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Dunkles Bühnenbild: Eingerahmt von den Felsen eines Steinbruchs zieren viele statische Wellen das Bühnenbild. Inmitten des Meeres in weiß eine Frau. Zu beiden Seiten des Ufers jeweils ein Mann.

Mittendrin im Meer der Gefühle und zwischen zwei Männern, die um ihre Liebe buhlen: Seefahrertochter Senta. Foto: Oper im Steinbruch

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Zerfetzte Seelen – „Der fliegende Holländer“ an der Oper im Steinbruch bietet ein monumentales Spektakel mit intensiven Nahaufnahmen

Vorspann / Teaser

Seine Verdammnis ist das ewige Leben. Ist die Unrast, das Getriebensein. Ohne Heimat, ohne einen Ankerpunkt – weder an einem Ort noch bei einem Menschen. Er hat das Schicksal herausgefordert, mit allen Konsequenzen. Und doch hat der Holländer immer noch Hoffnung. Sieben Jahre „fliegt“ er über die Weltmeere, um vielleicht endlich, endlich diesen einen Hafen zu finden, der Erlösung verheißt, die eine Frau, deren Treue sein Schicksal wenden könnte.

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Ihre Sehnsucht ist der „bleiche Mann“, von der die alte Mär erzählt. Senta hat sich verliebt in die Idee, dass sie diese einzig Rettende wäre. Sie hat ein Zuhause, aber sie träumt sich fort. Nicht hoch genug kann sie steigen, will den Horizont sehen und darüber weit hinaus. Ein Schiff wird kommen, eine Verheißung auf ein Mehr, auf ein Anderes, auf das ganz große Glück.

Wie von unsichtbaren Fäden gezogen, steuern Senta und der Holländer aufeinander zu. Seelenverwandt, wie zwei Puzzleteile, die zueinander passen, wie ein Bild, das vollkommen nur wird, wenn zwei sich vereinen: „Wie aus der Ferne, längst vergang’ner Zeiten“ ... Trotzdem ist das Ende nicht glücklich, sondern tragisch. Der Holländer zweifelt an Sentas ungeteilter Zuwendung. Er irrt, denn die Herzensfrau stürzt sich tatsächlich in die totale Selbstaufgabe. Gerettet er, verloren, ach verloren sie.

Diese Geschichte von Sehnsucht, Liebe, Abenteuer erzählt in diesem Sommer die Oper im Steinbruch im burgenländischen St. Margarethen. Vor den hohen Wänden des in die Erde geschlagenen Kraters spielt Richard Wagners (1813–1883) romantische Oper „Der fliegende Holländer“. In der Tiefe schlagen die Wellen hoch: jene der imposanten Kulisse und jene inneren Wogen. Still ruht diese See nie!

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Das Felsenrund eines Steinbruchs. Sein Boden säumen schäumende Wellen. Oben auf den Felsen ein Leuchtturm und kleine skandinavisch-bunte Hütten.

Momme Hinrichs opulentes Bühnenbild im Steinbruch. Foto: Oper im Steinbruch/weareagiving

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Philipp M. Krenn hat den musiktheatralen „Wiedergänger“ für das Open-Air-Setting eindrucksvoll inszeniert. Es ist ihm – im Verein mit Bühnenbildner Momme Hinrichs und Kostümbildnerin Eva Dessecker und vielen weiteren Gewerken (Sound, Licht, Video ...) – gelungen, sowohl ein spektakuläres Panorama zu malen als auch feinste Strukturen zu zeichnen. So öffnet sich im zweiten Akt der Blick in Sentas Welt. Die Wände des bunt gestrichenen Holzhauses im Fischerdorf Sandwike geben frei, was verborgen war: eine weibliche Betriebsamkeit, die sich speist aus der Notwendigkeit, tätig zu sein, um das Dasein zu sichern. Die Frauen spinnen und weben, sie singen („Summ und brumm, du gutes Rädchen“) und lachen und halten sich bereit für die erwartete Ankunft der hinausgefahrenen Männer. Senta freilich passt nicht hinein in diese blütenweiße Szenerie. Rot ist ihr Kleid, so rot wie die zerfetzten Segel des Geisterschiffs, so rot wie der Mantel des Holländers, rot wie die Liebe, rot wie der Tod.

Sentas Zerrissenheit spiegelt sich in der Nahaufnahme. Denn in der Mitte der Geschichte projiziert eine Kamera das Geschehen im Inneren (des Raums, der Seele) nostalgisch flimmernd auf den Hintergrund aus Fels. Ein toller inszenatorischer Einfall!

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Haushohe Wellen mit Gischt, dazwischen mit roten zerfetzten Segeln ein Dreimaster vor dem dunklen Nachthimmel.

Das quasi lebensgroße Schiff des Holländers auf seinem verfluchten Kurs. Foto: Oper im Steinbruch

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Natürlich aber gehört die ganz große Emotion ins Fach der Musik. Ein herausragendes Ensemble stellt solistisch das Wohl und das Wehe der sechs Charaktere dar. Bei der Premiere gibt der MET-erfahrene Bariton George Gagnidze ein starkes Rollendebüt als Holländer; er lässt erschauern und mitfühlen zugleich, hat Stimme und Statur und selbst auf die Distanz (die Publikumsränge im Steinbruch gehen weit hinauf) eine beeindruckende Präsenz. Dass Wagners Senta ihre Paraderolle ist, zeigt Bayreuth-Sängerin Elisabeth Teige auch im österreichischen Osten – und doch singt die Sopranistin ihre Partie mit einer hinreißenden Offenheit im Augenblick. Liang Li gibt Sentas Vater Daland als einen liebenden, aber auch kalkulierenden Menschen. Wunderschön sind die Tenor-Arien von AJ Glueckert; als grundguter Erik („Mein Herz, voll Treue bis zum Sterben“) bildet er den, wenn auch verzweifelten, ruhigen Gegenpol zum Holländer und all dessen Gespenstern.

Jinxu Xiahou (Steuermann) und Roxana Constantinescu (Mary) machten das solistische Sextett komplett, das im Verbund mit einem großartig agierenden Chor (dem Philharmonia Chor Wien) agiert. Auf dem Punkt und mit erstklassigem Gespür für sämtliche Nuancen dieses hochdramatischen Romantik-Klassikers: das Piedra Festivalorchester, das aus dem Off eines eigens erbauten Orchesterhauses aufspielte. Die musikalische Leitung bei diesem musikalischen Mammutprojekt hat Patrick Lange; er hat einen Gutteil des lang anhaltenden Premierenapplauses unbedingt verdient.

Bis zum 23. August 2025 folgt eine Vielzahl weiterer Aufführungen des „fliegenden Holländers“ in St. Margarethen. Ein „Fantasy-Liebesdrama“ nennt es Daniel Serafin, der Intendant der Oper im Steinbruch, die mit dieser vergleichsweise kurzen Wagner-Oper einen auch niederschwelligen Zugang zu diesem Genre schaffen möchte. Wunderbar, dass das gelingt – künstlerisch anspruchsvoll, bühnentechnisch effektvoll und vieldeutbar zugleich. Es steht ein Leuchtturm im Burgenland ... wundervoll!

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