Der ökologische Fußabdruck von 30 Konzertminuten könnte kaum heftiger sein als bei einer Messe, bei der 40 Bands aus 23 Ländern kurze Showcase-Konzerte spielten. Wie man ihn möglichst klein hält, war in Bremen zugleich zentrales Thema von zahlreichen Diskussionen, Präsentationen und Workshops. Auf diesen Veranstaltungen in Zusammenarbeit mit dem Projektpartner „Better Live“ tauchte die jazzahead! nicht als abschreckendes Beispiel auf. Selbstzensur? Keineswegs!
Weniger Spuren beim Touren
Nirgendwo sonst können sich von Juroren ausgewählte Musiker einem aus 66 Nationen angereisten Fachpublikum präsentieren – darunter viele Veranstalter, von denen sie hoffen, gebucht zu werden. Diese wiederum können auf einen Schlag zahlreiche Entdeckungen machen, live, zum Anfassen und Ansprechen. Weil der Jazz mehr noch als Klassik oder Pop vom Austausch lebt, wäre Einschränkung der Mobilität eine fatale Begrenzung kreativer Entwicklungen, die so niemand wollen kann. Selbst die meisten Szene-Initiativen in Sachen Ökologie sind ursprünglich aus dem Bemühen entstanden, Musikern mehr Auftritte zu verschaffen – um prompt beim Problem zu landen, dass der Fußabdruck trotzdem kleiner werden soll, statt noch größer. Obwohl mittlerweile zwischen Gigs seltener geflogen wird, ist dabei das Optimieren von Touren die wichtigste Stellschraube. Eines bekommt man damit natürlich nicht in den Griff: den noch deutlich größeren CO2-Output durch das anreisende Publikum, vor allem bei Festivals.
Anreize und Erwartungen
Das von der EU geförderte Projekt „Better Live“ setzt auf „a bigger number of small events“. Lokale Action Groups sollen Grassroot-Arbeit leisten, die Auftrittsmöglichkeiten auch jenseits der etablierten Jazzspielorte erforschen und die regionalen Player vernetzen. Man arbeitet unter Beteiligung der jazzahead! an einem „Green Touring Tool“, dessen Frühstadium in Bremen von Sybille Kornitschky, der Projektleiterin der Messe, vorgestellt wurde. Basis ist die im Oktober 2023 offiziell gestartete kostenlose Open-Source-Plattform CooProg, auf der Programmverantwortliche geplante Ereignisse einstellen und so auf mögliche Kooperationen stoßen können. Die derzeit gut 1000 Projekte von mehr als 700 Partnern stammen aus dem Bereich „Theater und Performance“, so dass man Umfragen in der Jazzszene gestartet hat, wie eine optimale Adaption aussehen sollte.
Als wesentliches Hindernis für das Buchen engmaschiger gestrickter Touren, möglichst per Bahn statt Flugzeug, wird immer wieder der Anspruch von Veranstaltern genannt, Musiker zumindest in der eigenen Region exklusiv zu präsentieren. Andererseits bemühen sich ausgerechnet Festivals, an die besonders hohe Erwartungen in Sachen „Neues hören“ gestellt werden, neuerdings um Zusammenarbeit, die schließlich allen zugutekommt: den Veranstaltern durch geringere Kosten und variablere Programmgestaltung; den Musikern durch mehr Auftritte bei komfortableren Distanzen; dem Publikum durch ein vielfältigeres Angebot und letztlich auch der gesamten Umwelt.
Beim Jazzfest Berlin, einst eine Hochburg des „Nur bei uns“, agiert Nadine Deventer erstaunlich offen: „Vom Jazzfest wird besonders Spannendes erwartet. Das bedeutet schon eine Verpflichtung. Aber ich suche mir immer Kooperationspartner, für neue Projekte, die viel zu wertvoll sind, um nur einmal gezeigt zu werden, aber auch bei interkontinental anreisenden Künstlern. Und ich schaue, wer sowieso unterwegs ist, also an diversen Orten auftritt, und ins Programm passt. Sich dem zu entziehen, wäre ein Egoproblem der künstlerischen Leitung. Exklusivität bedeutet nicht, der Einzige zu sein. Für die Wertigkeit eines Programms zählt, was für ein Narrativ man kreiert.“
Von Berlin bis Köln, von Saalfelden bis Südtirol wird es zudem immer wichtiger, gebuchte Musiker länger vor Ort zu haben, sie in unterschiedlichen Kombinationen auftreten zu lassen, die sich teils erst spontan vor Ort ergeben. Nur Jazzmusikerinnen sind so flexibel. Gerade bei ihnen gilt es deshalb, dem improvisatorischen Austausch Raum zu geben. So wird auch solches “Deep Touring“ zum wichtigen Element sinnvoller Planung, nicht nur ökologisch, sondern auch als Beitrag zur Kostensenkung.
„Oft werden 45 Prozent der Gesamtkosten für Reisen, Hotels und Ähnliches verbrannt“, sagt Jakob Flarer, der als Direktor der Agentur „Saudades“ über Jahre hinweg eine Datenbank zu Veranstaltern, deren Räumlichkeiten, Gagenniveau und musikalischer Ausrichtung aufgebaut hat. Eine entsprechende App will er als Informationsquelle auch nach draußen zur Verfügung stellen: „Ich habe das dem Europe Jazz Network mehrfach vorgeschlagen. Es wurde mit Wohlwollen und Interesse aufgenommen, ist dann aber immer wieder im Sand verlaufen.“ Auch erklärte Befürworter von Zusammenarbeit kochen gelegentlich am liebsten ihr eigenes Süppchen.
- Share by mail
Share on