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Digitaler Musikunterricht

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In Zeiten von Corona werden Musikschulen online aktiv
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Schon länger widmet sich der Verband deutscher Musikschulen (VdM) intensiv dem Thema Digitalisierung (s. auch Artikel in der nmz, Ausg. 10/19, S. 28). Hierzu wurde eigens eine Arbeitsgruppe gebildet, die Erfahrungen und Erkenntnisse sammelt, bündelt und daraus eine Digital-Strategie entwickelt. Das Thema der diesjährigen Hauptarbeitstagung des VdM, die vom Mai auf den 2./3. Oktober 2020 verlegt werden musste, lautet: „Digitalisierung an Musikschulen: Herausforderungen und Chancen“. In Zeiten von Corona erfährt das Thema nun eine ganz eigene Dynamik: Viele Musikschulen und Landesverbände reagieren schnell und schaffen digitale Unterrichtsmodelle unterschiedlichster Art. Zu beobachten sind dabei Bereitschaft, Engagement und Kreativität in großem Ausmaß. Mehrere Landesverbände haben erste Erfahrungsberichte veröffentlicht. Das Hamburger Konservatorium hat bereits vor einiger Zeit eine neue Lernplattform „KON-Plugin“, entwickelt, über die Konservatoriums-Direktor Markus Menke berichtet (s. Bericht unten).

Schleswig-Holstein

Über das Pilotprojekt „MoMu.SH – Mobil Music Schleswig-Holstein“ wurde an dieser Stelle bereits mehrfach berichtet. Viele Musikschulen profitieren nun von den Projektergebnissen des Erprobungsvorhabens. Durch das vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft geförderte Pilotprojekt wurden innerhalb von zwei Jahren insgesamt 25 Musikschullehrkräfte zu sogenannten „Mobile Music Mentors“ ausgebildet. Sie wurden dazu befähigt, Apps auf Tablets und Smartphones didaktisch und pädagogisch wertvoll in den Musikschulunterricht einzubinden. Mittlerweile haben sich die digitalen Begleiter im Musikschulalltag bewährt und werden von vielen Lehrkräften an VdM-Mitgliedsschulen als Hilfsmittel, zur Lernmotivation, als Notenmappe oder als Unterstützung in Form eines virtuellen Instruments eingesetzt. Das technische Verständnis und die Kenntnisse über neue Methodik und Didaktik von digitalen Unterrichtsformen sind nun besonders wertvoll, da viele Lehrkräfte und Schüler sofort mit Online-Angeboten loslegen können. Insbesondere in den Flächenkreisen wie Schleswig-Flensburg und Plön aber auch in Norderstedt oder in der Landeshauptstadt Kiel, bemühen sich die Musikschulen und ihre Lehrkräfte, kurzerhand Online-Musikschulunterricht zu ermöglichen.

Noch sind nicht alle Musikschulen in der Lage, kurzfristig den Unterricht online weiterzuführen. Während die Musikschüler dann unter der Unterbrechung der musikalischen Bildung leiden, steht für rund 63 Prozent der Musikschullehrkräfte in Schleswig-Holstein die eigene Existenz auf der Kippe. In Schleswig-Holstein arbeiten über 700 Lehrkräfte auf Honorarbasis und werden demnach nur für jede durchgeführte Unterrichtsstunde bezahlt. Durch die Schließung der Musikschulen bleibt in den meisten Fällen nun die Lohnzahlung der Honorarkräfte aus, denn nicht alle Musikschulen im Land können eine fortlaufende Bezahlung in der aktuellen Situation tragen. Die Möglichkeit von offiziell anerkanntem Online-Musikschulunterricht kann in Krisenzeiten also Existenzen sichern.

Hessen

Auch in Hessen helfen digitale Formate, den Unterrichtsausfall aufzufangen. Insbesondere werden Lernvideos, virtueller Unterricht über Videokonferenzen und Plattformen für das gemeinsame Arbeiten verstärkt eingesetzt. Über Whiteboards lassen sich zudem Noten und Texte verschicken. Beispielsweise treffen sich die Lehrkräfte mit ihren Schülerinnen und Schülern über Videokonferenzen zum virtuellen Musikunterricht. Das lässt sich mit gängigen Smartphones, Tablets oder Laptops umsetzen. Der Ablauf ähnelt einer persönlichen Musikstunde: Schülerinnen und Schüler spielen etwas vor, die Lehrkraft hört und sieht zu, ermutigt, gibt Tipps, korrigiert und demonstriert, wie es klingen sollte. Auch der Unterricht für kleine Gruppen mit drei oder vier Teilnehmenden ist so möglich.

Allerdings sieht der Landesverband auch Grenzen der digitalen Möglichkeiten: Die Kommunikation zwischen den Musikschülern und ihren Lehrkräften ist begrenzt. Bedingt durch zeitliche Verzögerung der digitalen Medien gehen direkte Hinweise etwa zum Anschlag und der Spieltechnik verloren. Dies wirkt sich auf den Klang und die Fingerbewegungen aus. An seine Grenzen gerät der digitale Unterricht auch bei der Elementaren Musikpädagogik in Großgruppen von rund zwölf Kindern, wie sie direkt an der Musikschule oder an Kindertagesstätten angeboten wird. Hier können bestenfalls ganze Unterrichtseinheiten mit Bewegungsspielen und Liedern an die Eltern gesendet werden. Diese setzen die Inhalte dann gemeinsam mit den Kindern um. Unterricht in Ensemble- und Ergänzungsfächern mit noch größerer Personenzahl lässt sich kaum digital ersetzen. Auch der VdM Hessen betont die derzeitige Existenznot der an den Musikschulen tätigen selbständigen Honorarlehrkräfte.

Nordrhein-Westfalen

Auch in NRW haben viele Musikschulen bei Bekanntwerden der Schulschließung den Bedarf erkannt und blitzschnell auf Unterricht mit digitalen Hilfsmitteln umgeschaltet. „Den Unterricht jetzt ausfallen zu lassen wäre unverantwortlich“, so Bernd Smalla, Vorsitzender des Landesverbands der Musikschulen in NRW. „Viele Menschen haben in dieser schwierigen Situation der sozialen Isolation ein großes Bedürfnis nach musikalischer Betätigung. Und nicht zuletzt verfügen die Schülerinnen und Schüler momentan über ein viel größeres Zeitkontingent.“ Die Musikschulen berichten durchweg über sehr positive Reaktionen ihrer Schülerinnen und Schüler.

Die besondere Situation, so berichtet der Landesverband, setzt in vielen Kollegien großes Innovationspotential frei. Auch zwischen den Musikschulen im Land zeigen sich ein kreativer Erfahrungsaustausch und eine intensive, fruchtbare Zusammenarbeit in der Arbeit an bestmöglichen Lösungen. Dabei stehen die Musikschulen in ständigem Austausch im Landesverband der Musikschulen in NRW (LVdM) wie auch im bundesweiten Verband der Musikschulen (VdM), um gegenseitig von ihren Erfahrungen profitieren und ihre Angebote auch kurzfristig optimieren zu können.

Es kristallisierte sich allerdings auch heraus, dass der online-Unterricht derzeit aufwändiger in der Vorbereitung und Durchführung ist, mehr Zeit und Kraft kostet sowie ein höheres Maß an ergänzendem Kommunikationsaufwand erfordert. Schließlich geht der Verband ebenfalls auf die Situation der Honorarkräfte und deren Schüler ein: „Dabei sollten jedoch auch die Schülerinnen und Schüler von Honorarkräften nicht schlechter gestellt werden als die der Festangestellten – zumal die Honorare der freien Pädagoginnen und Pädagogen durch den digitalen Unterricht gesichert wären.

Und: Die persönliche Begegnung beim Musizieren und Musiklernen wird immer zu den Stärken von Musikschule gehören und unverzichtbar bleiben. Gerade das Musizieren in Gemeinschaft mit anderen ist in den öffentlichen Musikschulen so selbstverständlich, dass dieser Verzicht in der momentanen Situation als schmerzlich, aber notwendig bewusst wird. Die jetzt erprobten digitalen Angebotsformen, Techniken und Methoden werden den klassischen Präsenz-Unterricht sicherlich verändern. „Aus den jetzt gewonnenen Erfahrungen“, sagt Bernd Smalla, „werden digitale Angebote fortbestehen, die das bewährte traditionelle Angebot der Musikschulen unterstützen, erweitern und bereichern können.“

Brandenburg

In Brandenburg ergab eine Blitzumfrage des Verbands der Musik- und Kunstschulen Brandenburg, dass derzeit Geigenunterricht per Videotelefonie, Online-Tutorials für Eltern-Kind-Gruppen, Videos der Chorleiterin zum Einsingen, Malübungen über das Smartphone und virtuelle Theaterprobe über Videokonferenzen erprobt werden. In Windeseile haben sich die Lehrkräfte und Schulen auf diese Herausforderung eingestellt. Die Umfrage belegt: Die Resonanz auf Seiten der Eltern und Schüler wie auch der Lehrkräfte in Brandenburg ist positiv. Eltern begrüßen, dass ihre Kinder so ein Stück weit ihren gewohnten wöchentlichen Rhythmus aufrechterhalten, sich weiter musikalisch oder künstlerisch betätigen und direkt in Kontakt zu ihren Lehrerinnen und Lehrern treten können. „Nun ist Raum und Zeit da – aus Langeweile entsteht etwas Neues“, schreibt die Musik- und Kunstschule Schwedt in ihrem Youtube-Kanal.
Mit Headsets oder Bluetooth-Lautsprechern könne die Tonqualität auch im häuslichen Rahmen beträchtlich verbessert werden, meldet der Landesverband. Inhaltlich läuft der Einzelunterricht am Instrument ab wie gewohnt. Auch der Unterricht in kleineren Gruppen ist unter Umständen möglich. Auch hier stellt man fest, dass sich nicht alle Unterrichtsformate gleichermaßen dafür eignen und dass sich Orchester- oder Ensemblefächer mit großer Personenzahl natürlich nicht digital ersetzen lassen. Und in einigen Regionen Brandenburgs lässt einen der Netzempfang immer wieder im Stich.

Baden-Württemberg

Die Schulleitungen der Musikschulen in Baden-Württemberg nutzen die Krisenzeit, um neue Wege zu den Schülerinnen und Schülern zu erschließen. Den Kontakt zu den Eltern, Kindern und Jugendlichen zu halten, steht an oberster Stelle auf der Agenda der Musikschulen in dieser Zeit. Der Landesverbandsvorsitzende Friedrich-Koh Dolge betont, die musikalische Bildung dürfe gerade in solch einer Zeit wie der aktuellen Krise nicht zum Erliegen kommen. „Die Kinder und Jugendlichen haben schon viel weniger Haltbares in ihrem Alltag, durch Musikunterricht mit den Musikschullehrerinnen und -lehrern und Aufgaben zum Üben kann ihnen ein wenig Normalität gegeben werden. Die Musikschulen in unserem Land erfüllen hier eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, weit über ihren eigentlichen Auftrag hinaus.“

Die Musikschule Hohenlohe in Niederstetten hat gemeinsam mit der Musikschule Crailsheim bereits Mitte März einen Indoor-Flashmob ins Leben gerufen. Sonntags um 12 Uhr wird gemeinsam zuhause musiziert. Die Musizierenden bekommen vorher vom Musikschullehrer oder der Musiklehrerin das Stück und eine Aufnahme und üben dieses entsprechend. Das Haus- oder Balkon-Konzert findet dann auf Distanz statt, die Musikanten können ihre Videos an die Musikschule schicken und Musikschulleiter Andreas Straßer schneidet daraus ein Video zusammen, das auf YouTube für jeden zugänglich ist. Diesem Beispiel haben sich viele andere Musikschulen angeschlossen. Geplant ist für jeden Sonntag ein neues Stück, um den Musikschülerinnen und -schülern ein Ziel zu geben und Solidarität zu schaffen. Musik verbindet eben auch digital.

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