«Cats», «Phantom der Oper»: Andrew Lloyd Webber wird hierzulande gern mal verlacht. Doch ein Revival seiner Musicals wie «Evita» und «Jesus Christ Superstar» wirft nun ein neues Licht auf sein Werk.
Lange Zeit schien es sehr angesagt zu sein, Andrew Lloyd Webber nicht gut zu finden. Die Werke des Komponisten - und dabei wurden Unterschiede gern ignoriert - wurden als triviales Musiktheater abgetan. Doch vorbei die Zeit. Jetzt ist Webber - inzwischen 77 Jahre alt - wieder in Mode. Seine Musicals werden stylish zelebriert: von Los Angeles über New York bis London und nun auch in Berlin.
«Ich glaube, das Stück ist noch nie in diesem großen Maßstab ausgeführt worden», sagt der Regisseur Andreas Homoki in einem Teaser der Komischen Oper Berlin. Er inszeniert «Jesus Christ Superstar» mit Hunderten Mitwirkenden in einem Hangar des stillgelegten Flughafens Tempelhof (Premiere: 19.9.).
Das werde riesengroß, sagt der 65-Jährige, der die Rock-Oper nach eigenen Worten als Teenager rauf und runter hörte. «Es ist die Geschichte von Christus, die Passionsgeschichte - modern nacherzählt, eher als politische Parabel, weniger religiös. Jesus als Mensch, aber dafür umso spannender.»
Superstar Cynthia Erivo spielte Superstar-Jesus
Anfang August wurde «Jesus Christ Superstar» schon in Los Angeles gefeiert - mit «Wicked»-Star Cynthia Erivo als Jesus und Adam Lambert als Judas. Die Besetzung mit Erivo, einer queeren schwarzen Frau, als Erlöser führte zu Blasphemie-Vorwürfen. «Man kann es nicht jedem recht machen», sagte Erivo nur. Ihre Auftritte in der Freilichtbühne Hollywood Bowl wurden ein Triumph.
Ähnlich wie sein Namensgeber hat auch das Musical «Jesus Christ Superstar» aus dem Jahr 1971 eine bewegte Geschichte. Es gab mindestens vier Broadway-Produktionen sowie zahlreiche Wiederaufnahmen, Tourneen und Adaptionen des biblischen Rockmusicals von Webber und Tim Rice.
Anfang Juli erlebte auch London eine Wiederaufnahme. Sie fiel zeitlich zusammen mit einer spektakulären «Evita»-Neuinszenierung von Jamie Lloyd, der bekannt ist für avantgardistische und wenig naturalistische Aufführungen mit minimalistischen Kulissen.
Der 44-jährige Lloyd hatte da gerade erst bei den Tony Awards in New York für seine Version von Webbers «Sunset Boulevard» (Boulevard der Dämmerung) den «Best Revival of a Musical»-Preis gewonnen. Die Version des Briten war vom Londoner Westend an den Broadway gewandert.
Hauptdarstellerin Nicole Scherzinger, einst Frontfrau der Pussycat Dolls, wurde bei den Tonys im Juni für ihre Rolle als Norma Desmond als beste Schauspielerin in einem Musical ausgezeichnet.
Webber wirkt Wunder und gilt wieder als zeitgemäß
Der «Guardian» meinte über die in London wiederaufgenommenen «Supermusicals der 70er»: «Evita» und «Jesus Christ Superstar» hätten beide einen erstaunlich aktuellen Kontext in Zeiten politischen und religiösen Populismus. Sie seien sich in ihrer Struktur «bemerkenswert ähnlich».
Soll heißen: «Ein gequälter Erzähler - einmal Judas im Jahr 33 nach Christus; einmal der junge Argentinier Che Mitte des 20. Jahrhunderts - provoziert und tadelt einen Protagonisten, dem Heiligkeit zugeschrieben wird und der die politische Klasse mit einer Revolution bedroht.»
Die Londoner «Evita»-Inszenierung (war bis 7.9. im Spielplan) erregte in erster Linie deshalb Aufsehen, weil eine der wichtigsten Szenen nicht live im Theatersaal zu sehen war.
Hauptdarstellerin Rachel Zegler als argentinische First Lady Eva Perón sang «Don't Cry for Me, Argentina» auf einem Außenbalkon des Londoner Palladium-Theaters - und unterhielt dabei Passanten unten auf der Straße.
Für das viele Pfund bezahlende Publikum im Saal wurde das berühmte Lied lediglich per Video gestreamt. Webber gab zu Protokoll, diese Inszenierungsidee zu mögen, weil echtes Volk ins Spiel komme. Der Gratis-Auftritt hatte sich natürlich schnell herumgesprochen.
«Starlight Express», «Cats» und «Phantom» sind ohnehin populär
Apropos Menschenmenge: Für weite Teile der Bevölkerung in Deutschland, die insgesamt als wenig Musical-affin gilt, war Webber nie richtig out.
Das Rollschuh-Musical «Starlight Express» läuft seit 37 Jahren in Bochum und hat einen Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde als erfolgreichstes Musical an einem einzigen Standort: mehr als 19 Millionen Besucher, um die 14.000 Vorstellungen.
In Österreichs Hauptstadt Wien ist seit März 2024 eine Neuproduktion von Webbers Musical «Das Phantom der Oper» zu sehen. Die Inszenierung des britischen Theaterproduzenten Cameron Mackintosh lief vorher unter anderem in Sydney. Wegen hoher Nachfrage wurde die Schauerromantik-Show im Raimund-Theater verlängert und bleibt bis mindestens Juni 2026.
Auch «Cats» geht 2025 wieder im deutschen Sprachraum über die Bühne - in einer aufgefrischten Version vom Londoner Westend im englischen Original. Die Aufführungen des Musicals in Düsseldorf, München, Frankfurt am Main und Berlin waren gut besucht. Zürich steht noch an (bis 21. September).
Nach dem peinlichen «Cats»-Film konnte es nur bergauf gehen
Dabei war es das Schrottplatz-Musical «Cats» - wenn auch ohne direkte Schuld Webbers -, das einst das Ansehen des Hit-Autors zu einem Tiefpunkt führte.
Tom Hoopers missglückte «Cats»-Verfilmung floppte 2019 trotz Stars wie James Corden, Judi Dench, Jennifer Hudson und Taylor Swift. Doch das scheint vergessen.
In New York feierte jüngst in einem Off-Theater eine «Cats»-Neuinterpretation große Erfolge. Das Musical wird als queere Ballroom-Revue zelebriert - katzenkostümfrei. Der Hit soll nun 2026 auf Betreiben von Webber persönlich an den Broadway kommen. Webber ist einfach so lange uncool, bis er wieder cool ist.