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Mit Musik und Mao-Bibel. Foto: Hufner
«Hey Jude», Hardrock, Heintje: Das Protest-Jahr 1968 und seine Musik. Foto: Hufner
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«Hey Jude», Hardrock, Heintje: Das Protest-Jahr 1968 und seine Musik

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Beatles und Rolling Stones, Jimi Hendrix und The Doors - 1968 gab es großartige, progressive Musik im Überfluss. Aber waren Rock, Folk und Soul vor 50 Jahren tatsächlich der populäre Soundtrack zur politischen Rebellion? In Deutschland sah es weithin anders aus.

Berlin - Rockmusik als Treibstoff für gesellschaftlichen Fortschritt, als Signal-Sound zur Revolte? So wird es heute oft beschrieben, und bei aller Verklärung mit 50 Jahren Abstand ist ja auch manches dran an dieser kulturgeschichtlichen Erzählung. Aber so einfach ist die Sache dann doch nicht - eine breite Gegenbewegung in Deutschland suchte 1968 Halt bei Heintjes «Heidschi Bumbeidschi» und Roy Blacks «Ich denk' an Dich».

Für den Philosophen Peter Sloterdijk war es «wunderbar, dass die Popmusik der 60er einen perfekten Soundtrack liefern konnte zu diesen neuen Ideen». Der Musikexperte Johannes Waechter («Süddeutsche Zeitung») erinnerte sich, einigermaßen vorsichtig: «...einen Sommer lang galt der Rock 'n' Roll als wichtigste Waffe im Kampf gegen das Establishment». Auch andere Zeitzeugen denken gern daran zurück, wie ihnen die Rolling Stones mit «Street Fighting Man», die Beatles mit «Revolution» und Aretha Franklin mit «Respect» Anstöße für politisches Engagement lieferten.

Andererseits: Songs mit klaren politischen Botschaften oder sogar Kampfappellen, etwa von Frank Zappas Mothers Of Invention, The Fugs, Country Joe & The Fish oder MC5, tauchten in den Hitparaden nie auf - «sie waren schlicht nicht mehrheitsfähig», wie der Autor Daniel Gäsche («Born to be wild. Die 68er und die Musik») feststellt. Die wirklich volkstümlichen Stars waren hierzulande - trotz wachsender Verkaufszahlen für englischsprachige Rock- und Popmusik - am Ende eben doch Schlagersänger. In 34 von 52 Wochen des Jahres standen solche Platten an der Spitze der Albumcharts.

Das von den politischen Unruhen aufgeschreckte deutsche Bürgertum machte es sich vor seinen Schleiflack-Musiktruhen mit Schnulzen gemütlich. Millionenfach wurden Tränenzieher wie «Du sollst nicht weinen» oder «Ich bau dir ein Schloss» vom niederländischen Kinderstar Heintje Simons gekauft. Und der Österreicher Peter Alexander verkörperte mit seinen Liedern die guten alten Werte in Zeiten von linksradikalen Umstürzlern und Hasch konsumierenden «Gammlern»: «Der letzte Walzer mit dir/sagte mir: Die musst Du lieben./Mein schönstes Souvenir/ist dieser Walzer geblieben.»

Gerade an den deutschen Charts sei «die Spaltung der Gesellschaft in den 1960 Jahren gut abzulesen», meint Gäsche - keine Spur von Protestkultur via Rock und Blues von Jimi Hendrix, Janis Joplin oder The Doors. Stattdessen war 1968 die Beatles-Single «Hey Jude» (mit der Rückseite «Revolution») zwei Wochen auf Platz eins, zudem «Jumpin' Jack Flash» von den Rolling Stones, ferner Balladen von Tom Jones und den Bee Gees. Der aufstrebende Hardrock von Iron Butterfly («In-A-Gadda-Da-Vida»), Deep Purple oder Blue Cheer kam hierzulande zunächst nur bei Spezialisten an.

Fand die vielfach gewürdigte fortschrittliche Musik dieser Jahre denn wenigstens an den rebellisch bewegten deutschen Hochschulen großen Widerhall? «SZ-Magazin»-Autor Johannes Waechter verweist süffisant darauf, dass Rock für die orthodoxen Kommunisten an den Unis «durch und durch bürgerlich» gewesen sei: «Denn das Drehbuch zur Revolution habe Karl Marx und kein anderer verfasst, und in dessen Schriften sei selbst bei gründlichster Analyse kein Hinweis auf lange Haare und elektrische Gitarren zu finden.»

«Wir haben natürlich auf den Sit-Ins oder Demonstrationen keine Rockmusik gehört. Die Revolution war politisch», sagte auch Heide Simonis, später SPD-Regierungschefin von Schleswig-Holstein - um immerhin einzuräumen: «Aber wenn wir dann zusammensaßen, war das schon ganz praktisch, dass man da Musik hören konnte, die wichtig für unser Lebensgefühl war. Und unsere Eltern, die wussten ganz genau, dass in dieser «Negermusik» das Revolutionäre lag.»

In der Retrospektive wird «diese Negermusik» längst als prägend für die Epoche der «68er» anerkannt. Kein Jahresrückblick, der ohne die Album-Großtaten der Rolling Stones («Beggars Banquet»), der Beatles mit ihrem «Weißen Album», von Van Morrison («Astral Weeks»), The Jimi Hendrix Experience («Electric Ladyland») oder The Band («Music From Big Pink») auskommt. Schwarze Musik von Aretha Franklin («Lady Soul») oder Otis Redding («The Dock Of The Bay») findet sich ebenso zuverlässig in den Kritikerbestenlisten.

Rock, Folk, Soul und «Beatmusik», importiert aus den USA und Großbritannien, außerdem viel deutscher Schlager - war's das schon im legendären Protest-Jahr 1968 in Deutschland? Nicht ganz. Auch hier gab es - noch vor den erst 1970 gegründeten Berliner Revoluzzern Ton Steine Scherben - politische Lieder, deren Wirkung aus heutiger Sicht nicht zu unterschätzen ist.

Linke Liedermacher wie Franz Josef Degenhardt («Spiel nicht mit den Schmuddelkindern»), Hannes Wader und Dieter Süverkrüp sangen gegen Polizeigewalt, Militarismus, die Spießigkeit braver Bürger und die Geschichtsvergessenheit der Nazi-Generation an. Die Folk-Festivals auf der Burg Waldeck in Rheinland-Pfalz wurden Mitte und Ende der 60er zu Hochämtern des politischen Chansons.

Auch in der Rockmusik gab es 1968 eine deutsche Abteilung, mit Kommunarden-Bands wie Amon Düül, Embryo oder Floh de Cologne. Die damals neu gegründeten Can und Tangerine Dream sollten im nächsten Jahrzehnt gar weltweit einflussreiche «Krautrock»- und Elektronik-Pioniere werden. Und bei den «Internationalen Essener Songtagen» erlebten gesellschaftlich und popmusikalisch progressiv gesinnte Fans Ende September 1968 - also noch vor dem legendären US-Festival - ihr «deutsches Woodstock».

Keine Revolution, aber ein Aufbruch. Vor 50 Jahren sei «die Basis für viele nachfolgende Protestbewegungen» gelegt worden, bilanzierte der Hagener Kultursoziologe Frank Hillebrandt in der «Neuen Osnabrücker Zeitung». «Rockmusik hat sicher dazu geführt, dass Menschen über soziale Grenzen hinweg gelernt haben, selbstbewusster aufzutreten. Ohne die Rock- und Popkultur würde unsere Gesellschaft anders, aber vor allem schlechter aussehen.»

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