Mutige Wahl, ein Podiumsgespräch zur akademischen Jazzausbildung mit Cole Porters Songtitel „So Near But Yet So Far“ anzukündigen. Es geht auf der jazzahead! denn auch vor allem um das noch nicht Erreichte beim Austausch zwischen vier Musiker:innen in verantwortlicher Position an Jazzabteilungen: Ed Partyka, der Theorie und Komposition in Graz unterrichtet – hier als Moderator prädestiniert, weil seit Jahresanfang Executive Director der International Association of Schools of Jazz (IASJ); die dänische Bassistin und Leiterin des Jazzdepartments in Osnabrück Anne Mette Iversen; Saxophonist Bart Suèr, Leiter der Jazzabteilung am Royal Conservatory in Den Haag; sowie die Sängerin Efrat Alony, Professorin in Linz.
Jazz: Kluft zwischen Ausbildung und Berufsleben
Grundsätzlich ist man sich einig, dass die Hochschulen in jazzmusikalischer Hinsicht ganz gut aufgestellt sind, sie aber schwächeln, wenn es um die Vorbereitung von Studenten auf die Berufspraxis als Jazzmusiker geht. Dies hat nicht zuletzt damit zu tun, dass die Curricula vor allem bei den Gründungen ab Mitte der 1960er Jahre stark an der Klassik-Ausbildung orientiert waren. Auch sonst wollte man im Vergleich seine Hochschultauglichkeit betonen: Ihr habt eure Sinfonieorchester, wir haben unsere Bigbands; ihr habt Bach und Beethoven, wir haben die Standards des Great American Songbook. Graz (1964 die früheste Gründung) hat noch heute einen Ruf als „The Bebop School“, wie Ed Partyka kritisch anmerkt: „Bei uns geht es mit Neuerungen zu langsam voran.“
Efrat Eloni macht zudem auf ein bildungspolitisches Problem aufmerksam: „Es gibt von staatlicher Seite akademische Erwartungen, die dem flexiblen Charakter der Jazzpraxis zuwiderlaufen.“ Bart Suèr ergänzt, dass auch international immer größerer Wert auf die akademische Forschung gelegt wird: „Man will ‚richtige Akademiker‘ ausbilden – Professoren, statt nur Player. Die Studenten müssen viele schriftliche Arbeiten abliefern. Ich verstehe, dass so mehr Selbstreflexion erreicht werden kann, aber es sollte nicht auf Kosten der eigentlichen Ausbildung gehen.“
Der akademische Betrieb nimmt zu wenig Rücksicht darauf, dass sich die Jazzszene im Unterschied zur Welt der Klassik ständig ändert, neue Musikergenerationen ihre eigene aktuelle Musik schreiben und immer neuen Herausforderungen gerecht werden müssen. Ein Label für eigene CDs finden? Nicht mehr so im Vordergrund, seit man online sein eigenes Ding drehen kann. Swingende Standards covern? Dafür interessiert sich kaum ein Club und schon gar kein Festival. Weshalb manche Studenten in Frage stellen, dass sie vor allem fürs Zusammenspiel bei Sessions 30 bis 40 Jazzklassiker auswendig draufhaben sollen.
Mehr und mehr wird beim Interpretieren solcher Standards eine persönliche Stimme gefragt. Darüber hinaus geht es bei einer guten Ausbildung auch immer öfter darum, eigenes Repertoire zu entwickeln, an dem man gemeinsam mit den Dozenten arbeitet. Wobei Efrat Alony Realismus ins Spiel bringt: „Es muss und kann nicht jeder ein großartiger Komponist sein.“ Wer aber zum Beispiel in der Münchner „Unterfahrt“ Musiker mitbekommt, die am Jazzinstitut ausgebildet werden, kann schon seit Jahren eine spannende Entwicklung zu mehr Vielfalt und eigenen Wegen beobachten.
In den Haag ist man besonders zukunftsorientiert: „What Comes Next?“ fragt Bart Suèr, der selber Produzent ist und darauf Wert legt, dass man auch Wissen über die Produktion im Studio erwirbt. Mehr Fachleute aus der professionellen Arbeitswelt vom Labelchef bis zum Festivalmacher sollten einbezogen werden. Warum nicht Studenten auf die Jazzahead! schicken, wo das gesamte Business vertreten ist? „Es gibt für die Studenten so viel mehr zu lernen, als nur musikalisch gut zu sein.“ Auch die Dozierenden sollten praktizierende Musiker sein und nicht (nur) das lehren, was sie vor 20 Jahren gespielt haben. Was allerdings oft nur schwer mit den universitären Arbeitsgepflogenheiten zu vereinbaren ist. Während man auf Tour ist, können Unterricht und Meetingteilnahmen höchstens online stattfinden.
Einig ist man sich, dass die musikalische Praxis, insbesondere das Auftreten vor Publikum, mehr in den Vordergrund gerückt werden sollte. Annie Mette Iverson hat gute Erinnerungen an jene Zeit, als ihre Ausbildung in New York stattfand: „Wir haben jede Nacht in den Clubs verbracht und mehr auf jene Art gelernt, die vor der Akademisierung üblich war: Learning by Doing, Hören und Spielen, Austausch unter Musikern“. Wobei ihr eigener Standort Osnabrück solchen Ideen Grenzen setzt. Weil es in einer kleineren Stadt an Venues und Musikern mangelt, spielen die Dozenten auch als Musikmachende eine größere Rolle als anderswo: Einmal im Jahr pausiert für eine Woche die komplette Lehre. Stattdessen stehen viele Jamsessions und das praktische Zusammenspiel mit den 30 Dozenten auf dem Programm, von denen zwei in jeder Band die Sache vorantreiben. „Hier haben die Studierenden nicht das Gefühl, bewertet zu werden. Sie sollen lernen, mit der Livesituation zurecht zu kommen, die dafür nötige Energie zu entwickeln,“ so Iversen.
Nicht zuletzt liegt es aber an den Studenten selbst, ob es vorwärts geht, was Efrat Alony auf den Punkt bringt: „Allein in Deutschland gibt es 18 Hochschulen, an denen Jazz unterrichtet wird, und die endlos viele Absolventinnen produzieren. Unter denen sind manche, die meinen, alles Nötige für das Musikerleben müsste ihnen mundgerecht serviert werden. Aber so funktioniert die Welt nicht. Man muss selbst herausfinden, was man will, und dann den Mut und die Stärke haben, es konsequent zu verfolgen.“
Dass selbst Hochschulen, die auch umfassend auf das Außermusikalische vorbereiten, zu keiner grundsätzlichen Verbesserung der beruflichen Szene führen müssen, lässt eine abschließende Stellungnahme aus dem Publikum anklingen: „Machen wir ein Gedankenspiel: Wenn viele Jazzstudierende bestens für den Umgang mit der Businessrealität gerüstet wären und die Zahl der Auftrittsmöglichkeiten oder Veröffentlichungen aber gleich bliebe, würden sich die gut Präparierten auf Kosten derer durchsetzen, die nicht so kompetent agieren. Der Szene als Ganzes ginge es also nicht besser. Es gäbe die einen mit ihren Konkurrenzvorteilen – und jene, die darunter leiden, dass ihnen die ‚Ertüchtigten‘ mit ihren geschickteren Selbstdarstellungen die Jobs wegschnappen.“
Ed Partyka reagiert konsequent: „Das ist ein Aufruf, von der Politik mehr Funding zu fordern. Und mit dem Geld anders umzugehen.“ Einmal mehr bestätigt sich hier das selbstkritische Bewusstsein der im Konferenzraum der jazzahead! Diskutierenden. Efrat Alony schont Ihresgleichen nicht, wenn sie zusammenfasst: „An den Hochschulen werden die Studenten sehr kostenintensiv ausgebildet. Und dann entlässt man sie in eine immer unsicherer werdende Zukunft, statt mehr Geld für die Kulturförderung zu verwenden.“
- Share by mail
Share on