Wie kann eine – staatlich geförderte – Ausstellung antisemitischer Kunst künftig vermieden werden?

Angesichts der schon seit Monaten schwelenden Vorwürfe gegen Ruangrupa hatte die documenta das Thema schon einmal in mehreren Foren mit Expertinnen aus Kolonialismus- und Rassismusforschung,

Holocaust- und Antisemitismusforschung sowie Kunst und Kultur diskutieren wollen. Nach Kritik des Zentralrates der Juden an der Zusammensetzung der Foren und dem Umgang mit Antisemitismus wurde die Reihe jedoch abgesagt. Zunächst sollten die Kunstwerke der documenta im Mittelpunkt stehen, hieß es damals.

Nach den Vorwürfen kündigte Generaldirektorin Sabine Schormann vergangene Woche nun erneut eine Gesprächsreihe zu Antisemitismus und Rassismus an. Außerdem solle es einen „Begegnungsstand“ am Friedrichsplatz in Kassel geben – mit der Bildungsstätte Anne Frank und anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren. Am Friedrichsplatz war das umstrittene Werk aufgestellt, bevor es zunächst verhüllt und schließlich abgebaut wurde.

Zudem werden derzeit alle weiteren Werke mithilfe externer Experten, darunter auch Meron Mendel, auf antisemitische Inhalte geprüft.

Mendels Engagement beschränke sich dabei auf eine beratende Tätigkeit, er sei nicht Teil eines Gremiums mit Entscheidungsbefugnissen, erklärte seine Sprecherin.

 

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