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Theo Geißler. Gemälde von Anneliese von Markreither. Foto: Theo Geißler

Theo Geißler. Gemälde von Anneliese von Markreither. Foto: Theo Geißler

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Theos Kurz-Schluss: Wie ich einmal auf die wahre Geschichte der Verwertung des Gaza-Streifens stieß

Vorspann / Teaser

Das deutsche Gesundheitswesen ist bekanntlich in einem ähnlich desaströsen Zustand wie die Bundesbahn. Ab einem bestimmten Alter zahlen auf ministerielles Spar-Diktat neuerdings die gesetzlichen Krankenkassen gewisse Leistungen nicht mehr. Teure Medikamente, Prothesen, Herzschrittmacher, röntgentechnische oder magnetresonante Untersuchungen. Geschäftstüchtig im Verhältnis zu unseren Öffentlich-Rechtlichen hat sich das neue Berlusconi-TV (einst SAT1 und Pro7) daraufhin etwas wirklich Pfiffiges ausgedacht: ein Quiz für Ü-Sixties mit Preisen aus den teuersten Segmenten der Prothetik und der Diagnostik. Weil es für Teilnehmer auch ein kaltes Buffet gab, bewarb ich mich und – schockschwere Not – gewann ein Luxus-Ganzkörper-Computer-Tomogramm. Warum nicht – dachte ich mir. Da zahlt ein „Privater“ gut zwölftausend. Also checkte ich nach etlichen Piksen und Puksen ein. Die Edel-Ausführung des Compis war keine öde helle Röhre mehr wie früher. Vielmehr konnte man sich die Zeit dank eines Netzhaut-Projektors verkürzen. Natürlich gab es lauter Werbekram für Wundervitamine und Krampfader-Verstecker. Ich wählte einen Info-Streifen über die tollen Investitionsmöglichkeiten in das Unterhaltungsprogramm des restaurierten Gaza-Streifens …

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„Donald Trump hatte es vorausgesehen: Die letzten Palästinenser waren in die Taiga umgesiedelt. Jetzt erlebte die Gaza-Zone mit dem Segen und unter finanzieller Beteiligung Benjamin Netanjahus ihre Wiederauferstehung. Nach Jahrzehnten der Zerstörung beschloss eine unerwartete Allianz aus USA, der wiedererstandenen Sowjetunion und den immer noch mit Rohstoffen reich gesegneten Golfstaaten ihre alten Zwistigkeiten hinter sich zu lassen. Der eigentlich optimal gelegene Küstenstreifen wurde in eine prunkvolle Strandlandschaft verwandelt.

Während die USA modernste Technologien, hochintelligente Infrastruktur-Projekte, mehrere geschmackvoll gestaltete Trump-Tower und die Eleganz einer Big City à la Bronx beisteuerten, „spendierte“ Ex-Russland mit viel litauischer Intelligenz und polnischem Knowhow robuste Baukonzepte und eine sichere Energieversorgung aus ehemals deutschen und französischen Atomkraftwerken. Die Golfstaaten lieferten Kapital, das bekannte orientalisch-arabische Luxusfeeling und die Extravaganz ihrer Fußballstadien.

Glasverkleidete Wohntürme demonstrierten nicht nur die Solidität unermesslichen Reichtums. Aus Skandinavien importierte Pflanz-Sklaven versahen Fassaden mit atmendem Klettergewächs. Unter dem Schatten genmodifizierter Eichen schwebten Plattformen, die zu den allgegenwärtigen Shopping- und Entertainment-Places glitten. Weich leuchtende Energiekuppeln legten einen samtenen sternenähnlichen Schleier über die Habitate. Marktplätze wurden – je nach Marketing-Invest – mit den Gerüchen potenter Länder besprüht – vom italienischen Trüffel bis zum türkischen Kreuzkümmel. Dank holografischer Projektionen konnte man sich in kostbarste Stoffe kleiden, teuerste Quadrokopter testen.

Im Schatten der monströsen Stadien konnten Touristen in hyperrealistischen Virtual-Reality-Landschaften gegen künstliche Horror-Intelligenzen fighten. Sturz in die Depression mit anschließender langer Euphorie-Phase inbegriffen. Immer wieder erhoben sich durchsichtige Kuppeln mit den unterschiedlichsten klimatischen Verhältnissen in den Himmel. Neben der Himalaya-Schneelandschaft wucherte der tropische Regenwald, eine Etage drüber die mächtige Mars-Station. Miet-Lodges, buchbare virtuelle Yachten oder Raumschiffe, ein Hotel-Ambiente, dessen Windows nicht nur Fernsicht boten, sondern sich in gigantische Projektionsflächen verwandeln ließen – morgens Saturnringe, mittags Korallenriff, abends Venus – was braucht das Weltenbummler-Herz mehr.

Der einst von Not, Unwissenheit und Armut gequälte Küstenstreifen verwandelte sich in quirlige Oasen, pompöse Boulevards, gesäumt von Palmen, Pavillons und auch chemisch geförderter Fröhlichkeit. Es roch nach exklusiven Parfums, Shishas und frisch gebrühten Tees aller Art. Zunächst schien der Wiederaufbau der Gaza-Zone wie ein humanes Experiment: ein Symbol für die Verschmelzung von Ideologien. Musterbeispiel für die Transformation einer konfliktzerfressenen Region in ein gesättigtes Zentrum des Everything goes, American way of life, gepaart mit dem rassigen Vergnügen von Kamelrennen, dem Klacken der Roulette-Kugeln. Ein Lido fürs Leben, ein Zentrum des Überflusses, aber auch der Sorglosigkeit. Sinnlichkeit, rauschende Nächte, architektonische Wunderwerke, in deren Fassaden sich Prunk und Lebenslust widerspiegelten.

Natürlich bedarf ein derartiges Paradies eines maximalen Schutzes seiner Bürgerinnen und Bürger. So ruhte der ganze Landstrich auf einem unsichtbaren Kontroll-Netzwerk. Nano-Drohnen im Streichholzkopf-Format beobachteten und katalogisierten jeden Besucher ganztags, ganznachts. Gesteuert und ausgewertet wurden die Myriaden dieser kleinen „Polizisten“ von einer künstlichen Intelligenz namens Neo-Mossad. Sie waren hocheffektiv, bakteriologisch bewaffnet und wirklich nützlich.

Denn immer wieder entzogen sich vor allem linke Spinner, Geisteskranke und unverbesserliche Trump-Kritiker in Undank oder Unvernunft der Gaza-Idealwelt. Ihnen blieb ein kümmerliches Dasein im verkarsteten, vermüllten Untergrund. Die mit Restintelligenz Gesegneten versuchten ein paar Schekel zu verdienen: Reinigung der Arenen, Warten der Algorithmen in den Serverhallen, Erweiterungsgrabungen. Dabei stießen sie auch immer wieder auf Knochen, im Glücksfall ganze Zwergengerippe oder löchrige Schädel. Die kauften ihnen Schmuckhändler ab, weil die meisten Touristen wiederum rattenscharf auf solche Souvenirs waren – und je nach Erhaltungszustand üppig löhnten …“.

Sollte ich noch einmal die Chance bekommen, werde ich mich – aus Gründen mangelnder Investitionsmillionen – doch lieber für die Krampfader-Verstecker entscheiden. Vielleicht hilft’s!

Theo Geißler ist Herausgeber von Politik & Kultur