Der Hamburger Michel hat nicht nur eine, sondern gleich sechs Orgeln. Damit die immer tipptopp funktionieren, kommt ein Mann jedes Jahr aus dem Süden angereist.
Zur Mittagsandacht im Hamburger Michel sitzt Reiner Janke gern auf der Empore in der Mitte links. Dort hat er nämlich «seine» Orgeln am besten im Blick. Und im Ohr. Denn dort hört er sofort, wenn eine Pfeife verstimmt ist, ein Pedal klemmt oder eine Klappe nicht wie gewünscht schließt.
Reiner Janke ist Orgelbauer. Er repariert und wartet einmal im Jahr die Orgelanlage in Hamburgs berühmtester Kirche. «Das hier ist wirklich die schönste Baustelle Deutschlands», sagt Janke der Deutschen Presse-Agentur. Derzeit ist er für etwa eine Woche an der Elbe und sorgt wieder für den perfekten Ton im Michel.
Sechs Orgeln im Michel
Sechs Orgeln gibt es im Michel - und mit ihnen kennt sich der 65-Jährige bestens aus. Schon sein Vater war Orgelbauer. Seit fast 40 Jahren arbeitet er bei der Freiburger Orgelbaufirma Hartwig und Tilmann Späth. Deutschlandweit gibt es dem Bund Deutscher Orgelbauer zufolge rund 300 Orgelbaubetriebe, Tendenz sinkend. Zum Vergleich: In Deutschland soll es Schätzungen zufolge rund 50.000 Orgeln geben.
Und einige davon hat auch Reiner Janke mit seinen eigenen Händen mitgebaut. Dazu gehört die kleine Orgel auf der Südempore des Michels. Janke ist es auch mitzuverdanken, dass die Orgeln im Michel schon lange elektrisch und sogar zeitgleich von einem zentralen Spieltisch aus gespielt werden können. Und dass die Orgel auf dem Dachboden wieder über eine Öffnung im Kirchendach im Inneren des Michels zu hören ist.
«Ich hab' die ganze Orgel im Kopf. Alles. Jedem Draht.»
In dieser Woche aber kümmert sich Reiner Janke vor allem um das Herzstück der Orgelanlage - die große Orgel auf der Westempore über dem Hauptportal. Das Instrument aus dem Jahr 1962 hat 6.700 Pfeifen und jede einzelne hatte Janke schon in den Händen - als sie 2009 komplett überholt und mit der digitalen Elektronik ausgestattet wurde.
Das hilft ihm auch jetzt, wenn er für seine Wartungswoche in den Michel kommt. «Ich hab' die ganze Orgel im Kopf. Alles. Jeden Draht. Es ist eine der wenigen Orgeln, die ich betreue. Sie bekommt sozusagen eine Chefarzt-Behandlung.» Dafür muss er allerdings nicht jede einzelne Pfeife in die Hand nehmen, reinigen und wieder zurückstellen. Dafür würde wohl auch eine Woche gar nicht reichen.
Erst hören, dann reparieren und intonieren
Stattdessen verlässt sich Janke erstmal auf seine Ohren - und setzt sich an den Zentralspieltisch, von dem aus er alle Orgeln direkt spielen kann. «Ich habe zwar Klavier spielen gelernt, aber Orgel spielen kann ich nicht so gut. Aber für das Stimmen spiele ich einfach ein harmonisches Testprogramm», sagt Reiner Janke und lacht. Es müssen schließlich auch einmal alle Tasten drankommen.
Weniger als fünf Pfeifen muss Janke im Michel in diesem Wartungsintervall genauer prüfen und leicht nachintonieren. In der restlichen Zeit sorgen er und ein weiterer Orgelexperte dafür, dass das würdevolle Kircheninstrument optimal gestimmt ist und die Technik einwandfrei funktioniert. Manchmal muss er dafür auch kreativ werden, handwerkliche Lösungen entwickeln und um die Ecke denken. Als «kreatives Basteln» bezeichnet Janke das mit einem Schmunzeln.
Von wegen alt - viel Elektronik und Digitales in den Orgeln
Die meisten Arbeiten sind jedoch schlicht Standard-Prozeduren: Dazu gehört das Kontrollieren und Säubern von Zungenblättern und Trichtern, von Blasebälgen, Tasten, Knöpfen und Pedalen. Im Inneren der Orgel spannt Reiner Janke nicht nur Tastenzüge nach und dreht Schrauben wieder fest.
Dort steht auch der große Schaltkasten - das Herzstück der ausgeklügelten, elektronischen Technik, die das Spielen der Orgeln vom Zentraltisch aus möglich macht. Selbst die Register und damit die Klangeinstellungen für die Orgeln können deshalb einfach digital per Tastendruck eingestellt - also quasi «gezogen» werden.
Vier Tage lang hat Janke im Michel mit der Wartung stets zu tun. Dass das meist im Frühsommer gemacht wird, kommt nicht von ungefähr: «Die Temperatur in der Kirche hat Einfluss auf die Töne der Pfeifen. Und wenn die Kirche im Winter geheizt wird, kann selbst ein Grad Temperaturunterschied schon eine erhebliche Verstimmung ausmachen. Ich habe heute Morgen genau hingehört. Da war es perfekt.»
Orgeln bald über W-Lan steuern?
Sein Traum wäre, dass die Orgeln irgendwann auch über W-Lan gesteuert werden können. «Wenn Orgel populär bleiben soll, dann muss man sie auch weiter denken.» Einfach nur Orgelsound aus dem Lautsprecher? Für den Fachmann ist das natürlich keine Option: «So einen vollen Sound kann sonst keine Anlage herstellen.»
Der 65-Jährige freut sich jedes Jahr auf seine Hamburg-Woche und «seine» Orgeln im Michel und in zwei weiteren Hamburger Kirchen. «Eigentlich müsste ich mal einen Nachfolger aufbauen. Aber fünf, sechs Jahre lang werde ich das schon noch weiter machen. Es macht einfach so viel Spaß und der Michel ist eine sehr schöne Kirche. Ich genieße das jedes Mal, wenn ich hier bin.»