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Mitglieder der Deutschen Streicherphilharmonie. Foto: nmzMedia
Junge Musiker nutzen in Corona-Zeiten das Internet als Bühne. Foto: nmzMedia
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Junge Musiker nutzen in Corona-Zeiten das Internet als Bühne

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Bonn/Dresden - Immer mehr Musiker nutzen in Zeiten der Corona-Krise das Internet als Bühne. Auch bei der Deutschen Streicherphilharmonie - einem der besten Nachwuchsorchester des Landes - setzt man wegen abgesagter Konzerte auf Online-Konzerte.

Die Deutsche Streicherphilharmonie - eines der jüngsten Spitzenensembles des Landes - lässt ihre Zuhörer in Zeiten der Corona-Krise nicht im Stich. Obwohl die nächsten Konzerte der aktuellen Jubiläumstour «30 Jahre deutsche Wiedervereinigung» erst einmal alle abgesagt sind, will das Orchester unter Leitung des Dresdner Geigers Wolfgang Hentrich weitermachen - mit einem per Streaming übertragenen Mini-Konzert.

Hentrich, seit 1996 Konzertmeister der Dresdner Philharmonie, hat dazu ein Video seines Dirigates an die beteiligten Musiker zwischen elf und 20 Jahren geschickt. Sie senden ihre Stimmen auf gleiche Weise zurück. Stephen Waarts, Solist bei Haydns Violinkonzert, spielt seinen Part im fernen San Francisco ein.

Beim Verband deutscher Musikschulen in Bonn als Träger des Orchesters wird das Material zusammengefügt und für eine erste Übertragung am kommenden Freitag vorbereitet. An diesem Tag sollte das Ensemble eigentlich in Gevelsberg spielen. Doch auch die Wochenend-Konzerte in Wiesbaden und Aschaffenburg fallen aus. Deshalb wird nun im Netz musiziert.

«Natürlich hoffen wir alle, dass die nächsten geplanten gemeinsamen Probenphasen und Konzertreisen in diesem Jahr stattfinden können», sagte Brigitte Baldes, die das Orchester betreut. Bis dahin blieben die Mitglieder per Social Media auch probentechnisch verknüpft. Für die aktuelle Tournee habe man beim Komponisten Dietrich Zöllner das Stück «Poco Insanimus» («Ein bisschen verrückt») in Auftrag gegeben: «Ein bisschen verrückt und kreativ zu sein, helfe vielleicht auch in Krisenzeiten, für das Musizieren neue Möglichkeiten zu entdecken.»

Nicht nur in Deutschland wird das Internet zum neuen Konzertsaal. In New York haben Musiker für diesen Freitag ein 24-Stunden-Konzert online angekündigt. Der Cellist und Dresdner Festspielintendant Jan Vogler hat Kolleginnen und Kolleginnen in seiner zweiten Heimat New York motiviert, zu Hause zu den Instrumenten zu greifen, um eine «musikalische Botschaft des Mutes, des Mitgefühls, der Freundschaft, der Hoffnung und der Liebe» in die ganze Welt zu senden.

Hentrich hält ein solches Engagement in Krisenzeiten für notwendig. Als der Flüchtlingsstrom 2015 auf dem Höhepunkt anlangte, spielte er mit dem Philharmonischen Kammerorchester Dresden in einem Dresdner Flüchtlingscamp, versuchte den Bewohnern dort mit Werken von Mozart und Vivaldi eine Freude zu bereiten und Flüchtlinge mit europäischer Musik vertraut zu machen. Danach konnte er in viele dankbare Gesichter schauen: «Es geht mir in solchen Momenten immer auch darum, etwas von dem zurückzugeben, was ich selbst bekommen habe.»

Seit ein paar Tagen ist der 54-jährige wie alle Musiker der Dresdner Philharmonie zur «Heimarbeit» verpflichtet - für einen Künstler nicht ganz ungewohnt. Denn geübt wird auch immer im häuslichen Umfeld, bevor man sich mit den Kollegen zu Orchesterproben trifft. «Man hat jetzt mehr Zeit für eine Tätigkeit, die ohnehin von einem verlangt wird, die aber manchmal auch zu kurz kommt», sagt der Geiger. Jeder müsse sich nun in den eigenen vier Wänden fit halten.

Hentrich hofft darauf, dass die Zwangspause nur nicht zu lange dauert. «Schließlich sind wir Orchestermusiker und keine Solisten. Das Orchester ist eine Gemeinschaft und funktioniert nur zusammen.» Doch Hentrichs Gedanken schweifen über das Schicksal der Dresdner Philharmonie und der Deutschen Streicherphilharmonie hinaus. Ihm geht es auch um jene Künstler und deren Umfeld - Agenturen, Techniker und Kleinkunstbühnen - die als Freie ihre Brötchen verdienen und denen für Ostern und darüber hinaus Engagements verloren gehen.

Deshalb gibt es jetzt überall Initiativen, die die freie Szene oder auch kleine Agenturen unterstützen, damit sie die Zwangspause im Musikbetrieb überstehen. Eine solche Solidarität ist jetzt in allen Bereichen der Gesellschaft gefragt. Hentrich ist überzeugt, dass die Krise das Land verändern wird - vielleicht sogar zum Guten. «Dieses erzwungene Innehalten mag auch eine Chance sein», sagt der Musiker.

Das Virus zeige, wie verletzlich die Menschheit ist und dass der Gedanke eines grenzenlosen Wachstums die Probleme nicht lösen wird, sagt Hentrich. «Der Fortschrittsgedanke wird auf eine harte Probe gestellt. Es ist gerade so, als würden wir gezwungen, jetzt einen halben Schritt zurückzugehen, um nachzudenken.» Vorerst sei das Gebot der Stunde aber Mitgefühl, Hilfe und Solidarität für jene Menschen, die sich infiziert haben und von denen viele mit dem Leben ringen: «Auch denen wollen wird mit Musik Lebensmut machen.»

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