Seit 2008 ist Ekkehard Hessenbruch 2. Vizepräsident des Deutschen Tonkünstlerverbandes und widmet sich hier insbesondere den Problemen freiberuflicher Musikpädagogen. Der vielseitige Musiker konzertiert als Solist und Kammermusiker mit dem Süddeutschen Streichoktett, den Engelberger KammerCellisten und dem Hernàdi-Klaviertrio auf der ganzen Welt. 1987 gründete er die Freie Musikschule Engelberg, aus der zahlreiche Preisträger von nationalen und internationalen Wettbewerben hervorgingen. Er ist Gründungsvorstand des Förderkreises Privater Musikschulen in Baden-Württemberg und Projektbeirat für den Wettbewerb „Jugend musiziert“ im Deutschen Musikrat. Franzpeter Messmer sprach mit Ekkehard Hessenbruch über seine Arbeit für den DTKV.
Franzpeter Messmer: Sie haben vor fast 25 Jahren die Freie Musikschule Engelberg gegründet. Wie kann nach Ihren Erfahrungen eine Freie Musikschule im Umfeld mit öffentlich-kommunalen Musikschulen und anderen Anbietern erfolgreich geführt werden?
Ekkehard Hessenbruch: Der Erfolg hängt bei allen Musikschulen und freien Anbietern, ob staatlich gefördert oder nicht, in erster Linie davon ab, was sie anzubieten haben. Wir Musiker unterliegen da auch den Gesetzen von Angebot und Nachfrage. Es findet meist ganz von selbst eine Profilschärfung zwischen den Anbietern statt und jeder konzentriert sich auf seine Stärken. So können zwischen scheinbaren Konkurrenten über Jahre eine produktive Koexistenz und ein Austausch entstehen. In manchen Fällen hat das zu recht erfolgreichen Kooperationen geführt, wie etwa den landkreisübergreifenden „Musik-aktiv“-Kammermusikkursen in der Region meiner Schule, die alle privaten und öffentlich-kommunalen Ausbildungsstätten unseres Landkreises zusammengeführt haben.
Messmer: Im Präsidium des DTKV beschäftigen Sie sich mit den Problemen der freiberuflichen Musikpädagogen. Lassen sich Ihre eigenen Erfahrungen als freiberuflicher Musikpädagoge in Baden-Württemberg übertragen auf andere Bundesländer, oder gibt es länderspezifische Unterschiede?
Hessenbruch: Es gibt natürlich große Unterschiede. Die finanziellen Möglichkeiten der potentiellen Klientel musikpädagogischer Angebote sind ja nicht nur von Bundesland zu Bundesland, sondern noch mehr von Standort zu Standort sehr verschieden. Die Nachfrage nach qualifizierten Angeboten ist zudem stark abhängig vom Bildungsniveau und die Rahmenbedingungen der einzelnen Kommunen im Bereich der (auch für freie Träger zugänglichen) Jugendförderungen sind ganz unterschiedlich. Und nicht zuletzt ist Bildung Ländersache. Pauschale Hilfestellungen seitens des Präsidiums sind daher nur sehr begrenzt möglich und wir sind da, wo wir aktiv werden, sehr auf die Vorarbeit der Kolleginnen und Kollegen vor Ort angewiesen. Es geht also nicht darum, Erfahrungen von hier nach dort zu übertragen, sondern diese von überall zu einem Erfahrungsaustausch zusammenzuführen und daraus individuelle Strategien für den jeweiligen Standort zu finden.
Selbstvermarktung, lokalpolitisches Engagement
Messmer: Wie haben sich die Arbeitsbedingungen der Musikpädagogen im letzten Jahrzehnt verändert? Beispielsweise gibt es immer weniger Festanstellungen: Was bedeutet das für den Einzelnen?
Hessenbruch: Die Zeit der finanziellen Füllhörner, die über blühenden Landschaften ausgeschüttet wurden, ist vorbei. Und so nimmt auch die Zahl der festen Beschäftigungsverhältnisse ab. Immer mehr Musiker-Existenzen gründen sich auf einem Patchwork-Berufsbild, zusammengesetzt aus Teildeputaten an verschiedenen Institutionen und freiberuflicher Tätigkeit. Das fordert vom Einzelnen nicht nur mehr Einsatz, mehr Flexibilität und ständige Fort- und Weiterbildung, sondern auch die Fähigkeit der Selbstvermarktung und eine gehörige Portion kaufmännischen Geschicks und lokalpolitischen Engagements. Der DTKV gewinnt hier als Partner junger Berufseinsteiger zunehmend an Bedeutung. In der von uns mitveranstalteten Seminarreihe „Arbeitsfeld Musik“ der Bundesakademie in Trossingen versuchen wir zum Beispiel, mit einem Seminarblock „Kompetenzen – Strategien – Impulse“ darauf zu reagieren.
Messmer: Freie Musikpädagogen beklagen oft eine Chancenungleichheit mit öffentlich-kommunalen Musikschulen. Welche Lösungsansätze gibt es?
Hessenbruch: Natürlich hat zunächst der Anbieter die besseren Chancen, dessen Angebot sich auf das Polster einer institutionellen Förderung stützen kann. Aber damit sind auch Auflagen und Pflichten verbunden, denen sich derjenige, der sich im Zuge der oben erwähnten Profilschärfung in einem speziellen Marktsegment etabliert hat, nicht ohne Abstriche an seinem Anspruch unterwerfen könnte. Solange also mit der institutionellen Förderung verlässliche Breitenarbeit gefördert wird, halte ich das auch weiterhin für sinnvoll. Anders ist es mit Begabten- und Einzelförderungen. Hier müssen wir uns für eine Differenzierung der Fördersystematik einsetzen, die zum Ziel hat, dass der zu fördernde Jugendliche und nicht Institutionen im Mittelpunkt stehen. Chancenungleichheit tritt aber vor allem auch da auf, wo die öffentlich-kommunalen Schulen einfach näher an ihrer Kommune dran sind. Zum Beispiel bei der Nutzung kommunaler Veranstaltungsräume oder der Mitwirkung bei kommunalen Projekten. Hier müssen wir uns als Berufsverband verstärkt dafür einsetzen, dass freiberufliche Kolleginnen und Kollegen, die über die entsprechende Qualifikation und das entsprechende Angebot verfügen, auf allen Ebenen als gleichberechtigte Bildungspartner anerkannt werden. Viele Kommunen haben, unabhängig von der Förderung ihrer kommunalen Musikschulen, Jugendförderprogramme, die nicht nur Fördergelder, sondern auch kostenlose Nutzung öffentlicher Veranstaltungsräume usw. beinhalten. Förderungen, die zum Beispiel meiner privaten Schule seit über zwei Jahrzehnten als gleichberechtigtem Bildungspartner der Region zukommen.
Messmer: Welche Schwierigkeiten bestehen für selbstständige Musikpädagogen, um einen Zugang zu öffentlich geförderten Projekten zu erhalten?
Hessenbruch: Öffentlich geförderte Projekte entstehen naturgemäß immer da, wo man sich für sie politisch einsetzt. Ein Einsatz, der viel Zeit und Kraft kostet. Ressourcen, die sowohl die freien Musikpädagogen als auch die (ehrenamtlich tätigen) Funktionäre ihres Berufsverbandes voll für ihren eigentlichen Beruf benötigen. Wen wundert es da, wenn Verbände und Institutionen, die durch institutionelle Fördermittel in der Lage sind, Fachleute für diese Aufgaben freizustellen, bei solchen Projekten federführend sind? Die Schwierigkeiten selbstständiger Musikpädagogen beim Zugang zu öffentlich geförderten Projekten haben also ihren Ursprung häufig darin, dass ihre „Lobby“ bei der Planung nicht mit am Tisch sitzt. Es zeigt sich jedoch zunehmend, dass viele solcher Projekte personell auf selbstständige Musikpädagogen angewiesen sind. Deshalb hat ein Großteil unseres aktuellen Engagements damit zu tun, dass unser Verband in Zukunft nicht nur reagiert, sondern immer mehr mitgestaltet.
Der zu fördernde Jugendliche muss im Mittelpunkt stehen
Messmer: Wie müssen Fördersysteme geändert werden, damit auch freiberufliche Musikpädagogen hier eine Chance haben?
Hessenbruch: Die Fördersystematik muss, wie oben angesprochen, differenzierter werden. Eine solche Differenzierung darf aber auf keinen Fall zulasten bewährter Strukturen gehen. Dennoch gilt: Je mehr ein Fördersystem die zu fördernden Jugendlichen zu den Adressaten seiner Mittel macht, umso gezielter und leistungsorientierter können diese ihren Förderanspruch wahrnehmen. So entsteht ein gesunder Wettbewerb, in dem sich die selbstständigen Musikpädagogen entsprechend ihrer Qualifikation chancengleich behaupten können und der in Zeiten knapper Finanzen eine gezielte und effiziente Mittelverwendung gewährleistet. Sinnvoll und zum Wohle aller kann eine solche, angesichts der wachsenden Zahl selbstständiger Musikpädagogen unausweichliche Entwicklung allerdings nur im engen Schulterschluss der dafür zuständigen Spitzenverbände geschehen. Gelingt dieser Schulterschluss nicht, besteht die Gefahr, dass eine Polarisierung zwischen geförderten und nicht geförderten Anbietern von der Politik zu weiteren finanziellen Kahlschlägen genutzt wird.
„Jugend musiziert“: mehr Transparenz
Messmer: Einen wichtigen Akzent setzen Sie bei Ihrer Arbeit im Präsidium auf „Jugend musiziert“. Was muss getan werden, um Schüler von freiberuflichen Musikpädagogen in „Jugend musiziert“ zu dem ihrem Können entsprechenden Erfolg zu verhelfen? Gibt es Probleme, dass Schüler von freiberuflichen Lehrern anders als die von Musikschulen beurteilt werden?
Hessenbruch: Ich habe solche Probleme nicht feststellen können, weder als Lehrer noch als Juror der drei Wettbewerbsebenen. Dennoch liegen uns im „JuMu“-Projektbeirat jedes Jahr zahlreiche Beschwerden von Eltern und Lehrern vor, die eben das unterstellen. Zutreffend oder nicht kann dem nur mit noch mehr Transparenz begegnet werden. Diese wird erreicht, wenn bundesweit wieder alle „Jugend musiziert“-Regional- und Landesausschüsse mit Vertretern aller zuständigen Verbände besetzt werden und diese dort für eine ausgewogene Juryzusammenstellung sorgen.
Messmer: Sie haben das Ziel, diese vollständige Besetzung für den DTKV bis zur „JuMu“-50-Jahr-Feier 2013 abzuschließen und dies auf einem DTKV-Organigramm den Mitgliedern zu präsentieren.
Hessenbruch: Ja, bei unserer letzten Bundesdelegiertenversammlung habe ich die DTKV-Landesvorstände hierzu aufgerufen. In Baden-Württemberg ist die vollständige Nachbesetzung bereits abgeschlossen. Auf dem erwähnten Organigramm unserer Bundesseite können die Mitglieder dann gezielt ihren DTKV-Vertreter des jeweiligen Landes- oder Regionalausschusses samt Kontaktdaten finden. Die „JuMu“-50-Jahr-Feier ist ein schönes Datum, dies zu präsentieren. Waren es doch der DTKV und die Jeunesses musicales, die den Wettbewerb „Jugend musiziert“ im Auftrag des DMR 1963 ins Leben riefen.
JeKi: zumutbare Rahmenbedingungen
Messmer: Ein weiterer Schwerpunkt Ihrer Arbeit ist JeKi. Was bedeutet JeKi für freiberufliche Musikpädagogen: Ist das eine Chance oder eine Gefahr?
Hessenbruch: Beides. Dass JeKi einer breiten Basis das instrumentale Musizieren ermöglicht, ist sicher eine große Chance. Die musikalische Qualität, die finanzielle Absicherung, die Nachhaltigkeit und der Status der Lehrkräfte bergen aber Probleme, die ja inzwischen auch heftig diskutiert werden.
Messmer: Was muss bei JeKi unternommen werden, damit auch freiberufliche Musikpädagogen davon profitieren?
Hessenbruch: In erster Linie sollen ja wohl die Kinder von JeKi profitieren. Für die freiberuflichen Musikpädagogen, die ja längst mit einbezogen sind, geht es aber nach wie vor um zumutbare Rahmenbedingungen. In NRW haben wir hierzu mit der JeKi-Stiftung 2009 einen Kooperationsvertrag geschlossen, in Hamburg fand im März und in Niedersachsen im Juni dieses Jahres ein erstes Sondierungsgespräch mit den JeKi-Projektleitern beziehungsweise -Zuständigen statt. Und in NRW und Hamburg sitzen inzwischen DTKV-Vertreter in den JeKi-Gremien. Vor diesem Hintergrund bieten wir allen DTKV-Mitgliedern unsere Unterstützung bei Abschluss eines JeKi-Arbeitsvertrages an. Bei JeKi-ähnlichen Projekten in anderen Bundesländern beabsichtigen wir, ebenso zum Partner zu werden.
G8: dringender Handlungsbedarf
Messmer: G8 und Ganztagsschule sind ein großes Problem für die Musikausbildung Jugendlicher. Welche Erfahrungen haben Sie an Ihrer Musikschule?
Hessenbruch: Bezogen auf die gesamte Schülerschaft macht sich die zugenommene schulische Belastung deutlich bemerkbar, und da besteht u
dringender Handlungsbedarf. Bei den besonders Begabten stellen wir allerdings erstaunt fest, dass sie mit ihrem Zeitbudget immer noch irgendwie klar kommen, was auch die weiter wachsende Zahl der „Jugend musiziert“-Teilnehmer bestätigt. Sicher sind diese Jugendlichen einfach in allem etwas schneller. Es darf aber auch vermutet werden, dass die statistisch ermittelten zweieinhalb Stunden durchschnittlicher täglicher Internetpräsenz heutiger Jugendlicher bei den besonders engagierten Instrumentalschülern nicht so durchschlägt, weil es bei ihnen gelungen ist, sie mehr fürs Instrument zu begeistern.
Messmer: Was kann der DTKV unternehmen, um hier auf die Kulturpolitik einzuwirken?
Hessenbruch: Bildung ist Länderhoheit, also sind hier die Landesverbände gefragt. Der Bundesverband kann nur einen länderübergreifenden Gedankenaustausch koordinieren. Ich selbst werde mich zu diesem Thema in Zukunft in einem Arbeitskreis des LMR-BW engagieren und unseren Landesverband dort entsprechend vertreten. Diskussionsgrundlage könnte hier das Modell der Intensivierungs- und Projektstunden an bayerischen Gymnasien sein. Zeitfenster, die zum Teil mit außerschulischen Aktivitäten etwa in Sport oder Musik belegt werden können.
Thema Bildungscard
Messmer: Die Bildungscard der Bundesregierung ermöglicht erstmals für Jugendliche armer Eltern einen Zugang zu Kultur und Sport. Allerdings reicht der Betrag von zehn Euro/Monat in keiner Weise, um qualitativ guten Musikunterricht zu bezahlen. Wie beurteilen Sie die Bildungscard und was muss geschehen, um sie zu einem wirklich sinnvollen Instrument zu machen?
Hessenbruch: Die Bildungscard in der vorliegenden Form wird in unserem Bereich keine wesentliche Rolle spielen, wie allgemein bisher. Bis Ende April wurde gerade mal für zwei Prozent der 2,5 Millionen anspruchsberechtigten Kinder überhaupt ein Antrag gestellt! Und davon wird, wenn überhaupt, nur ein verschwindend kleiner Teil das für Sport oder Musik vorgesehene Budget im Bereich einer musikalischen Ausbildung nutzen. Echte kulturelle Teilhabe unabhängig vom Geldbeutel bedarf also insgesamt verbesserter Rahmenbedingungen, die nur Bund, Länder und Kommunen zusammen erreichen können. Das Thema Gutscheine als gerechteres Fördersystem ist ja nicht neu. Jetzt wird es wenigstens mal in die Tat umgesetzt, auch, wenn es bisher noch nicht viel mehr als ein verfassungsgerichtlich verordnetes politisches Feigenblatt ist. Im Sinn der oben angesprochenen Differenzierung von Fördersystemen jedoch werden wir das Thema aufmerksam und konstruktiv begleiten.